Datenbank/Lektüre


Autor: Spaemann, Robert

Buch: Das unsterbliche Gerücht

Titel: Das unsterbliche Gerücht

Stichwort: Mensch: Innenperspektive - Außenperspektive (Beispiel: Lebensversicherung); Christentum: Innenseite (Paulus) - Außenseite; Glaube - Universalität d. Vernunft

Kurzinhalt: Über die menschlichen Dinge kann man auf zweifache Weise sprechen, aus der Innen- und aus der Außenperspektive... Die Außenperspektive verspricht mancherlei Erkenntnisse, aber sie lebt von der Innenperspektive.

Textausschnitt: Vorwort

7a Über die menschlichen Dinge kann man auf zweifache Weise sprechen, aus der Innen- und aus der Außenperspektive. Stellen wir uns beispielsweise ein junges Paar vor, das einen Lebensversicherungsvertrag abschließt. Worum es dabei geht, ist klar: Die beiden wollen im Alter eine bestimmte Summe ausgezahlt bekommen und sich so gegen das Abgleiten in Armut schützen. Ob der Vertrag sinnvoll war, zeigt sich erst, wenn der Versicherungsfall eintritt und das Geld ausgezahlt wird. Die jungen Leute müssen einstweilen auf die Bonität der Versicherungsgesellschaft vertrauen und glauben, daß die Liquidität ausreichend ist. Allerdings hat ein solcher Vertrag auch eine Außenseite, die von der Berechtigung dieses Vertrauens unabhängig ist. Das Verhalten des Paares kann Gegenstand soziologischer und psychologischer Untersuchungen sein. Man kann untersuchen, wie viele junge Paare eine solche Versicherung abschließen und von welchen Faktoren dies abhängt. Man kann nach der Rückwirkung eines solchen Vertrags auf den gegenwärtigen Lebensstil der Menschen fragen, auf ihr Lebensgefühl, auf ihr Konsumverhalten, auf die Stabilität ihrer Beziehung, auf ihre Risikobereitschaft sowie ihre Bereitschaft, Kinder in die Welt zu setzen. Die Außenperspektive verspricht mancherlei Erkenntnisse, aber sie lebt von der Innenperspektive. Wäre das Paar nicht überzeugt, daß die Versicherung imstande ist, den Vertrag bei Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen, dann würde es den Vertrag nicht abschließen, und alle anderen Gesichtspunkte wären gegenstandslos. (Fs)

8a In diesem Sinn schreibt der Apostel Paulus an die Korinther: »Wäre Christus nicht auferstanden, dann wäre unsere Hoffnung vergeblich.« (1 Kor 15,14) Die christliche Religion ist nämlich in der gleichen Lage wie alle menschlichen Dinge, eine Innenseite und eine Außenseite zu haben. Ihre Innenseite ist der Glaube an die Wirklichkeit Gottes und die Hoffnung auf das ewige Leben bei Gott. Aber solange sie lebendiger Glaube an diese Wirklichkeit ist, erfüllt sie zugleich vielfältige soziale und psychische Funktionen: Sie wirkt auf den Lebensstil der Menschen und auf ihre seelische Befindlichkeit zurück. Aber sie kann von diesen Wirkungen her nicht definiert werden. Sie steht und fällt mit ihrem kognitiven Gehalt. »Das ist das ewige Leben«, sagt Christus im Johannesevangelium, »daß sie dich, den allein wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus.« (Joh 17,3) Und der oft zitierte Satz aus dem ersten Timotheusbrief »Gott will, daß alle Menschen gerettet werden ...« ist nicht vollständig und deshalb irreführend ohne seinen zweiten Teil »...und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.« (1 Tim 2,4) (Fs) (notabene)

8b Die Welt ist pluralistisch und war es immer. In einer pluralistischen Welt aber konkurrieren unvermeidlich Innen- und Außenperspektive miteinander. Wer Leute tanzen sieht, aber die Musik nicht hört, der versteht die Bewegungen nicht, die da vollführt werden. Und wer den christlichen Glauben nicht teilt, wird geneigt sein, ihn durch etwas anderes als durch die Wahrheit seines Gegenstandes zu erklären. Verstehen wird er den Gläubigen letzten Endes nicht. Wer in der Innenperspektive lebt, hält sich an die Worte des heiligen Paulus: »Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen.« (1 Kor 2,15) (Fs) (notabene)

9a Wer aber unfähig ist, sich in die Außenperspektive zu versetzen, von denen aus die christliche Religion eine Weltsicht unter anderen ist, der wird zum Sektierer oder zum Fanatiker, der sich gegen die Universalität der Vernunft verschließt. Der christliche Glaube beansprucht die gleiche Universalität wie die Vernunft. Ja, er verlangt von der Vernunft, hinter ihrem Begriff nicht zurückzubleiben, und konstatiert, daß sie dahinter zurückbleibt, wenn sie die Frage nach Gott ausspart. Aber er weiß auch, daß das Urteil des »geistlichen Menschen« als universelle, jegliche Außenperspektive integrierende Wahrheit erst am Ende aller Zeiten offenbar werden wird. (Fs)

9b Unterdessen entspricht es der Wahrheit der Dinge, die Sprachen beider Perspektiven zu sprechen, je nach den Umständen, in denen wir uns befinden, und den Menschen, mit denen wir sprechen. Die hier versammelten Texte tun das. Es sind darunter Überlegungen >von außen<, die eher der Religionswissenschaft zugeordnet sind, aber auch Vorträge, in denen Jesus >der Herr< genannt wird und die sich an Mitchristen wenden, die wissen, wer gemeint ist. Und es sind schließlich Texte darunter, in denen sich der Verfasser auf der Grundlage eines prinzipiell allen Menschen offenstehenden rationalen Diskurses mit dem Nachdenken über Gott an Hörer oder Leser wendet, die zu solchem Nachdenken bereit sind. Er glaubt nämlich, daß - entgegen dem großen Pascal - der Gott der Philosophen kein anderer ist als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, so wie der Morgenstern kein anderer Stern ist als der Abendstern. Mit Platon denkt der Verfasser, daß der ein sehr kümmerlicher Mensch sein muß, der nicht bereit ist, gründlich über das nachzudenken, was, wenn es wahr ist, das Wichtigste, ja das allein wirklich Wichtige ist (Platon, Phaidon 85 b). Und wiederum ist es Platon, der einen Gesprächspartner des Sokrates sagen läßt, es komme darauf an, »die beste und unwiderleglichste der menschlichen Meinungen darüber zu nehmen und darauf wie auf einem Brett zu versuchen, durch das Leben zu schwimmen, solange jemand nicht sicherer und gefahrloser auf einem festeren Fahrzeug oder auf einem göttlichen Logos reisen kann« (Phaidon 86 a). Das festere Fahrzeug mag die Philosophie sein. Der Glaube, daß der göttliche Logos Fleisch geworden ist, damit man auf ihm reisen könne, ist nach Augustinus das einzige, was »die unsrigen« von den Platonikern unterscheidet. Platon selbst ist von dieser Unterscheidung nicht betroffen, weil das Ereignis zu seiner Zeit noch nicht geschehen war. (Fs)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt