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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Methode: acht funktionalen Spezialisierungen in der Theologie; Forschung, Interpretation, Geschichte, Dialektik, Fundamente (Bekehrung), Lehre, Systematik, Kommunikation

Kurzinhalt: Die Dialektik hat es mit dem Konkreten, dem Dynamischen und dem Widersprüchlichen zu tun und findet daher in der Geschichte christlicher Bewegungen reichlich Material.

Textausschnitt: 9/5 In diesem Abschnitt legen wir eine kurze Beschreibung von acht Funktionalen Spezialisierungen innerhalb der Theologie vor, nämlich

(1.) Forschung,
(2.) Interpretation,
(3.) Geschichte,
(4.) Dialektik,
(5.) Fundamente,
(6.) Lehre,
(7.) Systematik und
(8.) Kommunikation. Später werden wir versuchen, die Gründe für die vorstehende Einteilung, ihre genaue Bedeutung und ihre Implikationen anzugeben. Im Augenblick geht es uns jedoch nur um den vorläufigen Hinweis auf die inhaltliche Bedeutung funktionaler Spezialisierungen in der Theologie. (136; Fs)

10/5
(1.) Die Forschung macht die für die theologische Untersuchung einschlägigen Daten verfügbar. Sie ist entweder allgemein oder speziell. Die spezielle Forschung befaßt sich mit der Zusammenstellung jener Daten, die für irgendeine besondere Frage oder für ein Problem relevant sind, z. B. die Lehrmeinung von Herrn X zur Frage Y. Derart spezielle Forschung arbeitet um so schneller und effektiver, je vertrauter sie im Umgang mit den Werkzeugen ist, die ihr von der allgemeinen Forschung zur Verfügung gestellt werden. Die allgemeine Forschung lokalisiert alte Städte, gräbt sie aus und erfaßt sie kartographisch. Sie füllt die Museen und reproduziert oder kopiert Inschriften, Symbole, Bilder und Statuen. Sie entziffert unbekannte Schriften und Sprachen. Sie sammelt und katalogisiert Manuskripte und bereitet kritische Textausgaben vor. Sie stellt Verzeichnisse, Tabellen, Repertoires, Bibliographien, Auszüge, Bulletins, Handbücher, Wörterbücher und Enzyklopädien zusammen. Vielleicht wird sie uns eines Tages ein vollständiges System zur Informations-Auffindung in die Hand geben. (136; Fs)

11/5
(2.) Während die Forschung uns zugänglich macht, was geschrieben wurde, versteht die Interpretation, was gemeint war. Sie erfaßt diese Bedeutung in ihrem eigenen geschichtlichen Kontext, in Übereinstimmung mit dessen eigener Weise und Ebene des Denkens und des Ausdrucks, sowie im Licht der Umstände und der Intention des Autors. Ihr Ergebnis ist der Kommentar oder die Monographie. Interpretation ist ein Unternehmen voller Fallgruben und heute noch zusätzlich erschwert durch die von der Erkenntnistheorie, Epistemologie und Metaphysik übernommenen Probleme. Wir werden darauf zurückkommen, wenn wir uns später mit der Hermeneutik befassen. (136; Fs)

12/5
(3.) Geschichte ist fundamental, speziell oder allgemein. Die fundamentale Geschichte sagt uns wo (Ort, Gebiet) und wann (Daten, Perioden) wer (Personen, Völker) was tat (öffentliches Leben, äußere Taten), welchen Erfolg er erzielt, welche Rückschläge er erlitten und welchen Einfluß er ausgeübt hat. Daher schildert sie die leichter erkennbaren und allgemein anerkannten Züge menschlicher Aktivität je nach ihrer geographischen Erstreckung und zeitlichen Abfolge so spezifisch und präzise wie möglich. (136f; Fs)

13/5 Die spezielle Geschichtsschreibung berichtet über Bewegungen kultureller Art (Sprache, Kunst, Literatur, Religion), institutioneller Art (Familie, Sitten, Gesellschaft, Erziehung, Staat, Gesetz, Kirche, religiöse Gemeinschaften, Wirtschaft, Technologie) oder lehrmäßiger Art (Mathematik, Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften, Philosophie, Geschichte, Theologie). (137; Fs)

