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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Der neue Bund und die Gnade, I-II 106-114

Titel: F12_106 - Vom Gesetz des Evangeliums oder dem Neuen Gesetz, in sich selbst betrachtet (mit Einleitung)

Stichwort: Sth12q106a1; 1. Ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz?; Neuer Bund: das Vorzüglichste (Gnade d. Hl. Geistes), Vorbereitung (Belehrung), Auswirkung

Kurzinhalt: Ein jeglich Ding scheint das zu sein, was in ihm das Vorzüglichste ist ... Das Vorzüglichste aber im Gesetz des Neuen Bundes ... ist die Gnade des Heiligen Geistes ... so ist das Neue Gesetz hauptsächlich ... die Gnade des Heiligen Geistes Gnade selbst...

Textausschnitt: 106. FRAGE
VOM GESETZ DES EVANGELIUMS ODER DEM NEUEN GESETZ, IN SICH SELBST BETRACHTET

Im folgenden ist eine Erwägung anzustellen über das Gesetz des Evangeliums, das auch das Neue Gesetz genannt wird;und zwar zuerst das Neue Gesetz an sich, zweitens das Neue Gesetz im Vergleich zum Alten Gesetz, drittens das, was im Neuen Gesetz enthalten ist. (Fs)

Zum Ersten ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Wie ist es beschaffen, geschrieben oder eingegeben?
2. Von seiner Kraft: Macht es gerecht?
3. Von seinem Anfang: Hätte es schon zu Beginn der Welt gegeben werden müssen?
4. Von seiner Dauer: Wird es bis ans Ende der Welt dauern oder muß ihm noch ein anderes Gesetz folgen?

1. ARTIKEL
Ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz?

1. Das Neue Gesetz ist das Evangelium selbst. Das Evangelium aber ist geschrieben: „Dies aber ist geschrieben, damit ihr glaubt" (Jo 20,31). Also ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz. (Fs)

2. Das eingegebene Gesetz ist das Naturgesetz; nach Röm 2,14 f.: „Von Natur aus erfüllen das Gesetz, die das Werk des Gesetzes in ihren Herzen eingeschrieben tragen." Wäre also das Gesetz des Evangeliums ein eingegebenes Gesetz, so würde es sich nicht vom Naturgesetz unterscheiden [1]. (Fs)

3. Das Gesetz des Evangeliums ist denen eigen, die im Stand des Neuen Bundes leben. Das eingegebene Gesetz aber ist denen gemeinsam, die im Neuen und im Alten Bunde leben. Es heißt nämlich Wsh 7, 27: Die göttliche Weisheit „überträgt sich von Geschlecht zu Geschlecht in heilige Seelen und macht sie zu Freunden Gottes und zu Propheten". Also ist das Neue Gesetz nicht das eingegebene Gesetz. (Fs)

ANDERSEITS ist das Neue Gesetz das Gesetz des Neuen Bundes. Das Gesetz des Neuen Bundes aber ist ins Herz eingegeben. Der Apostel führt nämlich Hb 8,8 die Stelle aus Jer 31,31 an: „Siehe, es werden Tage kommen, spricht der Herr, da werde Ich über das Haus Israel und das Haus Juda einen Neuen Bund vollbringen." Und er erklärt (Hb 8,10 nach Jer 31,33), was für ein Bund das sei: „Dies ist der Bund, den Ich mit dem Hause Israel schließen werde: Ich werde meine Gesetze in ihren Geist geben und sie in ihr Herz schreiben." Also ist das Neue Gesetz ein eingegebenes Gesetz. (Fs)

Respondeo

ANTWORT: Ein jeglich Ding scheint das zu sein, was in ihm das Vorzüglichste ist (Aristoteles). Das Vorzüglichste aber im Gesetz des Neuen Bundes, das, was seine ganze Kraft ausmacht, ist die Gnade des Heiligen Geistes, die durch den Glauben an Christus verliehen wird. Und so ist das Neue Gesetz hauptsächlich des Heiligen Geistes Gnade selbst, die den Christgläubigen gegeben wird. Das spricht der Apostel offensichtlich Röm 3,27 aus: „Wo ist also dein Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Durch das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens." Er nennt nämlich die Gnade des Glaubens „Gesetz". Noch ausdrücklicher heißt es Röm 8,2: „Das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich in Christus Jesus vom Gesetze der Sünde und des Todes befreit." Daher sagt auch Augustinus im 'Buch vom Geist und Buchstaben': „Wie das Gesetz der Werke auf Steintafeln geschrieben wurde, so ist das Gesetz des Glaubens in die Herzen der Gläubigen geschrieben." Und an anderer Stelle sagt er im selben Buche: „Was sind die Gesetze Gottes, die Gott selbst in die Herzen geschrieben hat, wenn nicht die Gegenwart des Heiligen Geistes selbst?" (Fs)

Das Neue Gesetz hat aber auch einiges, was auf die Gnade des Heiligen Geistes vorbereitet, und einiges, was zum Auswirken dieser Gnade gehört. Das sind gleichsam zweitrangige Dinge im Neuen Gesetz. Über sie müssen die Gläubigen in Wort und Schrift belehrt werden, sowohl in bezug auf das, was sie glauben, als auch in bezug auf das, was sie tun sollen. So muß man also sagen: Das Neue Gesetz ist hauptsächlich ein eingegebenes Gesetz, und erst in zweiter Linie ein geschriebenes Gesetz. (Fs)

Ad objectiones

Zu 1. Im Evangelium ist nichts enthalten, was nicht zur Gnade des Heiligen Geistes gehören würde, ob es nun ihren Empfang vorbereitet oder ihre Auswirkung ordnet. Zur Vorbereitung des Verstandes durch den Glauben, durch den die Gnade des Heiligen Geistes verliehen wird, enthält das Evangelium jene Wahrheiten, die zur Offenbarung der göttlichen und menschlichen Natur Christi gehören. Zur Vorbereitung des Herzens aber ist im Evangelium das enthalten, was zur Verachtung der Welt gehört; denn durch sie wird der Mensch der Gnade des Heiligen Geistes fähig. „Die Welt" nämlich, d. h. die Liebhaber der Welt, „kann den Heiligen Geist nicht fassen" (Jo 14,17). Die Auswirkung der geistlichen Gnade aber besteht im tugendhaften Handeln, zu dem das Neue Testament die Menschen auf vielfache Weise ermahnt [2]. (Fs) (notabene)

Zu 2. Auf zweifache Weise ist etwas dem Menschen eingegeben: einmal als etwas, das zur Natur des Menschen gehört, und so ist das Naturgesetz dem Menschen eingegeben; auf andere Weise ist etwas dem Menschen eingegeben als gnadenhafte Zugabe zu seiner Natur, und auf diese Weise ist das Neue Gesetz dem Menschen eingegeben. Und zwar zeigt es nicht nur, was zu tun sei, an, sondern hilft auch, es zu erfüllen. (Fs) (notabene)

Zu 3. Niemand besaß jemals die Gnade des Heiligen Geistes, es sei denn durch den ausdrücklichen oder einschließenden Glauben an Christus. Kraft des Glaubens an Christus aber gehört der Mensch zum Neuen Bund. Wem immer daher das Gesetz der Gnade eingegeben wurde, der gehörte dadurch zum Neuen Bund [3]. (Fs) (notabene)

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