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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 6; Die Schwächen der sakramentalen Bindung; Sol Invictus, Gebet des Licinius; Hendrik Berkhof, konstantinische Wende; homo-ousios, Konstantin

Kurzinhalt: Seine Wirksamkeit beruhte darauf, daß das Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne erlebt wurde. Der neue Augustus erkannte das Problem.

Textausschnitt: 6. Die Schwächen der sakramentalen Bindung

139a Der vom patrozinialen zum imperialen erweiterte Prinzipat war die Einrichtung, die den neuen Herrscher zum existentiellen Repräsentanten der weiträumigen Ansammlung eroberter Gebiete und Völkerschaften machte. Es versteht sich, daß dies ein nicht sehr stabiles Instrument war. Seine Wirksamkeit beruhte darauf, daß das Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne erlebt wurde. Der neue Augustus erkannte das Problem. Seine Gesetzgebung zur religiösen und sittlichen Reform muß zum Teil als der Versuch verstanden werden, sakrale Gefühle, welche bereits zur Zeit von Varros Antiquitates im Schwinden waren, neu zu stärken. Angesichts der unübersehbaren orientalischen Bevölkerung war dies eine hoffnungslose Aufgabe, vor allem da diese Völker des Ostens in stets wachsender Zahl nach Rom einströmten und trotz aller Verbote an ihren nichtrömischen Kulten festhielten. Die Aufgabe wurde noch hoffnungsloser, als sogar nichtrömische Kaiser den Thron bestiegen, als auf die Julische Dynastie die aus der Provinz stammenden Flavier, die Spanier, die Syrer und die Illyrer folgten. (Fs) (notabene)

140a Das Mittel, um den Mangel des Sakralen in der Position des Kaisers zu beheben, ließ sich nur langsam auf Umwegen über Experimente und Mißerfolge finden. Die Vergöttlichung des Kaisers nach dem Vorbild des hellenistischen Königtums erwies sich als ungenügend. Es mußte auch entschieden werden, welche göttliche Macht aus der Masse der kultischen Gottheiten im Reich er repräsentierte. Unter dem Druck dieses Problems machte die religiöse Kultur der römischen Mittelmeerländer einen Prozeß durch, der gewöhnlich Synkretismus oder theokrasia, d. h. Verschmelzung von Gottheiten genannt wird. Diese Entwicklung steht keineswegs vereinzelt da. Dem Wesen nach ist es derselbe Prozeß, den die nahöstlichen Reiche zu früherer Zeit durchgemacht hatten, nämlich der Prozeß der Neuinterpretation der Unmenge lokaler Kultgottheiten in dem politisch geeinten Gebiet als Erscheinungen des einen höchsten Gottes, der damit zum Reichsgott wurde. Unter den eigenartigen Verhältnissen des kulturell buntgewürfelten römischen Staatsgebietes war es gewiß nicht leicht, mit solch einem höchsten Gott zu experimentieren. Einerseits durfte dieser Gott keine begriffliche Abstraktion sein, sondern mußte in einer verständlichen Beziehung zu einem oder mehreren der konkret erlebten Götter, welche als hohe Götter galten, stehen. Wenn aber andererseits seine Beziehung zu einem konkret vorhandenen Gott zu eng wurde, so gefährdete dies seinen Wert als der über allen Einzelgöttern stehende Gott. Der Versuch des Heliogabal (218-22), den Baal von Emesa als höchsten Gott in Rom einzuführen, mißlang. Ein beschnittener Caesar, der eine vestalische Jungfrau heiratete, um die Verbindung zwischen Baal und Tanit zu symbolisieren, erwies sich als zu starke Zumutung für die römische Tradition. Heliogabal wurde von seiner Prätorianergarde ermordet. Der Illyrer Aurelian (270-71) hatte mehr Erfolg, als er einen durch ein ausreichendes Maß von Unklarheit charakterisierten Sonnengott, den Sol Invictus, zum höchsten Gott des Imperiums und sich selbst zu dessen Abkömmling und Repräsentanten erklärte. Mit einigen Abänderungen, die unter Diokletian (284-305) erfolgten, hielt sich dieses System bis 313 n. Chr. (Fs)

