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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Sein, Wesen, Thomas, Suarez , Axiome, Seinsprinzipien

Kurzinhalt: Thomistische Seinslehre; distinctio realis metaphysica; esse, essentia (als Potenz); existentia, quidditas; Prinzipien: Actus de se est illimitatur ...

Textausschnitt: s. unten
Actus de se est illimitatus.
Actus non limitatur nisi per potentiam.
Actus et potentia realiter distinguuntur.
Actus in se subsistens est simpliciter infinitus.
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38/3
1. Bezüglich der Konstitution des Seienden stehen in der scholastischen Philosophie vor allem zwei Auffassungen einander gegenüber: die thomistische, an Thomas von Aquin orientierte, und die suarezianische, von Franz Suarez stammende Lehre. Beide kommen zunächst darin überein, daß im Seienden eine Zweiheit unterscheidbar ist, sofern das Seiende befragt werden kann, ob es ist (an sit) und was es ist (quid sit). Daraus ergibt sich die Zweiheit von Sein und Wesen (esse und essentia) oder von Dasein und Sosein (existentia und quidditas). Sie unterscheiden sich aber in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen beiden Elementen und - dem zugrundeliegend - in der Bestimmung der beiden Elemente selbst, die in ein jeweils verschiedenes Verhältnis zueinander gesetzt werden. (187; Fs)

39/3
a) Die thomistische Seinslehre versteht unter 'Sein' (esse) nicht nur das Dasein (existentia), wodurch Seiendes von bestimmter Washeit (quidditas) in den faktischen Zustand aktuellen Wirklichseins gesetzt ist, sondern, insofern es in der ganzen Fülle seines Seinsgehaltes (perfectio essendi) gesetzt ist, das Prinzip realen oder aktuellen Seinsgehaltes überhaupt. (187f; Fs) (notabene)

40/3 Wenn das Sein aber das Prinzip von Seinsgehalt überhaupt ist, d. h. Prinzip aller gesetzten und setzbaren, also wirklichen und möglichen Seinsgehalte von Seiendem, dann ist es in sich selbst und aus sich selbst schlechthin unbegrenzt: reine Positivität, reine Aktualität, die sich nicht selbst eine Grenze setzen kann. Wenn im endlichen Seienden ein begrenzter Seinsgehalt als seiend gesetzt ist, so fordert die Begrenztheit als solche ein anderes, vom Sein verschiedenes Prinzip, das den reinen Seinsgehalt zugleich aufnimmt und begrenzt: Gegenüber der reinen Positivität des Seins ist es Prinzip der Negativität, welches durch Aufhebung weiterer Seinsgehalte die Grenze setzt; gegenüber dem Sein als dem Prinzip reiner Aktualität ist es Prinzip der Potentialität, des bloßen Seinkönnens, das als solches der Aktuierung durch den Seinsakt (actus essendi) bedarf. Diese Seinslehre wird vielfach durch folgende Axiome zum Ausdruck gebracht, die wir jedoch nicht axiomatisch voraussetzen dürfen, aber hier zur Erläuterung anführen wollen: (188; Fs) (notabene)

41/3 'Actus de se est illimitatus.' Der Seinsakt ist in sich und aus sich selbst unbegrenzt, da er reine Positivität, nicht aber Negativität setzt. Grenze besagt aber Negation von Seinsgehalt. Würde das Sein sich durch sich selbst begrenzen, so würde es zugleich Seinsgehalt setzen und nicht setzen, sondern aufheben; es wäre zugleich Prinzip des Seins und des Nichtseins - die Aufhebung seiner selbst. Also ist das Sein von sich aus Prinzip reinen und darum unbeschränkten Seinsgehaltes. Damit ist die Möglichkeit der Beschränkung des Seins im endlichen Seienden nicht ausgeschlossen. Wenn aber das Sein im endlichen Seienden begrenzt ist, so ist es nicht durch sich selbst - als Sein - begrenzt, sondern fordert ein anderes Prinzip der Begrenztheit des Seins. (188f; Fs) (notabene)


42/3 'Actus non limitatur nisi per potentiam.' Das Andere des Seins als Prinzip der Begrenzung kann weder selbst Sein als reine Positivität sein, noch auch schlechthin Nichtsein als reine Negativität, sondern ein relatives Nichtsein, das dem Sein als bloßes Seinkönnen, der Aktualität als Potentialität gegenübersteht, die Möglichkeit eines Seienden von bestimmt begrenztem Seinsgehalt vorgibt und den Seinsakt sowohl aufnimmt als begrenzt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Sein dieses Seienden zuerst unbegrenzt ist und dann erst durch das potentielle Prinzip eingeschränkt wird; vielmehr sind beide Prinzipien zugleich gesetzt in dem einen und identischen Seienden, das durch sie innerlich konstitutiert ist. Das potentielle Prinzip ist das Wesen des endlichen Seienden (essentia finita) gegenüber dem aktuellen Prinzip des Seins (actus essendi). In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? (189; Fs) (notabene)

43/3 'Actus et potentia realiter distinguuntur.' Akt und Potenz, Sein und Wesen, sind nicht nur zwei begrifflich verschiedene Aspekte, unter denen wir die eine, real identische Wirklichkeit des Seienden betrachten können, sondern zwei real verschiedene Prinzipien, welche die eine und identische Wirklichkeit des Seienden konstituieren. Wenn das Sein 'realiter' Prinzip unbegrenzten Seinsgehaltes ist und wenn es darum 'realiter' begrenzt werden muß zu einem endlich bestimmten Seinsgehalt, dann müssen sich beide - als Prinzipien auch 'realiter' unterscheiden. Doch ist es nicht eine reale Verschiedenheit zwischen Seienden, die wir physische oder ontische Differenz (distinctio realis physica) nennen, sondern eine reale Verschiedenheit zwischen Prinzipien des Seienden, die niemals getrennt als selbständige Seiende gesetzt sein können; es ist eine metaphysische oder ontologische Differenz (distinctio realis metaphysica). Sie ist niemals empirisch vorfindbar, sondern nur in einem die Erfahrung übersteigenden - meta-physischen - Denken erreichbar. (189; Fs) (notabene)

44/3 'Actus in se subsistens est simpliciter infinitus.' Dies ergibt sich aus den zwei ersten Axiomen: Wenn und insofern der Seinsakt nicht in einer Potenz aufgenommen und durch sie begrenzt ist (actus receptus), sondern rein in sich selbst steht oder subsistiert (actus subsistens), ist er seinem Wesen gemäß schlechthin unbegrenzt: absolut unendliche Aktualität. Dann ist dem Sein keine Grenze gesetzt, es ist in der absoluten Fülle und Einheit aller nur möglichen Seinsgehalte schlechthin unendlich. Doch ergibt sich aus dem Prinzip noch nicht die Wirklichkeit eines solchen, rein in sich selbst stehenden, absoluten und unendlichen Seins. Sie bedarf eines eigenen Aufweises, den wir erst später erbringen werden. (189; Fs)

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