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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 5a; Theorie der Repräsentation bei Hobbes (Leviathan); Kampf um d. existentielle Repräsentation; Christentum - Naturrecht; Fehlen für ein Verständnis d. Wahrheit d. Seele

Kurzinhalt: Wie kann die christliche theologia supranaturalis als theologia civilis eingesetzt werden? Durch diesen sonderbaren Versuch brachte Hobbes ein Problem ans Licht, das bei unserer Analyse der genera theologiae und deren Konflikt im Römischen Imperium ...

Textausschnitt: 5. Die Theorie der Repräsentation bei Hobbes

211a Die englische Revolution ließ deutlich werden, daß der Kampf gnostischer Revolutionäre um die existentielle Repräsentation die öffentliche Ordnung einer großen Nation zu zerstören vermag - falls ein derartiger Beweis nach den acht Bürgerkriegen in Frankreich und dem Dreißigjährigen Krieg in Deutschland noch nötig war. Das Problem der öffentlichen Ordnung verlangte dringend nach theoretischer Neubehandlung, und diese Aufgabe fand in Thomas Hobbes1 einen Denker, der ihr gewachsen war. Die neue Repräsentationstheorie, die Hobbes in seinem Leviathan entwickelte, erkaufte zwar ihre eindrucksvolle Geschlossenheit um den Preis einer Simplifizierung, die selbst in die Klasse gnostischer Missetaten gehört. Wenn aber ein scharfer und unnachgiebiger Denker vereinfacht, wird er dennoch eine neue Klarheit in die Frage bringen. Die Vereinfachung kann berichtigt werden, während die neue Klarheit einen dauernden Gewinn darstellt. (Fs)

212a Die Hobbes'sche Repräsentationstheorie trifft ins Herz des Übels. Auf der einen Seite findet sich eine politische Gesellschaft, die ihre etablierte Ordnung in historischer Existenz aufrechterhalten will; auf der anderen stehen innerhalb der Gesellschaft die einzelnen Individuen, welche die öffentliche Ordnung im Namen der neuen Wahrheit notfalls mit Gewalt ändern wollen. Hobbes löste diesen Konflikt, indem er entschied, daß es keine öffentliche Wahrheit außer dem Gesetz von Friede und Eintracht in einer Gesellschaft gäbe. Eine Meinung oder Lehre, die Zwietracht fördert, war dadurch als unwahr erwiesen.2Um seine Entscheidung zu stützen, verwandte Hobbes das folgende Argunment: (Fs)

(1) Im Bewußtsein des Menschen gibt es einen Befehl der Vernunft, der ihn zu Friede und Gehorsam im Rahmen einer bürgerlichen Ordnung geneigt macht. Die Vernunft läßt ihn erstens erkennen, daß er sein natürliches Leben, das sein weltliches Glück erstrebt, nur dann zu Ende leben kann, wenn er mit seinen Mitmenschen in Frieden lebt. Zweitens läßt sie ihn erkennen, daß er nur dann in Frieden und ohne Mißtrauen gegen die Absichten der anderen leben kann, wenn jedermanns Leidenschaften durch die stärkere Gewalt eines Zivilregimes zu gegenseitiger Duldung gebändigt werden.3 (Fs)
(2) Dieser Befehl der Vernunft wäre jedoch nichts weiter als ein Lehrsatz ohne verpflichtende Kraft, wenn er nicht als das Hören des Gotteswortes verstanden würde, als Seinen Befehl, der sich in der Seele des Menschen kundtut. Nur sofern die Stimme der Vernunft als göttlicher Befehl aufgefaßt wird, ist er Naturrecht.4 (Fs)

(3) Dieses Naturrecht schließlich ist nicht ein Recht, das tatsächlich die menschliche Existenz beherrscht, noch ehe die Menschen, in denen es als eine Friedensneigung lebt, seine Vorschrift befolgt und sich zu einer zivilen Gesellschaft unter einem öffentlichen Repräsentanten, dem Souverän, zusammengeschlossen haben. Erst nachdem sie übereingekommen sind, sich einem gemeinsamen Souverän zu unterstellen, ist das Naturrecht tatsächlich zum Recht einer Gesellschaft in historischer Existenz geworden.5 "Das Naturrecht und das Zivilrecht schließen also einander ein und sind einander gleich in der Ausdehnung."6 (Fs)

213a Die existentielle und transzendente Repräsentation treffen bei der Artikulierung einer Gesellschaft zu geordneter Existenz zusammen. Durch ihren Zusammenschluß zu einer politischen Gesellschaft unter einem Repräsentanten verwirklichen die sich verbündenden Glieder die göttliche Seinsordnung in der menschlichen Sphäre.7 (Fs)