14/5 Die allgemeine Geschichte ist vielleicht nur ein Ideal. Sie wäre fundamentale Geschichte, die durch spezielle Geschichtsschreibung erklärt und ergänzt wird. Sie würde eine Gesamtschau bieten oder etwas, das dem nahe kommt. Sie würde die Information, das Verständnis, das Urteil und die Einschätzung des Historikers im Hinblick auf die Summe der kulturellen, institutionellen und lehrmäßigen Bewegungen in ihrer konkreten Umgebung zum Ausdruck bringen. (137; Fs)

15/5 Geschichte als funktionale Spezialisierung innerhalb der Theologie hat es, unterschiedlich abgestuft und auf verschiedene Weise, mit fundamentaler, spezieller und allgemeiner Geschichte zu tun. In der Hauptsache hat sie die fundamentale Geschichte vorauszusetzen. Ihr wesentliches Anliegen ist die lehrmäßige Geschichte christlicher Theologie mit deren Antezedentien und Konsequenzen in der kulturellen und institutionellen Geschichte der christlichen Religion sowie der christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Auch zur allgemeinen Geschichtsschreibung kann sie letztlich nicht auf Distanz bleiben, da man die Unterschiede zwischen den christlichen Kirchen und Gemeinschaften, die Beziehungen der verschiedenen Religionen zueinander sowie die Rolle des Christentums in der Weltgeschichte nur im Rahmen einer vollständigen Gesamtschau begreifen kann. (137; Fs)

16/5 Auf die Geschichte kommen wir später noch zurück. Nicht weniger als die Hermeneutik wurden auch das historische Denken und die historische Kritik der Gegenwart - über ihre spezifischen Aufgaben hinaus - in die philosophischen Grundprobleme unserer Zeit verwickelt. (137; Fs)

17/5
(4.) Unsere vierte funktionale Spezialisierung ist die Dialektik. Obwohl dieser Terminus sehr unterschiedlich verwendet wird, ist der Sinn, in dem wir ihn hier gebrauchen, recht einfach. Die Dialektik hat es mit dem Konkreten, dem Dynamischen und dem Widersprüchlichen zu tun und findet daher in der Geschichte christlicher Bewegungen reichlich Material. Alle Bewegungen sind zugleich konkret und dynamisch, während christliche Bewegungen ihrerseits durch äußere und innere Konflikte gekennzeichnet sind, ob man das Christentum nun als Ganzes oder auch nur diese oder jene größere Kirche oder Gemeinschaft betrachtet. (137f; Fs)

18/5 Inhalte der Dialektik sind demnach in erster Linie die Konflikte, die ihren Mittelpunkt in christlichen Bewegungen haben, doch sind diesen noch die sekundären Konflikte in den historischen Darstellungen und theologischen Deutungen jener Bewegungen hinzuzufügen. (138; Fs)

19/5 Neben den Inhalten der Dialektik ist ihr Ziel zu beachten. Dieses ist hoch und weitgesteckt. Wie es der empirischen Naturwissenschaft um eine vollständige Erklärung aller Phänomene geht, so geht es der Dialektik um einen möglichst weiten Blickwinkel. Sie sucht nach einer einzigen Grundlage oder nach einem Gesamt aufeinander bezogener Grundlagen, von dem aus sie zum Verständnis der Eigenart, der Gegensätze und der Beziehungen der vielen Standpunkte gelangen kann, die sich bei widerstreitenden christlichen Bewegung, ihren widerstreitenden Geschichtsdarstellungen und ihren widerstretenden Deutungen zeigen. (138; Fs)

20/5 Außer den Konflikten unter Christen und dem fernen Ziel eines umfassenden Standpunkts gibt es noch in Vergangenheit und Gegenwart das Faktum der vielen divergierenden Standpunkte, aus denen Konflikte erwachsen. Solche Standpunkte zeigen sich in Glaubensbekenntnissen ebenso wie in den gelehrten Werken der Apologeten. Sie zeigen sich aber auch - oft sogar noch viel lebendiger - in unbemerkten Annahmen und Versehen, in Vorliebe und Aversion sowie in den heimlichen aber sehr bestimmten Entscheidungen der Gelehrten, der Schriftsteller, der Prediger und auch der Männer und Frauen in den Kirchenbänken. (138; Fs)

21/5 Die Untersuchung dieser Standpunkte führt uns über das reine Faktum hinaus zu den Gründen für den Konflikt. Wenn man diese miteinander vergleicht, so zeigt sich, wo die Differenzen unaufhebbar, wo sie komplementär sind und innerhalb eines größeren Ganzen zusammengebracht und überwunden werden könnten, und wo man sie als sukzessive Stadien eines einzigen Entwicklungsprozesses ansehen kann. (138; Fs)