141a Die Tatsache, daß der Reichskult Gegenstand von Experimenten war, darf jedoch nicht über den religiösen Ernst hinwegtäuschen, mit dem diese Experimente unternommen wurden. Der spätrömische Summodeismus war dem Christentum geistig nahe genug gekommen, um die Konversion fast zu einem leichten Übergang zu machen. Das Gebet des Licinius vor seiner Schlacht gegen Maximinus Daza im Jahre 313 ist noch erhalten. In der Nacht erschien Licinius ein Engel und sicherte ihm den Sieg zu, wenn er und die Armee es beten würden: (Fs)

Höchster Gott, wir beten zu Dir. Heiliger Gott, wir beten zu Dir. Alle Gerechtigkeit befehlen wir Dir, Unser Wohl befehlen wir Dir, Unser Reich befehlen wir Dir.
Durch Dich leben wir, durch Dich sind wir siegreich und erfolgreich. Höchster, heiliger Gott, erhöre unsre Gebete.
Wir erheben unsere Hände zu Dir, Erhöre uns, o heiliger, höchster Gott. (Fs)

142a Die Begebenheit und das Gebet werden uns von Lactantius berichtet1, wobei als bekannt vorausgesetzt wird, daß der Sieg auf einer ähnlichen Konversion wie der Konstantins im vorangegangenen Jahr beruhte. Das Christentum des Licinius ist in Anbetracht der antichristlichen Politik, die er in den folgenden Jahren führte, zumindest zweifelhaft, aber Lactantius schien dieses Gebet, das ebensogut von seinem heidnischen Gegner Maximinus hätte gesprochen werden können, ein Bekenntnis zum Christentum zu sein. (Fs)

142b Die genaue Bedeutung der überraschenden Wendung, die in den Jahren 311-13 dem Christentum die Freiheit brachte, ist noch immer umstritten. Die neueste Interpretation des holländischen Theologen Hendrik Berkhof scheint jedoch, soweit die Quellenlage dies gestattet, die mysteriöse Angelegenheit verständlich zu machen.2 Das beharrliche überleben der Christen trotz heftiger Verfolgungen überzeugte anscheinend die Regenten Galerius, Licinius und Konstantin davon, daß der Gott der Christen mächtig genug sei, um seine Anhänger im Unglück zu beschützen, daß er eine Realität sei, die mit Vorsicht behandelt werden müsse. Das Edikt des Galerius vom Jahre 311 erklärte, daß unter dem Druck der Verfolgungen die Christen weder ihre kultischen Pflichten gegenüber den offiziellen Göttern erfüllten noch ihren eigenen Gott in gebührender Form verehrten.3 Diese Beobachtung gab anscheinend den Ausschlag für den plötzlichen Umschwung in der Politik. Wenn der mächtige Gott der Christen von seinen eigenen Anhängern nicht gebührend verehrt wird, könnte er Rache nehmen und die Schwierigkeiten der Herrscher, die seine Verehrung verhindern, noch vergrößern. Das war das gute, alte römische Prinzip des do ut des.4 Das Edikt schrieb den Christen vor, daß sie als Gegenleistung für ihre neugewonnene Freiheit für den Kaiser, für das öffentliche Wohl sowie für ihr eigenes zu beten hätten.5 Dies war nicht eine Konversion zum Christentum, sondern vielmehr eine Einbeziehung des christlichen Gottes in das kaiserliche System der Divinitas.6 Das Edikt des Licinus vom Jahr 313 erklärte, daß die frühere christenfeindliche Politik revidiert worden sei, "so daß alles, was im himmlischen Wohnsitz divinitas ist, uns und allen, die unsrer Herrschaft unterstehen, günstig sei".7 Der kuriose Ausdruck divinitas war mit dem offiziellen Polytheismus und der Anerkennung des Summus Deus der Reichsreligion vereinbar, klang jedoch gleichzeitig monotheistisch genug, um auch Christen zufriedenzustellen. Daß die Bedeutung in der Schwebe blieb, war vermutlich beabsichtigt - man spürt die geschickte Hand Konstantins, der später in der christologischen Debatte auf dem erhaben bedeutungslosen Ausdruck homo-ousios bestand. (Fs) (notabene)

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