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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Die gnostische Revolution 2; Hooker: Charakteristik des Puritaners; "cause" (Waffe d. P.); Anprangerung d Übelstände; Erzeugung einer vernunftresistenten Haltung

Kurzinhalt: Diese Aufgabe läßt sich psychologisch dadurch bewältigen, daß jeder Fehler und Übelstand, der infolge der menschlichen Schwäche unvermeidlich ist, der Tätigkeit oder Untätigkeit der Regierung zugeschrieben wird.

Textausschnitt: 2. Hookers Charakteristik des Puritaners

189a Um eine Bewegung in Gang zu bringen, bedarf es vor allem eines Mannes, der eine Sache, cause, verficht. Aus dem Zusammenhang bei Hooker geht hervor, daß der Ausdruck cause noch nicht lange in der Politik gebraucht wurde und daß wahrscheinlich die Puritaner diese gewaltige Waffe der gnostischen Revolutionäre selbst eingeführt haben. Um seine Sache voranzutreiben, wird ihr Verfechter "in Hörweite der Menge" scharfe Kritik an den sozialen Übelständen und insbesondere an dem Verhalten der oberen Schichten üben. Häufige Wiederholung wird unter den Hörern die Ansicht hervorrufen, die Sprecher seien ausgezeichnet durch Integrität, Eifer und Heiligkeit, denn nur Menschen, die ausnehmend gut sind, könnten sich durch das Böse so tief verletzt fühlen. Der nächste Schritt besteht darin, den Unwillen des Volkes auf die bestehende Regierung zu konzentrieren. Diese Aufgabe läßt sich psychologisch dadurch bewältigen, daß jeder Fehler und Übelstand, der infolge der menschlichen Schwäche unvermeidlich ist, der Tätigkeit oder Untätigkeit der Regierung zugeschrieben wird. Indem sie auf diese Weise alles Übel der Welt einer bestimmten Institution zur Last legen, erbringen die Sprecher der breiten Masse gegenüber, die von sich aus niemals an einen derartigen Zusammenhang gedacht hätte, den Beweis für ihre eigene Klugheit; und zugleich weisen sie auf den Punkt, der anzugreifen ist, um das Übel aus der Welt zu schaffen. Nach solcher Vorbereitung wird die Zeit gekommen sein, um eine neue Regierungsform als das "unfehlbare Heilmittel aller Übelstände" anzupreisen. Denn Menschen, die "von Abneigung und Unzufriedenheit gegen die bestehenden Dinge" erfaßt sind, sind verblendet genug, "sich einzubilden, daß alle Dinge (deren Vorteile sie rühmen hören) ihnen helfen, am meisten aber jene, die sie am wenigsten erprobt haben." (Fs)

190a Wenn eine Bewegung wie die puritanische sich auf die Autorität einer literarischen Quelle - in diesem Fall der Bibel - stützt, so müssen deren Führer sodann "die Vorstellungen und Ideen der Menschen auf solche Weise" formen, daß die Anhänger automatisch Schriftstellen und biblische Ausdrücke mit ihrer eigenen Lehre in Verbindung bringen, wie schlecht begründet diese Verbindung auch sein mag, und ebenso automatisch blind sind gegenüber dem Inhalt der Schrift, der mit ihrer Doktrin unvereinbar ist. Darauf folgt der entscheidende Schritt zur Konsolidierung einer gnostischen Haltung, d. h. "das Überzeugen leichtgläubiger Menschen, die für angenehme Irrtümer dieser Art aufgeschlossen sind, daß sie kraft besonderer Erleuchtung durch den Heiligen Geist jene Dinge in der Schrift zu erkennen vermögen, die andere zwar lesen, aber nicht erkennen". Sie werden sich selbst als die Auserwählten fühlen; aus diesem Gefühl erwächst "eine schroffe Trennung zwischen ihnen und dem Rest der Welt"; und in der Folge wird die Menschheit sich in "die Brüder" und "die Weltlichen" scheiden. (Fs)

190b Wenn die gnostische Erfahrung konsolidiert ist, ist das soziale Rohmaterial für die existentielle Repräsentation durch einen Führer vorbereitet. Denn - so fährt Hooker fort - solche Menschen werden die Gesellschaft ihrer eigenen Leute derjenigen der übrigen Welt vorziehen, sie werden bereitwillig Ratschläge und Weisungen von den Meistern der Lehre annehmen, sie werden ihre eigenen Angelegenheiten zurückstellen, ein Übermaß an Zeit dem Dienst der Sache widmen und den Führern der Bewegung großzügige materielle Hilfe zukommen lassen. Eine besonders wichtige Funktion bei der Formierung solcher Gemeinschaften kommt den Frauen zu, weil sie schwach im Urteil und gefühlsmäßig zugänglicher sind, taktisch eine günstige Stellung zur Beeinflussung von Gatten, Kindern, Dienstboten und Freunden einnehmen, weil sie besser als Männer für eine Art Nachrichtenorgan zur Erkundung der Stimmung innerhalb ihres Kreises geeignet und freigebiger in finanziellen Hilfeleistungen sind. (Fs) (notabene)

191a Ist ein soziales Milieu dieser Art erst einmal organisiert, dann wird es schwer, wenn nicht unmöglich sein, es durch Überredung wieder aufzubrechen. "Öffnet irgendjemand mit einer gegenteiligen Meinung den Mund, um sie zu überzeugen, so werden sie ihre Ohren verschließen, sie werden seine Worte nicht erwägen, auf alles werden sie mit einer Wiederholung der Worte des Johannes antworten: 'Wir sind von Gott; wer Gott kennt, hört uns'. Im übrigen seid ihr von der Welt. Denn was ihr sprecht, ist der Welt hohler Prunk und leerer Wahn, und die Welt, der ihr angehört, hört auf euch." Sie sind Vernunftgründen unzugänglich und verfügen über wohleinstudierte Antworten. Gibt man ihnen zu verstehen, daß sie unfähig seien, über solche Dinge zu urteilen, so werden sie antworten: "Gott hat die Einfältigen auserwählt." Zeigt man ihnen überzeugend, daß sie Unsinn reden, so wird man die Antwort zu hören bekommen: "Auch der Apostel Christi wurde für wahnsinnig gehalten." Versucht man die vorsichtigste Mahnung zur Disziplin, so werden sie sich über die "Grausamkeit blutdürstiger Männer" auslassen und sich in die Rolle der "um der Wahrheit willen verfolgten Unschuld" versetzen. Kurz, ihre Haltung ist psychologisch unangreifbar und durch Vernunftgründe nicht zu erschüttern.1 (Fs)

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