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Autor: Spaemann, Robert

Buch: Das unsterbliche Gerücht

Titel: Das unsterbliche Gerücht

Stichwort: Gottesgerücht 09; Zusammenhang: Wahrheit - Wirklichkeit; Futurum exactum; Virtualisierung der Welt - Entbehrlichkeit Gottes; argumentum ad hominem (Leibniz): in Wirklichkeit jeder Beweis

Kurzinhalt: Mit dem Gedanken der Wahrheit bricht auch der Gedanke der Wirklichkeit zusammen... Die Unvermeidlichkeit des Futurum exactum impliziert die Unvermeidlichkeit, einen »Ort« zu denken, wo alles, was geschieht, für immer aufgehoben ist. Oder wir müssen ...

Textausschnitt: 35a
23. Mit dem Gedanken der Wahrheit bricht auch der Gedanke der Wirklichkeit zusammen. Unser Sprechen und Denken über das, was ist, ist unaufhebbar zeitlich strukturiert. Wir können nicht etwas als wirklich denken, ohne es in der Gegenwart, also als jetzt wirklich zu denken oder aber so, daß es einmal gegenwärtig, einmal »jetzt« war. Etwas, das immer nur vergangen war oder immer nur künftig sein wird, war nie und wird nie sein. Ebenso aber gilt: Was jetzt ist, war einmal zukünftig und wird einmal gewesen sein. Das Futurum exactum ist vom Präsens unzertrennlich. Von einem Ereignis der Gegenwart sagen, es werde einmal nicht mehr gewesen sein, heißt sagen, daß es in Wirklichkeit auch jetzt nicht ist. In diesem Sinn ist alles Wirkliche ewig. Der Zeitpunkt kann nicht eintreten, an dem es nicht mehr wahr sein wird, daß jemand einen Schmerz oder eine Freude empfunden hat, die er jetzt empfindet. Und diese vergangene Wirklichkeit ist ganz unabhängig davon, daß wir uns ihrer erinnern. Das jetzige Bewußtsein von dem, was jetzt ist, impliziert das Bewußtsein des künftigen Gewesenseins, oder es hebt sich selbst auf. Aber was ist der ontologische Status dieses Gewesenseins, wenn alle Spuren verweht sein werden, wenn das Universum nicht mehr sein wird? Vergangenheit ist immer die Vergangenheit einer Gegenwart. Was wird aus der Vergangenheit, wenn keine Gegenwart mehr sein wird? Die Unvermeidlichkeit des Futurum exactum impliziert die Unvermeidlichkeit, einen »Ort« zu denken, wo alles, was geschieht, für immer aufgehoben ist. Oder wir müssen den absurden Gedanken akzeptieren, daß einmal nicht mehr gewesen sein wird, was jetzt ist, und was eben deshalb auch jetzt nicht wirklich ist. (Fs)

36a Die totale Virtualisierung der Welt macht das Dasein Gottes entbehrlich. Wenn wir das Wirkliche als wirklich denken wollen, müssen wir Gott denken. »Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik glauben«, schrieb Nietzsche. Er hätte auch schreiben können: »...weil wir nicht aufhören können, uns selbst als wirklich zu denken.« Ein argumentum ad hominem. Aber Leibniz, der etwas von Beweistheorie verstand, schreibt, daß jeder Beweis in Wirklichkeit ein argumentum ad hominem ist. (Fs)

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