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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Ende d. Modernität 4b; Hobbes: Gesellschaft (offenes Feld von Rivalen); Glück (Machttriebe; den Nächsten überholen); Vertragssymbolik - Souverän (Verschmelzung v. Personen; Leviathan); Person, prosopon (Sich-Präsentieren); summum bonum - malum

Kurzinhalt: Wenn die Seelen nicht am Logos teilhaben können, dann wird der Souverän, der die Seelen in Schrecken versetzt, "das Wesen des Commonwealth" sein.

Textausschnitt: 248a Die Einzelheiten der Konstruktion sind wohl bekannt. Es wird genügen, die Hauptpunkte ins Gedächtnis zurückzurufen. Menschliches Glück ist für Hobbes ein kontinuierliches Fortschreiten des Begehrens von einem Objekt zum anderen. Es ist das Ziel des Menschen, "nicht nur einmal und für die Dauer eines Augenblicks zu genießen, sondern die Bahn seines künftigen Begehrens auf immer zu sichern":1 "So daß ich an die erste Stelle als allgemeine Neigung der Menschheit ein beständiges, ruheloses Begehren von Macht über Macht setze, das erst im Tode endet."2 Eine Vielheit von Menschen ist nicht eine Gemeinschaft, sondern ein offenes Feld rivalisierender Zentren des Machttriebs. Der ursprüngliche Machttrieb wird daher durch Mißtrauen gegenüber dem Nebenbuhler und durch die Lust, sich an der erfolgreichen Überwindung des anderen zu erfreuen, noch verstärkt.3 "Wir müssen annehmen, daß dieser Wettlauf kein anderes Ziel, keinen anderen Siegeskranz kennt als den, der Erste zu sein." In diesem Wettlauf "beständig überholt zu werden ist Unglück. Beständig den Nächsten überholen ist Glückseligkeit. Und die Laufbahn verlassen heißt Sterben."4 Leidenschaft, die sich am Vergleich steigert, ist Stolz.5 Dieser Stolz kann verschiedene Formen annehmen, deren wichtigste in der Analyse der Politik für Hobbes der Stolz war, göttliche Inspirationen zu haben oder generell im Besitz unbestrittener Wahrheit zu sein. Solcher Stolz im Exzess ist Wahnsinn.6 "Wenn ein Mann in Bedlam (Irrenhaus von London) dich mit vernünftigem Gespräch unterhalten würde und du beim Abschied wissen wolltest, wer er sei, um ein andermal seine Höflichkeit erwidern zu können, und er dir sagen würde, er sei Gott Vater, dann, meine ich, bedürfte es keiner ungewöhnlichen Handlung mehr, um seinen Wahnsinn zu beweisen."7 Wird aber solcher Wahnsinn gewalttätig und versuchen die von der Inspiration Besessenen, sie anderen aufzuzwingen, so wird das Ergebnis in der Gesellschaft "das aufrührerische Gebrüll einer aus den Fugen geratenen Nation sein."8 (Fs) (notabene)

249a Da Hobbes Ordnungsquellen in der Seele nicht anerkennt, kann die Inspiration nur durch eine Leidenschaft ausgetrieben werden, die noch stärker ist als der Stolz, ein Paraklet zu sein, und das ist die Furcht vor dem Tode. Der Tod ist das größte Übel. Wenn das Leben nicht durch die Ausrichtung der Seele auf ein summum bonum geordnet werden kann, muß Ordnung sich auf die Furcht vor dem summum malum9 gründen. Aus der gegenseitigen Furcht erwächst die Bereitschaft, sich durch Vertrag einer Regierung zu unterwerfen. Wenn die vertragschließenden Parteien übereinkommen, eine Regierung zu haben, "übertragen sie all ihre Macht und Stärke einem Manne oder einer Versammlung von Männern, welche all ihren Willen durch Stimmenmehrheit auf einen einzigen Willen reduzieren kann."10 (Fs) (notabene)

250a Der Scharfsinn Hobbes zeigt sich am deutlichsten in seiner Erkenntnis, daß die Vertragssymbolik, die er in Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten des siebzehnten Jahrhunderts verwandte, nicht das Wesentliche an der Sache ist. Der Zusammenschluß zu einem Gemeinwesen unter einem Souverän mag sich in Rechtsform vollziehen, aber seinem Wesen nach ist er eine psychologische Wandlung der sich zusammenschließenden Personen. Die Hobbes'sche Konzeption des Prozesses, durch welchen eine politische Gesellschaft existent wird, kommt der Auffassung Fortescues über die Schaffung eines neuen corpus mystycum durch die Eruption eines Volkes ziemlich nahe. Die Vertragspartner schaffen nicht etwa eine Regierung, die sie als Einzelpersonen repräsentiert. Durch den Vertragsakt hören sie auf, selbstbestimmende Personen zu sein und lassen ihre Machttriebe in einer neuen Person, dem Gemeinwesen, aufgehen, und der Träger dieser neuen Person, ihr Repräsentant, ist der Souverän. (Fs) (notabene)

