Datenbank/Lektüre


Autor: Nissing, Hanns-Gregor (Hrsg.)

Buch: Nissing, Hanns-Gregor (Hrsg.)

Titel: Grundvollzüge der PersonDimensionen des Menschseins bei Robert Spaemann

Stichwort: Anthropomorphismus 2; Kriterium für das Wirkliche?; Wirklichkeit: keine Eigenschaft; W. - Traum

Kurzinhalt: Aber ein Kriterium? Nein, das gibt es nicht. Denn Wirklichkeit ist, wie gesagt, keine Eigenschaft.

Textausschnitt: I. Ein Kriterium für das Wirkliche?

14b Aber ist sie es wirklich? Gibt es kein Kriterium, um das Wirkliche vom Unwirklichen zu unterscheiden? Gibt es keinen Unterschied? Doch, natürlich gibt es einen Unterschied, und es ist sogar der wichtigste aller Unterschiede. Aber ein Kriterium? Nein, das gibt es nicht. Denn Wirklichkeit ist, wie gesagt, keine Eigenschaft. Max Scheler meinte, das Wirkliche mache sich für uns durch Widerständigkeit bemerkbar. Wirklichkeitserfahrung sei Widerstandserfahrung. Aber das stimmt nicht. Auch im Traum erfahren wir Widerstand, Bedrohung, Überwältigung. Und es gibt Träume, in denen wir sogar das reflexe Bewußtsein haben, nicht zu träumen, ja wo wir uns durch empirische Experimente davon überzeugen, daß wir nicht träumen. Und darin wachen wir auf, und es war doch ein Traum. Manchmal ist sogar das Aufwachen geträumt. Wir träumen, daß wir geträumt haben und nun aufwachen. Kein Kriterium, sondern nur das nochmalige Aufwachen gibt uns die kriteriumslose Gewißheit, jetzt wirklich wach zu sein. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß wir im Traum die gleiche Gewißheit hatten. Der Zweifel, den wir daraus ableiten, bleibt rein theoretisch. Das heißt, er ist gar kein Zweifel, sondern nur die Feststellung, daß unsere Gewißheit sich nicht auf ein Kriterium stützt. (Fs)

15a Aber auch das Umgekehrte gibt es, nämlich den Zweifel an der Wirklichkeit des Geträumten im Traum selbst. Als Fünfjähriger wurde ich im Traum von einer Hexe verfolgt. Sie rannte auf einer Dorfstraße hinter mir her. Ich rannte um mein Leben. Der Abstand verringerte sich ständig. Plötzlich fiel mir ein: Meine Mutter hatte mir gesagt: „Es gibt keine Hexen." Meine Mutter sagte immer die Wahrheit. So glaubte ich ihr mehr als dem Augenschein, und meine Schlußfolgerung war: Die Hexe muß geträumt sein. Es kann sich nun nur darum handeln, aufzuwachen, ehe die Hexe, deren Atem ich schon spüre, mich packt. Im Vertrauen auf das Wort meiner Mutter warf ich mich auf die Straße, wälzte mich hin und her und wachte auf. Es war kein empirisches Kriterium, aufgrund dessen die Hexe unwirklich war, es war ein Glaubensakt, der mich das Risiko eingehen ließ, sie für unwirklich zu halten. - Das war für mich übrigens immer auch ein Bild des christlichen Glaubens: Gegen allen Augenschein habe ich einfach geglaubt, was meine Mutter sagte. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt