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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 8; d. Monotheismus des Philo: Parallelkonstruktion: imperiale Monarchie - göttlicher Weltmonarchie; Eusebius (Christus - Augustus, pax romana); Imperium - Problem d. Trinität (Arius); Ende: politischer Theologie: Kirche

Kurzinhalt: Der göttliche monarchische Herrscher des Kosmos regiert die Welt durch seine geringeren Abgesandten in der gleichen Weise, wie der persische Großkönig sein Reich durch die Satrapen in den Provinzen regiert. Philo paßte diese Konstruktion ...

Textausschnitt: 8. Der metaphyische Monotheismus des Philo

145a Der Glaube, das Christentum ließe sich dazu benützen, der politischen Theologie des Imperiums entweder allein oder in Verbindung mit der heidnischen Konzeption eines Summus Deus neue Impulse einzuflößen, sollte bald enttäuscht werden. Dennoch hatte dieser Glaube seinen guten Grund, insofern er sich auf eine christliche Tendenz stützen konnte, den einen Gott des Christentums in der Richtung auf einen metaphysischen Monotheismus hin zu interpretieren.1 Daß man sich auf dieses Experiment einließ, war eine verständliche Versuchung auf dem Wege der östlichen Religionen, als diese sich in der hellenistischen Umwelt fanden und anfingen, sich in der Sprache der griechischen Spekulation auszudrücken. Tatsächlich war die christliche Entwicklung in dieser Richtung nicht die erste dieser Art, sie folgte vielmehr dem Beispiel des Philo Judaeus, und Philo hatte schon die vorbereitenden peripatetischen Spekulationen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts zur Verfügung. Aristoteles hatte in seiner Metaphysik folgenden Grundsatz formuliert: "Die Welt hat nicht den Wunsch, schlecht regiert zu werden; die Herrschaft vieler ist nicht gut, einer sei der Herr."2 In der peripatetischen Literatur vor Philo, für die das repräsentative Beispiel das pseudo-aristotelische De mundo ist, wurde dieser Grundsatz zu den großen Parallelkonstruktionen von imperialer Monarchie und göttlicher Weltmonarchie ausgearbeitet.3 Der göttliche monarchische Herrscher des Kosmos regiert die Welt durch seine geringeren Abgesandten in der gleichen Weise, wie der persische Großkönig sein Reich durch die Satrapen in den Provinzen regiert.4 Philo paßte diese Konstruktion seinem jüdischen Monotheismus an, um ein Instrument für die Propaganda des Judentums als Ein-Gott-Kult im Imperium zu schaffen.5 In offensichtlicher Anlehnung an eine peripatetische Quelle macht er den jüdischen Gott zu einem "König der Könige" im persischen Sinne, während alle anderen Götter in den Rang untergeordneter Herrscher versetzt wurden.6 Er wahrte sorgfältig die Stellung der Juden als des auserwählten Volkes, aber zog sie geschickt aus ihrer metaphysischen Sackgasse, indem er den Dienst Jahwes zum Dienst des Gottes machte, der den Kosmos im peripatetischen Sinne regiert.7 Er bezog sich sogar auf Platons Timaeus, um Jahwe zum Gott zu machen, der die Ordnung, die taxis der Welt, im konstitutionellen Sinne herstellt.8 Indem die Juden diesem Gott dienen, dienen sie ihm stellvertretend für die Menschheit. Und als er den Passus aus der aristotelischen Metaphysik mit dem homerischen Vers zitierte, betonte er nachdrücklich, daß der Vers für die kosmische wie für die politische Herrschaft zu gelten habe.9 (Fs)

148a Philos Spekulation wurde von christlichen Denkern übernommen.10 Die Anpassung an die christliche Situation im Imperium erreichte durch Eusebius von Caesarea in der Zeit Konstantins ihre volle Entfaltung.11 Eusebius war, wie viele christliche Denker vor und nach ihm, stark beeindruckt von dem zeitlichen Zusammenfallen des Erscheinens Christi mit der Befriedung des Imperiums durch Augustus. Sein großes historisches Werk war zum Teil von seinem Interesse an der vorsehungsbestimmten Unterjochung ehemals unabhängiger Nationen durch die Römer motiviert. Als die autonome Existenz der politischen Gebilde im Mittelmeerraum durch Augustus beseitigt war, konnten die Apostel des Christentums unbehelligt das ganze Gebiet des Imperiums durchziehen und das Evangelium predigen. Sie hätten ihre Mission kaum durchführen können, wenn nicht der Zorn der "Abergläubischen der Polis" durch die Angst vor der Macht der Römer in Schach gehalten worden wäre.12 Die Errichtung der pax romana war überdies nicht nur von pragmatischer Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums, sondern dem Eusebius schien sie eng verknüpft mit den Mysterien des Gottesreiches. In der vorrömischen Zeit, so meinte er, hätten Nachbarn nicht in wahrer Gemeinschaft gelebt, sondern wären in ständige Streitigkeiten miteinander verwickelt gewesen. Augustus habe die pluralistische Polyarchie aufgelöst. Durch seine Monarchie habe sich Friede über die Erde gebreitet in Erfüllung der biblischen Verheißungen aus Mich 4,4 und PS 71,7. Kurz, Eusebius übertrug die eschatologischen Prophezeiungen des Friedens Gottes ins Politische dadurch, daß er sie auf eine pax Romana bezog, die historisch mit der Erscheinung des Logos zusammenfiel.13 Und schließlich betrachtete Eusebius das Werk, das Augustus begonnen hatte, als von Konstantin vollendet. In seiner Rede zum Tricennium pries er Konstantin, weil er in seiner imperialen Monarchie dem Vorbild der göttlichen gefolgt sei: der eine basileus auf Erden repräsentiere den einen Gott, den einen König im Himmel, den einen Nomos und Logos.14 Das war in der Tat eine Rückkehr zur imperialen Repräsentation der kosmischen Wahrheit. (Fs)

