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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 1. Die Entstehung der beiden Staaten; 2. Was beißt «nach dem Fleisch leben?; Leben nach dem Fleisch - Leben nach dem Geist

Kurzinhalt: ... gibt es doch nicht mehr als nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft ... Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleisch, der andere aus denen, die nach dem Geist leben wollen ...

Textausschnitt: 1. Die Entstehung der beiden Staaten

14/1/1 Wie schon in den vorhergehenden Büchern gesagt, wollte Gott alle Menschen aus einem einzigen hervorgehen lassen, um so das Menschengeschlecht nicht nur durch Gleichheit der Natur gesellig zusammenzuschließen, sondern auch durch verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Band des Friedens in Einheit und Eintracht zu verknüpfen. Auch davon war die Rede, daß dies Geschlecht in seinen einzelnen Gliedern nicht hätte sterben müssen, wenn nicht die beiden ersten, von denen der eine aus keinem, die andere aus jenem einen erschaffen ward, es sich durch ihren Ungehorsam als Strafe zugezogen hätten. Sie begingen eine so schwere Sünde, daß dadurch die menschliche Natur zum Schlechteren verkehrt ward, da Verstrickung in Sünde und Todeszwang auch auf die Nachkommenschaft überging. Die Herrschaft des Todes aber hat die Menschen derartig geknechtet, daß die verdiente Strafe alle auch in den zweiten Tod, der kein Ende hat, hineinreißen würde, wenn nicht Gottes unverdiente Gnade einige davor rettete. Obwohl darum auf dem Erdkreis so viele und große Völker mit mannigfachen Sitten und Bräuchen leben und sich durch eine Vielfalt von Sprachen, Waffen und Kleidern unterscheiden, gibt es doch nicht mehr als nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft, die wir mit unserer Heiligen Schrift sehr wohl zwei Staaten nennen können. Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleisch, der andere aus denen, die nach dem Geist leben wollen, jeder in dem seiner Art entsprechenden Frieden, und wenn sie erreichen, was sie anstreben, leben sie tatsächlich in diesem ihrer Art entsprechenden Frieden. (145; Fs))

2. Was beißt «nach dem Fleisch leben?

14/2/1 Zuerst müssen wir also sehen, was es heißt, nach dem Fleisch und nach dem Geist leben. Wer auf das, was wir sagten, nur einen flüchtigen Blick wirft und nicht daran denkt oder nicht genügend erwägt, wie die Heilige Schrift zu reden pflegt, der mag meinen, es seien bloß die epikureischen Philosophen, die nach dem Fleische leben, da sie das höchste Gut des Menschen in der Lust des Leibes erblickten, oder etwa auch noch andere, die so oder so das leibliche Wohl für das wahre Wohl des Menschen hielten, dazu die Masse derer, die nach keiner Philosophie fragen und, ihren Lüsten verfallen, nur solche Freuden kennen, die sie mit leiblichen Sinnen genießen können. Die Stoiker dagegen, die das höchste Gut des Menschen in seinem Geiste erblicken, seien es, die nach dem Geiste leben. Denn, so sagt man, der Menschengeist ist doch auch Geist. Achten wir dagegen auf die Redeweise der Schrift, so zeigt sich, daß auch diese wie die vorigen nach dem Fleische leben. Denn unter Fleisch versteht sie nicht nur den Leib irdischer und sterblicher Lebewesen, wie an der Stelle: «Nicht alles Fleisch ist einerlei Fleisch, sondern ein anderes Fleisch ist der Menschen, ein anderes des Viehs, ein anderes der Vögel, ein anderes der Fische», sondern sie gebraucht das Wort auch noch in mancherlei anderer Bedeutung. So nennt sie in einer dieser verschiedenen Redeweisen häufig den Menschen selber, das heißt die menschliche Natur, Fleisch, wie man eben nach dem Teile das Ganze zu benennen pflegt, etwa in dem Spruch: «Aus den Werken des Gesetzes wird kein Fleisch gerecht.» Das soll natürlich heißen: kein Mensch. Bald darauf sagt sie das deutlicher: «Durch das Gesetz wird niemand gerecht», und im Brief an die Galater: «Wir wissen, daß der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird.» In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn man liest: «Und das Wort ward Fleisch», das heißt also: Mensch. Einige haben das freilich mißverstanden und daraus geschlossen, Christus habe eine menschliche Seele gefehlt. Aber wie bisweilen, wo das Ganze genannt wird, nur ein Teil gemeint ist, etwa in dem Wort der Maria Magdalena im Evangelium: «Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben », wo sie ja nur von dem begrabenen Fleische Christi sprach, das sie aus der Grabkammer weggenommen wähnte, so ist auch, wenn nur ein Teil, also das Fleisch, genannt wird, oft das Ganze, nämlich der Mensch zu verstehen. So an den vorhin angeführten Stellen.

14/2/2 Auf mancherlei Weise also spricht die göttliche Schrift vom Fleische, und es wäre zu umständlich, alles zu erforschen und zusammenzustellen'. Um nun zu ergründen, was es heißt, «nach dem Fleische leben», womit sicherlich etwas Böses gemeint ist, obwohl die Natur des Fleisches an sich nicht böse ist, wollen wir sorgfältig jene Stelle aus dem Briefe des Apostels Paulus an die Galater ins Auge fassen, wo er sagt: «Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, nämlich Hurerei, Unreinigkeit, Üppigkeit, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zwietracht, Ketzerei, Neid, Trunksucht, Völlerei und dergleichen, wovon ich euch zuvor gesagt habe und sage noch zuvor, daß, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.» Dieser eine Spruch des apostolischen Briefes, als Ganzes betrachtet und, soweit hier erforderlich, erwogen, genügt, die Frage zu beantworten, was es bedeutet, nach dem Fleische zu leben. Denn unter den Werken des Fleisches, von denen der Apostel sagt, sie seien offenbar, und die er aufzählt und verurteilt, treffen wir nicht nur solche an, die zur Fleischeslust gehören, wie Hurerei, Unreinigkeit, Üppigkeit, Trunksucht und Völlerei, sondern auch solche, welche wir als Geistessünden kennen, die mit Fleischeslust nichts zu schaffen haben. Denn wer sieht nicht ein, daß Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zwietracht, Ketzerei und Neid mehr Geistes- als Fleischessünden sind? Kann es doch vorkommen, daß jemand um Götzendienstes oder ketzerischen Irrtums willen auf leibliche Genüsse verzichtet. Dennoch wird auch solch ein Mensch, mag er seine fleischlichen Lüste noch so sehr zu zähmen und zügeln scheinen, durch das gewichtige Apostelwort als nach dem Fleische lebend gekennzeichnet, und gerade dadurch, daß er sich der Lüste des Fleisches enthält, kommt es zutage, daß er verdammliche Fleischeswerke verrichtet. Wer hegt Feindschaft anderswo als im Geiste? Oder wer sagt zu seinem Feinde oder einem, den er für seinen Feind hält: Du hast ein böses Fleisch wider mich und nicht vielmehr einen bösen Geist? Und endlich, wie jeder, hörte er etwas von Fleischlichkeit, um einmal dieses Wort zu bilden, alsbald an das Fleisch denken würde, wird auch niemand bezweifeln, daß Zornmütigkeit ihren Sitz im Gemüt, also im Geiste hat. Wie könnte der Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit all dies und anderes derart Werke des Fleisches nennen, wenn er nicht nach der Redefigur, die einen Teil für das Ganze nimmt, unter dem Worte Fleisch den Menschen selber verstanden wissen wollte?

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