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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Titel: Ordnung, Bewußtsein, Geschichte

Stichwort: Vernunft (Erfahrung d. klassischen Philosophie 5); Plato, Ermittlung. Grundes: via negativa (epekeina) - positiva (to hen); präkognitive Unruhe -> kognitives Bewußtsein; Aufstieg zum Licht, Abstieg zum Grund

Kurzinhalt: Der Komplex der nous-Symbole umfaßt also alle Schritte in der philosophischen Exegese der Spannung des Menschen zum Grund seiner Existenz... das Verbum noein, um die Phasen der Bewegung zu bezeichnen, die von der fragenden Unruhe zur Erkenntnis des ...

Textausschnitt: 24/6 Das Bewußtsein fragender Unruhe in einem Zustand des Nichtwissens wird sich selbst durchsichtig als eine Bewegung in der psyche in Richtung auf den Grund, der in ihr präsent ist als der, der sie bewegt. Die präkognitive Unruhe wird zu einem kognitiven Bewußtsein, einer noesis, die sich auf den Grund als ihr noema oder ihr noeton richtet. Gleichzeitig wird das Begehren (oregesthai) zu erkennen zum Bewußtsein, daß der Grund der Gegenstand des Begehrens, das orekton ist (Met. 1072a 26 ff.). Der Grund kann in diesem Prozeß des Denkens erreicht und erkannt werden als das Ziel des Begehrens durch den meditativen Aufstieg über die via negativa: Der Grund ist weder zu finden unter den Gegenständen der äußeren Welt noch unter den Zielen hedonistischen oder politischen Handelns, sondern er liegt jenseits dieser Welt. Platon hat das Symbol des Jenseits, das epekeina, in die philosophische Sprache eingeführt als das Kriterium für den schöpferischen, göttlichen Grund (Politeia 508-9). Und Aristoteles spricht vom Grund als 'ewig, ohne Bewegung und getrennt von den Dingen der Sinneswahrnehmung' (Met. 1073 a 3-5). (137f; Fs)

25/6 Positiv setzt Platon das Eine (to hen), das in allen Dingen als der Grund gegenwärtig ist, gleich mit sophia kai nous (Phileb. 30 c-e). Und Aristoteles identifiziert die Wirklichkeit des Denkens (nou energeia) als das ewige göttliche Leben, 'denn das ist es, was Gott ist' (Met. 1072 b 27-31). Der Komplex der nous-Symbole umfaßt also alle Schritte in der philosophischen Exegese der Spannung des Menschen zum Grund seiner Existenz. Da gibt es sowohl einen menschlichen als auch einen göttlichen nous als Bezeichnung für den menschlichen und den göttlichen Pol der Spannung. Es gibt eine noesis und ein noeton, zur Bezeichnung der Pole des kognitiven Aktes. Und da ist ganz allgemein das Verbum noein, um die Phasen der Bewegung zu bezeichnen, die von der fragenden Unruhe zur Erkenntnis des Grundes als des nous führt. (138; Fs)

26/6 Wenn dieser Sprachgebrauch auch gewisse Nachteile hat, so macht er doch eindrucksvoll klar, daß die Philosophen den Prozeß in der psyche als einen eigenen Realitätsbereich mit einer eigenen Struktur verstehen. Diese Struktur kann entfaltet werden entweder durch den Aufstieg von der existentiellen Unruhe auf dem Grund der Höhle zu der Vision des Lichts oben, oder durch den Abstieg von dem Bewußtsein, das sich selbst durchsichtig geworden ist, nach unten. Ohne die kinesis des Angezogen-werdens von oben gäbe es kein Begehren nach dem Wissen vom Grund, ohne das Begehren kein Fragen in Verwirrung, ohne Fragen in Verwirrung kein Bewußtsein des Nichtwissen. Es gäbe keine existentielle Unruhe, die zu der Suche nach dem Grund treibt, wenn diese Unruhe nicht schon das Wissen des Menschen von seiner Existenz aus einem Grund, der nicht er selbst ist, wäre. Die Bewegungen dieser göttlich-menschlichen Begegnung bilden nach diesem Verständnis eine verstehbare Sinneinheit, noetisch sowohl in ihrer Substanz als auch in ihrer Struktur. (138; Fs)

27/6 Dies ist die Sinneinheit, auf die ich mich in aller Kürze bezogen habe als die Spannung des Menschen zum göttlichen Grund seiner Existenz. Das Abstraktum 'Spannung' dagegen (es wäre das griechische Wort tasis) ist kein Bestandteil des klassischen Vokabulars. Wenn Platon und Aristoteles von der göttlich-menschlichen Begegnung sprechen, dann ziehen sie Symbole vor, die sie von ihren Vorgängern in der Erforschung der psyche übernommen haben, und die verschiedene konkrete Modi der Spannung benennen, wie z. B. philia, eros, pistis und elpis. Ich muß deshalb nun auf die Probleme in der Existenz des Menschen als eines zoon noun echon eingehen, welche die verschiedenen Abstraktionsebenen in der Analyse erforderlich machen. (138f; Fs)

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