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Autor: Spaemann, Robert

Buch: Das unsterbliche Gerücht

Titel: Das unsterbliche Gerücht

Stichwort: Gottesgerücht 08; Gottesbeweise: 2 Gruppen; klass. Gottesbeweise: Voraussetzung von Wahrheit; W. als Selbsttäuschung (Nietzsche, R. Rorty); argumentum ad hominem vs. Dialektik: Naturalismus - Spiritualismus; Person, Freiheit, Wahrheitsfähigkeit; Verzicht

Kurzinhalt: Erkenntnisse sind nicht Repräsentationen dessen, was erkannt wird, sondern kausale Wirkungen von etwas, das gerade nicht erkannt wird... Wenn Gott ist ... Dann ist eine »natürliche« Erklärung nicht gleichbedeutend mit einer reduktionistischen, weil ...

Textausschnitt: 30a
20. Was ist, wenn Gott ist? Dann ist Gott, und der Glaube an ihn ist wahr. Schön ist er gewiß, aber »qui sait si la vérité n’est pas triste?« (Renan) Es macht die Würde des Menschen aus, wissen zu wollen, was ist. Als Sinjawskij schrieb, es sei Zeit, an Gott zu denken, fügte er hinzu: »Man soll nicht aus alter Gewohnheit glauben, nicht aus Angst vor dem Tod, nicht für alle Fälle, nicht deshalb, weil uns jemand zwingt, nicht aus humanistischen Grundsätzen, nicht deshalb, um die Seele zu retten oder um originell zu sein. Man soll glauben aus dem einfachen Grund, weil es Gott gibt.« Ob es Gott gibt, ist kontrovers. Wahrscheinlich ja, hat Richard Swinburne gesagt und ausführlich begründet. Wahrscheinlich nein, hat John L. Mackie gesagt und es annähernd ebenso ausführlich begründet. Für den, der an Gott glaubt, wird aus der wahrscheinlichen Hypothese unvermeidlich Gewißheit, weil er betet. Man kann nicht im Ernst dauerhaft und mit wachsender Intimität auf jemanden hören und mit jemandem sprechen, dessen Existenz den Status einer Hypothese hat. Und auch der Ungläubige läßt die Sache nicht in der Schwebe - er verzichtet auf die Realisierung einer solchen Beziehung. (Fs)

31a Die Geschichte der Argumente für die Existenz Gottes ist gewaltig. Immer haben Menschen versucht, sich der Vernünftigkeit ihres Glaubens zu versichern. Die Gottesbeweise zerfallen in zwei Gruppen. In der einen wird versucht, aus dem Inhalt der Gottesidee oder aber aus ihrem Vorhandensein im menschlichen Bewußtsein auf die Realität dessen zu schließen, was in dieser Idee gedacht wird. Anselm von Canterbury, Descartes und Hegel sind die Namen, die sich mit diesem »ontologischen Argument« verbinden. Thomas von Aquin und Kant hielten diesen Weg für ungangbar. Zwar ist Gott, wenn er ist, mit Notwendigkeit, und seine Existenz ist im Unterschied zu jeder anderen Existenz von vollkommener innerer Einsichtigkeit. Aber, so der Einwand, wir haben keine hinreichende Einsicht in das, was wir meinen, wenn wir »Gott« sagen, um eine solche apriorische Gewißheit erreichen zu können. Die andere Gruppe der Argumente ging von den Elementen der Erfahrung aus, die nicht verstehbar sind, ohne über sich hinaus auf ein Unbedingtes zu verweisen. Eine dritte Gruppe schließlich, für die Pascal, Kant und William James stehen, enthält nicht Argumente dafür, daß Gott existiert, sondern dafür, daß wir, angesichts einer theoretischen Pattsituation, aus »existentiellen« Gründen besser beraten sind, an die Existenz Gottes zu glauben, als nicht daran zu glauben - also aus Gründen, die Sinjawskij nicht gelten lassen möchte. (Fs)