22/5 Außer dem Vergleich gibt es die Kritik. Nicht jeder Standpunkt ist kohärent, und diejenigen, die einen nicht kohärenten vertreten, können aufgefordert werden, zu einer folgerichtigen Position überzugehen. Nicht jeder Grund ist ein stichhaltiger Grund, und die Christenheit hat nichts zu verlieren durch das Ablegen von unguten Gründen, von ad hoc Erklärungen und Klischees, die nur Verdächtigung, Ressentiment, Abneigung und Bosheit hervorrufen. Nicht jeder irreduzible Unterschied ist ein ernster Unterschied, und die es nicht sind, kann man an zweite, dritte oder vierte Stelle rücken, so daß man Aufmerksamkeit, Studium und Analyse jenen Unterschieden widmen kann, die tatsächlich ernst und tief sind. (138f; Fs)

23/5 Unter Dialektik ist demnach eine verallgemeinerte Apologetik zu verstehen, die im ökumenischen Geist geführt wird, die letztlich auf einen umfassenden Standpunkt zielt und sich diesem Ziel nähert, indem sie die Unterschiede anerkennt, deren wirkliche und offenkundige Gründe sucht und überflüssige Gegensätze beseitigt. (139; Fs)

24/5
(5.) Wie die Bekehrung für das christliche Leben von grundlegender Bedeutung ist, so gibt eine Objektivierung der Bekehrung der Theologie ihre Fundamente. (139; Fs)

25/5 Unter Bekehrung verstehen wir eine Umwandlung des Subjekts und seiner Welt. Normalerweise handelt es sich hierbei um einen längeren Prozeß, obwohl ihre ausdrückliche Anerkennung auf wenige gewichtige Urteile und Entscheidungen konzentriert sein kann. Dennoch ist Bekehrung nicht bloß eine Entwicklung oder gar eine Reihe von Entwicklungen. Sie ist vielmehr ein sich ergebender Kurs- und Richtungswechsel. Es ist so, als gingen uns die Augen auf, als schwinde und stürze unsere frühere Welt. Etwas Neues taucht auf und trägt Frucht in ineinandergreifenden kumulativen Entwicklungsfolgen auf allen Ebenen und in allen Räumen des menschlichen Lebens. (139; Fs) (notabene)

26/5 Bekehrung ist existentiell, in höchstem Maße personal und ganz innerlich; doch ist sie nicht derart privat, daß sie einsam und allein wäre. Sie kann sich bei vielen ereignen, und diese können eine Gemeinschaft bilden, um sich gegenseitig in ihrer Selbst-Umwandlung zu stützen und einander bei der Ausarbeitung der Implikationen und der Erfüllung der Verheißung ihres neuen Lebens zu helfen. Und was gemeinschaftlich werden kann, das kann auch geschichtlich werden, das kann von Generation zu Generation übergehen, kann von dem einen kulturellen Umfeld auf ein anderes übergreifen. Es kann sich den wandelnden Umständen anpassen, neuen Situationen begegnen, in ein anderes Zeitalter hinein überleben und in einer anderen Periode oder Epoche neu erblühen. (139; Fs) (notabene)

27/5 Bekehrung als gelebte Bekehrung beeinflußt alle bewußten und intentionalen Handlungen des Menschen. Sie lenkt seinen Blick, durchdringt seine Vorstellungskraft und löst die Symbole aus, die bis in die Tiefen seiner Seele vordringen. Sie bereichert sein Verstehen, lenkt seine Urteile und verstärkt seine Entscheidungen. Bekehrung aber als gemeinschaftliche und geschichtliche Größe, als eine Bewegung mit ihren eigenen kulturellen, institutionellen und lehrmäßigen Dimensionen, ruft eine Reflexion hervor, die diese Bewegung thematisiert und ausdrücklich ihre Ursprünge, Entwicklungen, Ziele, Errungenschaften und ihr Versagen erforscht. (139f; Fs) (notabene)