251a Diese Konstruktion machte einige Distinktionen hinsichtlich der Bedeutung des Wortes "Person" erforderlich. "Eine Person ist derjenige, dessen Worte oder Handlungen entweder als seine eigenen angesehen werden oder als solche, welche die Worte und Handlungen eines anderen Menschen oder einer anderen Sache repräsentieren." Repräsentiert er sich selbst, so ist er eine natürliche Person; repräsentiert er einen anderen, so wird er eine künstliche Person genannt. Die Bedeutung des Wortes "Person" wird auf das lateinische persona und das griechische prosopon zurückgeführt, auf das Gesicht, die äußere Erscheinung oder die Maske des Schauspielers auf der Bühne. "So daß eine Person dasselbe ist wie ein Schauspieler, auf der Bühne wie auch in der gewöhnlichen Unterhaltung, und als Person auftreten heißt darstellen oder repräsentieren, sich selbst oder einen anderen."11 (Fs) (notabene)

eg, Lonergan, Constitution.doc.61/1:
"18 Beginning with St Thomas, 'person' has been defined as 'a distinct subsistent in an intellectual nature.' (41; Fs)
'Nature', in the Aristotelian sense, is the principle of motion and rest in that in which it (motion or rest) exists of itself and not by accident.
'Nature' in another sense, a medieval sense, is a substantial essence considered in relation to operation. (41; Fs)
A nature is intellectual when by understanding and willing it can operate within the entire realm of being. It makes no difference, either, if 'nature' is taken in the Aristotelian or in the later sense. (41; Fs)
A person, therefore, is that which subsists as distinct in an intellectual nature.
62/1 Accordingly, since a person subsists, beings that do not subsist are not persons; therefore the intrinsic principles of being, accidents, possible beings, and 'beings of reason' are all excluded from the formality of person. (41; Fs)

Because a person is a distinct subsistent, whatever subsists without being distinct in every respect is not a person. Thus God, who is subsistent existence itself, is not some fourth person in addition to the Father, the Son, and the Holy Spirit. (41; Fs)

251b Dieser Begriff der Person gestattet es Hobbes, den sichtbaren Bereich repräsentativer Worte und Taten von dem unsichtbaren Bereich der Seelenvorgänge zu trennen, was zur Folge hat, daß die sichtbaren Worte und Aktionen, die immer von einem bestimmten, physischen Menschen herrühren müssen, auch Einheiten psychischer Vorgänge repräsentieren können, die aus der Wechselwirkung menschlicher Einzel-Seelen hervorgehen. Im Naturstand hat jeder Mensch seine eigene Person, in dem Sinne, daß seine Worte und Handlungen den Machttrieb seiner Leidenschaften repräsentieren. Im Zivilstand werden die menschlichen Einheiten von Leidenschaft gebrochen und zu einer neuen Einheit, genannt das Commonwealth, verschmolzen. Die Handlungen der menschlichen Individuen, deren Seelen sich vereinigt haben, können die neue Person nicht repräsentieren; deren Träger ist der Souverän. Die Schaffung dieser Person des Commonwealth, betont Hobbes, ist "mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung", wie dies aus der Vertragssprache vermutet werden könnte. Denn die menschlichen Einzelpersonen hören zu existieren auf und verschmelzen zu der einen Person, die vom Souverän repräsentiert wird. "Das ist die Zeugung des großen Leviathan, oder vielmehr, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unseren Frieden und unseren Schutz verdanken." Die vertragschließenden Menschen kommen überein, "ihren Einzelwillen seinem Willen, und ihr Einzelurteil seinem Urteil zu unterwerfen." Diese Verschmelzung von Einzelwillen ist "eine reale Einheit ihrer aller"; denn der sterbliche Gott "hat die Verfügungsgewalt von so viel Macht und Stärke auf sich übertragen, daß deren Schreckwirkung ihn in die Lage versetzt, ihrer aller Willen zu gestalten zum Frieden im Lande und zur gegenseitigen Unterstützung gegen äußere Feinde."12 (Fs) (notabene)

252a Der Stil der Konstruktion ist hervorragend. Wenn angenommen wird, daß die menschliche Natur nichts weiter als leidenschaftliche Existenz ohne ordnende Kräfte der Seele ist, wird tatsächlich das Grauen vor der Vernichtung zur alles beherrschenden Leidenschaft, welche die Unterwerfung unter eine Ordnung erzwingt. Wenn der Stolz sich nicht der Dike beugen oder durch die Gnade erlöst werden kann, muß er durch den Leviathan gebrochen werden, der "König aller Kinder des Stolzes" ist.13 Wenn die Seelen nicht am Logos teilhaben können, dann wird der Souverän, der die Seelen in Schrecken versetzt, "das Wesen des Commonwealth" sein.14 Der "König der Stolzen" muß den amor sui brechen, dem nicht durch den amor Dei geholfen werden kann.15 (Fs) (notabene)

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