214a In dieses etwas leere Gefäß einer politischen Gesellschaft gießt nun Hobbes den westlich-christlichen Zivilisationsgehalt, indem er ihn durch den Engpaß der Sanktion, die der souveräne Repräsentant erteilt, fließen läßt. Die Gesellschaft kann wohl ein christliches Commenwealth sein, weil das in der Schrift geoffenbarte Wort Gottes sich nicht in Widerspruch mit dem Naturrecht befindet.8 Dennoch werden der zu rezipierende Schriftkanon9, die ihm aufzuerlegende dogmatische und rituelle Interpretation10, wie auch die Organisationsform der geistlichen Hierarchie11 ihre Autorität nicht aus der Offenbarung beziehen, sondern daraus, daß der Souverän sie mit Gesetzeskraft ausstattet. Diskussionsfreiheit betreffend die Wahrheit der menschlichen Existenz in der Gesellschaft wird es nicht geben. Öffentliche Außerung von Meinungen und Doktrinen unterliegt der Regelung und ständigen Kontrolle durch die Regierung. "Denn die Handlungen der Menschen entspringen ihren Meinungen. In der rechten Lenkung ihrer Meinungen besteht also die rechte Lenkung der menschlichen Handlungen im Hinblick auf ihren Frieden und ihre Eintracht." Darum hat der Souverän darüber zu entscheiden, wer öffentlich zu einer Zuhörerschaft sprechen darf, über welches Thema und mit welcher Tendenz. Außerdem wird eine präventive Buchzensur für nötig erachtet.12 Im übrigen besteht Freiheit für die friedlichen Geschäfte der Bürger, denn dies ist der Zweck, zu dem sich die Menschen in einer zivilen Gesellschaft zusammenschließen.13

215a Bei der Beurteilung der Hobbes'schen Repräsentationstheorie muß man die Fallstricke des politischen Jargons unserer Zeit vermeiden. Nichts wird gewonnen, wenn man die Theorie auf die Waagschalen von Freiheit und Autorität legt, und nichts durch eine Klassifizierung Hobbes' als Absolutisten oder Faschisten. Eine kritische Interpretation muß sich an die von Hobbes selbst in seinem Werk aufgezeigten theoretischen Absichten halten. Diese Absichten lassen sich aus dem folgenden Passus entnehmen: (Fs)

Denn es ist.offensichtlich auch für den Geringstbefähigten, daß die Handlungen der Menschen aus ihren Meinungen erwachsen, die sie über das Gute oder Böse haben, das sich aus diesen Handlungen für sie selbst ergibt. Infolgedessen werden Menschen, sobald sie von der Meinung besessen sind, ihr Gehorsam gegenüber der souveränen Macht sei ihnen schädlicher als ihr Ungehorsam, die Gesetze mißachten, dadurch das Gemeinwesen zugrunderichten und Verwirrung und Bürgerkrieg auslösen, zu deren Verhütung das Zivilregime ja doch eingesetzt wurde. Aus diesem Grunde wurde in allen heidnischen Gemeinwesen der Souverän als "Hirte des Volkes" bezeichnet, weil es keinen Untertanen gab, der berechtigt gewesen wäre, das Volk zu unterweisen, es sei denn mit der Erlaubnis und Ermächtigung des Souveräns. (Fs)

215b Und es kann nicht die Absicht des Christentums sein, so fährt Hobbes fort, die Souveräne "der zur Bewahrung des Friedens unter ihren Untertanen und zur Verteidigung gegen auswärtige Feinde erforderlichen Macht" zu berauben.14 (Fs)

216a Aus diesem Passus wird Hobbes' Absicht erkennbar, das Christentum (das als substantiell identisch mit dem Naturrecht verstanden wird) als eine englische theologia civilis im varronischen Sinne zu etablieren. Im ersten Moment scheint eine solche Absicht in sich selbst widerspruchsvoll zu sein. Wie kann die christliche theologia supranaturalis als theologia civilis eingesetzt werden? Durch diesen sonderbaren Versuch brachte Hobbes ein Problem ans Licht, das bei unserer Analyse der genera theologiae und deren Konflikt im Römischen Imperium in der Schwebe geblieben war. Bei Gelegenheit dieser Analyse machten wir darauf aufmerksam, daß Ambrosius und Augustinus merkwürdig verständnislos dafür waren, daß ein Christ auf dem Thron unter ihrer Führung die Heiden genau so behandeln würde, wie heidnische Kaiser vormals die Christen behandelt hatten. Sie faßten das Christentum als eine dem Polytheismus überlegene Wahrheit der Seele auf, erkannten aber nicht, daß die römischen Götter die Wahrheit der römischen Gesellschaft symbolisierten, daß mit dem Kult eine Kultur zerstört wurde, wie Celsus dies begriffen hatte, daß ein existentieller Sieg des Christentums nicht eine Bekehrung von Einzelpersonen zu einer höheren Wahrheit war, sondern daß damit einer Gesellschaft eine neue theologia civilis gewaltsam auferlegt wurde. Im Falle Hobbes' ist die Situation umgekehrt. Wenn er das Christentum unter dem Aspekt seiner substantiellen Identität mit dem Diktat der Vernunft behandelt und die Autorität des Christentums aus der Sanktion der Regierung ableitet, so zeigt er damit, daß ihm genau so merkwürdig das Verständnis für den Sinn des Christentums als Wahrheit der Seele abgeht, wie den Vätern das Verständnis für den Sinn der römischen Götter als einer Wahrheit der Gesellschaft fehlte. Um zur Wurzel dieser Merkwürdigkeiten vorzudringen, wird es nötig sein, das epochale Ereignis des Öffnens der Seele nochmals zu

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