149a Die Harmonie konnte nicht von Dauer sein. Sie mußte in die Brüche gehen, sobald Christen mit wacherem Sinn sich des Problems annahmen. Die Frage trat durch den Kampf um die Christologie in ihre kritische Phase ein. Celsus hatte über die Christen gespottet, weil sie ihren eigenen Monotheismus nicht ernst nähmen und in Christus einen zweiten Gott hätten.15 Das war in der Tat die große Frage, die in der christologischen Debatte entschieden werden mußte, als sie durch die Häresie des Arius aufgerührt worden war. Es mußten die Symbole gefunden werden, um den einen Gott als drei Personen in einer interpretieren zu können: und wenn das Trinitätsproblem einmal verstanden war, wurden Konstruktionen wie die des Eusebius unmöglich. Begreiflicherweise neigten die Kaiser und Hoftheologen zur Seite der Arianer; denn die trinitarische Debatte störte ernsthaft die monotheistische Ideologie, von der die Auffassung vom Kaiser als dem Repräsentanten des einen Gottes abhing. Nachdem der Widerstand des Athanasius, unterstützt von den Westchristen, der trinitarischen Symbolik zum Sieg verholfen hatte, konnten die Spekulationen über eine Parallelität der himmlischen und der irdischen Monarchie nicht weitergeführt werden. Der Begriff der göttlichen Monarchie verschwand nicht aus dem Sprachgebrauch, erhielt aber eine neue Bedeutung. Gregor von Nazianz beispielsweise erklärte, die Christen glaubten an die göttliche Monarchie, aber - so fuhr er fort - sie glaubten nicht an eine einzige Person in der Gottheit, denn eine solche Gottheit wäre eine Quelle der Zwietracht. Die Christen glaubten an die Dreieinigkeit, und diese Dreieinigkeit Gottes habe in der Schöpfung nicht ihresgleichen. Die eine Person eines imperialen Monarchen könne nicht die dreieinige Gottheit repräsentieren.16 In welchem Maße es unmöglich geworden war, in der Politik mit der Idee eines dreieinigen Gottes zu operieren, mag an einer Begebenheit aus der Regierungszeit Konstantins IV. Pogonatus (668-85) veranschaulicht werden: die Armee verlangte, daß er seine beiden Brüder zu Mitkaisern mache, damit es auf Erden eine Repräsentanz der göttlichen Trinität gebe.17 Dies klingt eher wie ein Scherz denn wie ein ernst hafter Vorschlag, und es war vielleicht unvermeidlich, daß im Verlaufe der Ereignisse den zweiten und dritten Personen der kaiserlichen Trinität die Nasen abgeschnitten wurden. (Fs) (notabene)

151a Die andere brillante Idee des Eusebius, nämlich der Gedanke, in der pax Romana die Erfüllung eschatologischer Prophezeiungen zu erblicken (ein Gedanke, der stark an Ciceros Neigung erinnert, die vollkommene Ordnung der Philosophen durch Rom verwirklicht zu sehen), mußte unter dem Druck der Wirren des Zeitalters zerfallen. Doch mag der Kommentar des Augustus zur Prophezeiung in PS 45,10 als Beleg für die formelle Gegenposition der Orthodoxen dienen. Die Prophezeiung lautet: "Er macht, daß Kriege aufhören bis ans Ende der Erde." Hierzu erklärt Augustinus: "Dies sehen wir noch nicht verwirklicht. Bisher haben wir Kriege. Unter den Nationen sind es Kriege um die Vorherrschaft. Ferner gibt es auch Kriege zwischen den Sekten, zwischen Juden, Heiden, Christen und Häretikern, und diese Kriege nehmen sogar zu; auf der einen Seite wird für die Wahrheit gekämpft, auf der anderen für die Lüge. In keiner Hinsicht wurde das Aufhören der Kriege bis ans Ende der Erde erfüllt. Aber vielleicht, so hoffen wir, wird es noch erfüllt werden."18 (Fs) (notabene)

151b Das ist das Ende der politischen Theologie im orthodoxen Christentum. Das spirituale Schicksal des Menschen im christlichen Sinne kann auf Erden nicht durch die Machtorganisation einer politischen Gesellschaft, es kann nur durch die Kirche repräsentiert werden. Die Sphäre der Macht wurde einem radikalen Prozeß der De-Divinisation unterworfen, sie war temporal geworden. Die zweifache Repräsentation des Menschen in Gesellschaft durch Kirche und Reich bestand durch das ganze Mittelalter hindurch. Die spezifisch modernen Repräsentationsprobleme hängen mit der Re-Divinisation der Gesellschaft zusammen. Die nächsten drei Kapitel werden sich mit diesen Problemen beschäftigen. (Fs)

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