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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Der Gottesmord

Titel: Der Gottesmord

Stichwort: Gnosis, Gnostiker; Unmöglichkeit konkreter Ordnung d. Wirklichkeit; permanente Revolution; universaler (totaler) Krieg; Puritaner: Organisation der Heiligen

Kurzinhalt: Schon hier, in der puritanischen Mystik von den zwei Welten, beginnen sich die universalen Kriege abzuzeichnen, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind.


Textausschnitt: 52b Der Wandel der Revolution von politischer Umwälzung zu einem taktischen Kampf ohne Ende liegt in der Logik des Äonentraumes. Weder kann das Äon des Lichtes verwirklicht, noch kann die Wirklichkeit aufgehoben werden. Die gnostische Aktion muß daher die Form des permanenten Kampfes gegen die Menschen, Institutionen und Ideen annehmen, die jeweils die konkreten taktischen Hindernisse des Augenblicks sind. Konkrete Ordnung der Wirklichkeit ist unmöglich, weil, was immer konkret Inhalt der Wirklichkeit ist, überwunden werden muß. Die permanente Revolution der Gnosis ist ein krebsartiges Geschwür im Leib der Wirklichkeit; sie ist der Tod einer Zivilisation, wenn sie nicht durch stärkere Gestaltungskräfte gehemmt wird. Das Problem der Gnosis ist daher, von der Wirklichkeit her gesehen, nicht der Advent des neuen Äons, sondern der Kampf der konkreten Wirklichkeitsmächte gegen die tödliche Bedrohung durch pathologische Träumer. (52f; Fs)

53a Auch dieser Punkt ist den Gnostikern nicht entgangen. Ein Puritanerdokument, die Queries to Lord Fair fax von 1649, befaßt sich mit den Einzelheiten der Machtergreifung und mit dem mutmaßlichen Widerstand der prospektiven Opfer. Die Machtergreifung wird vorbereitet durch föderative Organisationen der Sektierer von den Ortsgruppen, den Gemeinden der Heiligen aufwärts; wenn die Organisation die Stufe regionaler Kirchenparlamente erreicht hat, 'dann wird Gott ihnen Autorität und Herrschaft über die Nationen und Reiche der Welt geben'. Konkret wird die Organisation der Heiligen an die Stelle der Institutionen Englands treten. Die 'christlichen Magistrate und Parlamente' Englands müssen ersetzt werden durch die unmittelbare Herrschaft des Geistes in seinen Gefäßen, den Heiligen, den 'Funktionären Christi'. Es ist nicht genug, daß die Herrscher Christen sind; sie müssen Heilige sein. 'Denn wie sollte ein Reich der Heiligen errichtet werden, wenn die Unheiligen (ungodly) Wähler sind und gewählt werden?' Kein Kompromiß mit der alten herrschenden Klasse ist zulässig, 'denn wie könnte es Rechtens sein, die alte weltliche Herrschaft zu flicken?' Das einzig erlaubte Verfahren ist die 'Unterdrückung der Feinde der Heiligkeit (godliness) für immer'. (Fs)

53b Der radikale Angriff auf die historisch gewachsenen Institutionen Englands und die Forderung kompromißloser Entfernung des Gegners aus dem öffentlichen Leben und seiner Unterdrückung (wir würden heute sagen: Liquidierung) empfangen ihre besondere Note in den Queries dadurch, daß die 'Funktionäre Christi' sie gegen Christen richten. Der sprachliche Ausdruck schwankt noch. Die Behörden Englands werden als 'christliche Magistrate' bezeichnet; aber an anderen Stellen, wenn die Kampfstimmung durchbricht, wird vom Gegner als Antichrist gesprochen. Ähnlich wie in der Predigt Colliers ist das Christentum der Puritaner in den Queries zu einem Punkt getrieben, an dem es von einer anti-christlichen Bewegung, von einem vernichtenden Angriff auf den geschichtlichen Bestand einer nationalen, christlichen Gesellschaft kaum noch zu unterscheiden ist. (53f; Fs)

54a Die Autoren der Queries waren nicht im Zweifel, daß die Christen den Heiligen das Feld nicht ohne Kampf räumen würden. Das neue Reich war universal in seinem Herrschaftsanspruch; es sollte sich 'universal auf alle Personen und Dinge erstrecken'. (Das 'universal' des 17. Jahrhunderts würde heute mit 'total' wiederzugeben sein). Die Heiligen erwarteten, daß der universale Anspruch ihrer Föderation eine ebenso universale Allianz der Welt gegen sie hervorrufen würde. Die Heiligen müßten sich 'gegen die antichristlichen Mächte der Welt verbünden'; und die antichristlichen Mächte würden sich 'universal gegen sie verbünden'. Aus den zwei Welten, die sich zeitlich folgen sollten, würden historisch-konkret zwei universale bewaffnete Lager, die sich gegenseitig auf den Tod bekämpfen. Schon hier, in der puritanischen Mystik von den zwei Welten, beginnen sich die universalen Kriege abzuzeichnen, die im 20. Jahrhundert dann in der Tat ausgebrochen sind. Der universale Herrschaftsanspruch der gnostischen Sektierer erzeugt das universale Bündnis gegen sie. Das wahrhaft Gefährliche an den heutigen Weltkriegen ist nicht die erdenweite Ausdehnung des Kriegstheaters, sondern ihr Charakter als Kriege zwischen Welten im gnostischen Sinn, die nur mit der Vernichtung der Gegenwelt enden können. (Fs)

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