28/5 Insofern als Bekehrung selbst thematisiert und ausdrücklich objektiviert wird, taucht nun die fünfte funktionale Spezialisierung auf: es sind die 'Fundamente'. Diese Fundamente unterscheiden sich von der alten Fundamentaltheologie in zweifacher Hinsicht. Erstens war die Fundamentaltheologie ein theologisch Erstes; sie folgte nicht den vier anderen Spezialisierungen, die wir als Forschung, Interpretation, Geschichte und Dialektik bezeichnet haben. Zweitens war die Fundamentaltheologie ein Block von Lehren - de vera religione, de legato divino, de ecclesia, de inspiratione scripturae, de locis theologicis. Im Gegensatz hierzu bieten die Fundamente nicht Lehren, sondern nur den Horizont, innerhalb dessen die Bedeutung der Lehren erfaßt werden kann. So wie im religiösen Leben gilt: 'Der irdisch gesinnte Mensch läßt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen' (1 Kor 2,14), so sind in der theologischen Reflexion über das religiöse Leben die Horizonte zu unterscheiden, innerhalb derer die religiösen Lehren verstanden oder nicht verstanden werden können; diese Unterscheidung ist grundlegend. (140; Fs) (notabene)

29/5 Zu gegebener Zeit werden wir uns fragen, wie Horizont zu verstehen und zu definieren ist und wie sich ein Horizont vom anderen unterscheidet. Wir können jedoch sogleich anmerken: Wie die Bekehrung echt oder unecht sein kann, so kann es auch viele christliche Horizonte geben, und nicht alle müssen eine echte Bekehrung repräsentieren. Und obwohl es möglich ist, sich echte Bekehrung auf mehrfache Weise vorzustellen, scheint dennoch die Anzahl möglicher Bekehrungsweisen weit geringer als die Anzahl möglicher Horizonte zu sein. Daraus folgt, daß unsere 'Fundamente' eine Verheißung in sich tragen: die Aufhellung der durch die Dialektik aufgedeckten Konflikte und das Auswahlprinzip, das die verbleibenden Spezialisierungen leiten wird, die sich mit der Lehre, der Systematik und der Kommunikation befassen. (140; Fs)

30/5
(6.) Die Lehre bringt Tatsachen- und Werturteile zum Ausdruck. Sie befaßt sich demnach mit den Behauptungen und Verneinungen nicht nur der dogmatischen Theologie, sondern auch der moraltheologischen Disziplin, der aszetischen und mystischen Theologie, der Pastoraltheologie und ähnlicher Zweige. (140f; Fs)

31/5 Solche Lehren stehen im Horizont der 'Fundamente'. Sie erhalten ihre genaue Definition von der Dialektik, ihren positiven Reichtum an Abklärung und Entfaltung aus der Geschichte und ihre Grundlagen durch die Interpretation jener Daten, die der Theologie eigen sind. (141; Fs)

32/5
(7.) Die Tatsachen und Werte, die durch die Lehren behauptet werden, lassen weitere Fragen entstehen. Denn der Ausdruck der Lehre kann bildhaft oder symbolisch sein. Er kann beschreibend sein und letzten Endes bloß auf der Wortbedeutung beruhen, statt auf einem Verständnis der Realitäten. Er kann, wenn man ihn preßt, schnell vage und unbestimmt werden, ja er kann sich, wenn man ihn genau untersucht, in Widerspruch und Trugschluß verstrickt erweisen. (141; Fs)

33/5 Die Systematik als funktionale Spezialisierung versucht diese Probleme aufzugreifen. Ihr geht es um die Ausarbeitung angemessener Begriffssysteme, um offensichtliche Widersprüchlichkeiten zu beseitigen und zu einem gewissen Begreifen geistlicher Dinge zu gelangen, und dies von ihrer eigenen inneren Kohärenz her, wie auch durch Analogien, die von einer vertrauteren menschlichen Erfahrung angeboten werden. (141; Fs)

34/5
(8.) Bei der Kommunikation geht es um die Theologie in ihren Beziehungen nach außen. Diese sind dreifacher Art. Es gibt interdisziplinäre Beziehungen zur Kunst, zur Sprache und Literatur, zu anderen Religionen, zu den Natur- und Geisteswissenschaften, zur Philosophie und Geschichte. Sodann sind die Übertragungen (transpositions) zu nennen, die das theologische Denken entwickeln muß, wenn die Religion ihre Identität behalten und zugleich Zugang zu Geist und Herz der Menschen aller Kulturen und Klassen finden soll. Und schließlich bedarf es der Anpassungen, die nötig sind, um die verschiedenen Kommunikationsmittel, die an verschiedenen Orten und Zeiten jeweils zugänglich sind, voll und angemessen zu nutzen. (141; Fs)

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