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Autor: Spaemann, Robert

Buch: Das unsterbliche Gerücht

Titel: Das unsterbliche Gerücht

Stichwort: Gottesgerücht 07; Gottesliebe: Freude, dass Gott ist; Sinn der Welt außerhalb ihrer (Wittgenstein); Nietzsche, Übermensch (Erdfloh): funktionales Äquivalent für Gott; moralische Konsequenz aus d. Existenz Gottes (Sartre); Konsequenzialismus

Kurzinhalt: Es macht eben diesen Unterschied: Gott ist oder er ist nicht... Es gibt allerdings eine moralische Konsequenz aus dem Glauben an Gott. Wenn Gott ist, müssen Menschen tun, wovon Gott will, daß sie es wollen, ... Der Konsequenzialismus ist ein Bruch mit ...

Textausschnitt: 26a
17. Freude darüber, daß Gott ist, heißt in der traditionellen Sprache Gottesliebe. Sie ist mehr als der abstrakte moralische Universalismus, der das eigene Interesse zu relativieren bereit ist. Sie ist eine Verwandlung des Interesses selbst. Für die christlichen Mystiker, aber auch für Luther war die resignatio in infernum, die Akzeptanz der eigenen Verdammnis, wenn sie der Wille Gottes ist, ein Durchgangsstadium und Prüfstein dieser Verwandlung. Wenn Gott ist, dann ist dies das Wichtigste. Wo immer mein Schicksal mich hinführt, wie sinnvoll oder sinnlos mein Leben verläuft, der Sinn selbst, das Heilige und Schöne ist und ist unzerstörbar. »Der Sinn der Welt muß außerhalb ihrer liegen. In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert - und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert. Wenn es einen Wert gibt, der Wert hat, so muß er außerhalb alles Geschehens und So-Seins liegen, denn alles Geschehen und So-Sein ist zufällig. Was es nicht zufällig macht, kann nicht in der Welt liegen, denn sonst wäre dies wieder zufällig. Es muß außerhalb der Welt liegen.« (Wittgenstein) »Freude am Glück eines anderen«, so definiert Leibniz Liebe. Es gehört zum Begriff Gottes, ihn als glücklich zu denken und deshalb als gut. (Fs) (notabene)

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18. Nietzsche hat diese Freude verstanden, wenn er es als das »bis jetzt vornehmste und entlegenste Gefühl, das unter Menschen erreicht worden ist«, bezeichnete, den Menschen zu lieben um Gottes willen. Da er glaubte, daß es Gott nicht gibt, wollte er ein funktionales Äquivalent für ihn ersinnen, den Übermenschen. Die Alternative wäre sonst der banale Nihilismus des »letzten Menschen«, der wie der Erdfloh, nur noch mit der Manipulation eigener Lustzustände beschäftigt, am längsten lebt, mit virtuellen Welten als Onaniervorlage. Aber auch der Übermensch ist virtuell. Es gehört zur Funktion Gottes, durch keine Funktion definierbar, also auch durch kein funktionales Äquivalent substituierbar zu sein. Nicht also zu etwas gut, sondern derjenige, für den etwas gut sein muß, um gut zu sein. Zu jeder Funktion des Gottesglaubens gibt es auch eine Entgegensetzung. Gott ist Grund jedes unbedingten Anspruchs an den Menschen und zugleich Subjekt des Verzeihens jeder Schuld, er ist Legitimationsinstanz jeder den Menschen verpflichtenden Autorität und Legitimationsinstanz des Ungehorsams gegen jede Tyrannis, er ist Herr der Geschichte und Richter über die, die Geschichte »machen«. Der Glaube an Gott inspiriert die größten Anstrengungen, Leiden zu lindern, und die größte Bereitschaft, sie anzunehmen. Er motivierte die Ketzerrichter genauso wie die Ketzer. Er motiviert die Weltverbesserer, die Weltflüchtigen und die, die in der Welt nur ihre alltäglichen Pflichten tun. Er veranlaßt uns, alles, was wir tun, für Gott zu tun, und lehrt, daß wir mit nichts von dem, was wir tun, Gott etwas geben können. Er lehrt, sich anzustrengen und indifferent zu sein gegenüber dem Ergebnis der Anstrengung. Er lehrt, daß Gott in allem ist und alles in Gott, und er lehrt, daß er »jenseits« ist, außerhalb der Welt, »im Himmel«. Auf die Frage, welchen Unterschied es macht, ob Gott ist oder nicht, gibt es deshalb nur eine Antwort: Es macht eben diesen Unterschied: Gott ist oder er ist nicht. (Fs) (notabene)

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19. Es gibt allerdings eine moralische Konsequenz aus dem Glauben an Gott. Wenn Gott ist, müssen Menschen tun, wovon Gott will, daß sie es wollen, und dürfen nicht versuchen, die Rolle Gottes zu spielen als Herren dessen, was geschieht. Jean-Paul Sartre schreibt in seinen nachgelassenen Cahiers pour une morale, daß ein Atheist radikaler »Verantwortungsethiker« sein muß, bereit, jedes Verbrechen zu begehen, wenn es zum Besten der Menschheit ist. Der Versuch, sich saubere Hände und eine weiße Weste zu bewahren, ist nichts als moralischer Egoismus. Anders, so schreibt er, ist es für den Gläubigen. Er trägt in erster Linie Verantwortung für sein eigenes Leben, weil es für ihn eine Instanz gibt, vor der er sein Leben zu verantworten hat. Sein Versuch, sich nicht mit dem Bösen zu kompromittieren, ist nicht Egoismus, sondern Gottesdienst. Die Verantwortung für die Unterlassung von Verbrechen aber braucht er nicht zu tragen. Sartre hat diese Sache besser verstanden als ein großer Teil der heutigen christlichen, insbesondere katholischen Moraltheologen, die für die teleologische Moral des Konsequenzialismus optiert haben, nach welcher die sittliche Qualität einer Handlung die Funktion der Gesamtheit ihrer voraussichtlichen Folgen ist, also der Zweck die Mittel heiligt. Und wenn inzwischen sogar Bischöfe diejenigen als moralische Egoisten beschimpfen, die die neutestamentliche Forderung, »sich unbefleckt zu bewahren von dieser Welt«, ernst zu nehmen suchen, dann sollten sie vielleicht darüber nachdenken, ob nicht ein bestimmter Verantwortungsbegriff ebenso utopisch wie atheistisch ist. »Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt«, meinte Dostojewski. »Unter Umständen und eine gute Absicht vorausgesetzt«, fügt der Konsequenzialist hinzu. »Uns ist alles erlaubt«, sagte Lenin in der Überzeugung, daß er wisse, was für alle das Beste ist, und daß es keinen Gott gibt, der das weiß. Der Konsequenzialismus ist ein Bruch mit der Grundlage einer jahrtausendealten menschlichen Gesittung. Und er ist totalitär, weil er den, der zu wissen glaubt, was für alle das Beste ist, zum Herrn der Gewissen derer macht, die das nicht wissen. (Fs; tblStw: Ethik, Moral) (notabene)

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