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21. Seit Hume, spätestens aber seit Nietzsche befindet sich die Argumentation für das Dasein Gottes in einer neuen Situation. Die klassischen Gottesbeweise versuchten zu zeigen, daß es wahr ist, daß Gott ist. Sie setzten voraus, daß es Wahrheit gibt und daß die Welt verstehbare, dem Denken zugängliche Strukturen besitzt. Diese haben ihren Grund zwar im göttlichen Ursprung der Welt, aber sie sind uns unmittelbar zugänglich und deshalb geeignet, uns zu diesem Grund zu führen. Diese Voraussetzung wird seit Hume und vor allem seit Nietzsche bestritten. Nietzsche schrieb, »daß auch wir Aufklärer, wir freien Geister des 19. Jahrhunderts, unser Feuer noch von dem Christenglauben nehmen, der auch der Glaube Platons war, daß Gott die Wahrheit, daß die Wahrheit göttlich ist«. Aber eben dieser Gedanke ist für Nietzsche eine Selbsttäuschung. Es gibt nicht Wahrheit, es gibt nur nützliche und schädliche Idiosynkrasien. »Wir müssen uns nicht einbilden, daß die Welt uns ein lesbares Gesicht zuwendet«, heißt es bei Foucault, und bei Richard Rorty: »Ein höheres Forschungsziel namens Wahrheit gäbe es nur dann, wenn es so etwas wie eine letzte Rechtfertigung gäbe, also keine Rechtfertigung vor einem bloß endlichen Auditorium menschlicher Hörer, sondern eine Rechtfertigung vor Gott.« Mit der Idee Gottes wird auch die einer wahren Welt hinfällig, mit dem intellectus archetypus auch das »Ding an sich« - für Kant das, was so ist, wie es für den intellectus archetypus ist. Rorty ersetzt inzwischen Erkenntnis durch Hoffnung auf eine bessere Zukunft, wobei nicht einmal mehr gesagt werden kann, worin diese bestehen soll und worin die Eignung der Mittel zu diesem Ziel. Denn zumindest Aussagen hierüber müßten ja wahr zu sein versuchen. (Fs)

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22. In dieser Situation können Argumente dafür, das Absolute als Gott zu denken, nur noch Argumente ad hominem sein. Sie gehen nicht von unbezweifelbaren Prämissen aus, um zu ebenso unbezweifelbaren Schlußfolgerungen zu kommen. Sie sind holistisch. Sie zeigen die wechselseitige Abhängigkeit der Überzeugung vom Dasein Gottes und von der Wahrheitsfähigkeit, also Personalität des Menschen auf und suchen gleichzeitig nach Zustimmung für beides - im Gegensatz zu der Dialektik von Naturalismus und Spiritualismus, die heute unsere Zivilisation bestimmt. Die beherrschende Macht in ihr ist ein abstraktes, transzendentales Subjekt, genannt »die Wissenschaft« auf der einen Seite, die anscheinend unabhängig von allen natürlichen, biologischen und psychischen Bedingtheiten ist. Sie reduziert die Welt auf subjektlose Objektivität. Sie erklärt uns, was wir als Menschen sind, indem sie uns erklärt, wie wir entstanden sind. Das Wahre und das Gute sind unter diesem Aspekt nichts als überlebensdienliche Idiosynkrasien; sogenannte Erkenntnisse sind nicht Repräsentationen dessen, was erkannt wird, sondern kausale Wirkungen von etwas, das gerade nicht erkannt wird. Daraus folgt, daß auch alle Ideen von personaler Selbstbestimmung Selbstmißverständnisse sind. Aber auch dies könnten wir ja, wenn es so wäre, nicht »wissen«. Wenn Gott ist, verhält es sich anders. Dann ist eine »natürliche« Erklärung nicht gleichbedeutend mit einer reduktionistischen, weil die Natur selbst sich einer unvordenklichen Freiheit verdankt und in der Hervorbringung freier, wahrheitsfähiger und zurechnungsfähiger Wesen nur zu dem zurückkehrt, was sie im Ursprung ist. Wenn Gott ist, können wir sein, wofür wir nicht umhin können, uns zu halten: Personen. Wenn wir das nicht wollen, gibt es kein Argument, das uns vom Dasein Gottes überzeugen könnte. Auch wenn wir es wollen, gibt es allerdings keine Nötigung, an Gott zu glauben. Es bleibt uns immer die Alternative, auf Verstehen zu verzichten, also darauf zu verzichten, das, als was wir uns selbst erfahren, in Einklang zu bringen mit dem, was die Wissenschaft über uns sagt. Wir können Hermeneutik und Naturgeschichte unvermittelt lassen. Es bleibt immer die Möglichkeit der intellektuellen Resignation:

Ich habe mich oft gefragt
Und keine Antwort gefunden
Woher das Sanfte und das Gute kommt.
Weiß es auch jetzt noch nicht Und muß nun gehn.
Gottfried Benn

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