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Autor: Voegelin, Eric

Buch: Die neue Wissenschaft der Politik

Titel: Die neue Wissenschaft der Politik

Stichwort: Repräsentation im Römischen Reich 5; Augustus; Patronatsverhältnis als sakramentale Bindung im römischen Sinne -> Prinzipat; princeps civitatis, amicitia, clientella; Antonius, Oktavianus (Aktium)

Kurzinhalt: Das Prinzipat entstand somit dadurch, daß die Zahl der großen Patronats-Principes zunächst auf die drei des Triumvirats zusammenschmolz, dann auf Antonius und Oktavianus, bis schließlich der Sieger von Aktium diese Stellung als Monopol für sich ...

Textausschnitt: 5. Der princeps als existentieller Repräsentant

132a Die Kraft seiner archaischen Geschlossenheit sicherte Rom sein Überleben im Ringen um das Weltreich. Dieses erfolgreiche Überleben stellt jedoch eine der großen Fragen der Geschichte, nämlich die Frage, wie die Institutionen des republikanischen Rom - die an sich für die Organisation eines Weltreichs eben so wenig geeignet waren wie die Institutionen Athens oder einer anderen griechischen Polis - in solcher Weise gewandelt werden konnten, daß aus ihnen ein Kaiser als existentieller Repräsentant des den Mittelmeerraum umfassenden orbis terrarum hervorging. Der Umwandlungsprozeß ist in vielen Einzelheiten dunkel und wird es wegen der schlechten Quellenlage wohl für immer bleiben müssen. -Aber die sorgfältige Analyse und Auswertung der Materialien durch zwei Generationen von Gelehrten hat doch ein zusammenhängendes Bild des Prozesses erbracht, wie es sich in der eindringlichen Abhandlung über den Prinzipat von Anton von Premerstein findet.1 (Fs)

133a Die Hauptlast der Wandlung zur imperialen Herrschaft wurde nicht von der republikanischen Verfassung getragen. Zwar wurde die Zahl der Senatoren durch die Ernennung von Männern aus den Provinzen vermehrt, um dem Senat den Charakter einer Repräsentation des Imperiums zu geben, wie dies bereits durch Caesar geschehen war; auch wurde das Bürgerrecht auf Italien, und nach und nach auf andere Provinzen, ausgedehnt. Aber eine Entwicklung der Repräsentation durch Volkswahlen in den Provinzen des Imperiums war unmöglich angesichts der konstitutionellen Starrheit, die Rom ebenso wie den anderen Poleis eigentümlich war. Die Anpassung mußte sich auf soziale Institutionen außerhalb der eigentlichen Verfassung stützen; und die Hauptinstitution, die sich zum Amt des Kaisers entwickelte, war die des princeps civis oder princeps civitatis, des sozialen und politischen Führers. (Fs)

133b In der frühen republikanischen Geschichte bezeichnete der Ausdruck "princeps" einen führenden Bürger. Der Kern der Institution war das Patronat, ein Verhältnis, das durch Gunsterweisungen, wie politische Unterstützung, Darlehen, persönliche Geschenke entstand, die ein gesellschaftlich einflußreicher Mann einem Mann niedrigeren gesellschaftlichen Ranges, der solche Gunst nötig hatte, erwies. Durch Gewährung und Annahme solcher Gunstbezeigungen wurde eine unter der Sanktion der Götter stehende geheiligte Bindung zwischen zwei Männern geschaffen. Der Empfangende, der Klient, wurde Gefolgsmann des Schutzherrn, und ihr Verhältnis wurde durch fides, die Treue bestimmt. Es versteht sich, daß der Schutzherr ein Mann von sozialem Rang und Wohlstand sein mußte, ferner daß die Bildung einer größeren clientela das Vorrecht von Mitgliedern der patrizisch-plebejischen Nobilität war und daß die bedeutendsten Senatoren konsularischen Ranges zugleich die mächtigsten Schutzherren sein würden. Solche Schutzherren in den höchsten Rängen der Ämterhierarchie waren die principes civitatis. Einer von ihnen mochte ein Führer von unbestrittener Vorrangstellung sein, wenn er einer der alten Patrizierfamilien angehörte und das Amt eines princeps senates und unter Umständen auch noch das des pontifex maximus innehatte. Die römische Gesellschaft war also ein kompliziertes Gewebe von Gefolgschaftsverhältnissen. Sie war hierarchisch organisiert, da die Klienten eines mächtigen Schutzherrn selbst wiederum Schutzherren einer ansehnlichen clientela sein konnten. Ferner herrschte in ihr das Prinzip des Wettbewerbs, da die principes Rivalen im Kampf um die höchsten Ämter und allgemein um politische Mach waren.2 Der Inhalt der römischen Politik in der spätrepublikanischen Zeit war der Machtkampf wohlhabender Führer von Parteien, deren Grundlage das Patronatsverhältnis war. Unter solchen Führern waren dann Verträge möglich, die sogenannten amicitiae. Vertragsbruch führte zu entsprechenden Feindseligkeiten, den inimicitiae, denen die gegenseitige Anschuldigung, die altercatio, voranging. Zur Zeit der Bürgerkriege nahm die altercatio die Form propagandistischer, an die Öffentlichkeit gerichteter Schriften an, in denen das schimpfliche Verhalten des Gegners im einzelnen geschildert wurde. Eine solche inimicitia unterschied sich rechtlich von einem regulären Krieg, einem bellum justum des römischen Volkes gegen einen Staatsfeind. Der letzte Krieg des Octavianus gegen Antonius und Cleopatra beispielsweise wurde der Rechtsform nach Cleopatra gegenüber als regulärer Krieg, gegenüber Antonius und seiner römischen clientela aber als eine inimicitia geführt.3 (Fs) (notabene)

135a Die Umwandlung der ursprünglichen Institution des Prinzipates in einige wenige riesige Parteiorganisationen wurde durch die militärische Expansion Roms und die sich daraus ergebenden sozialen Veränderungen verursacht. Die Kriege des dritten Jahrhunderts mit ihren Eroberungen in Griechenland, Afrika und Spanien hatten das Nachschubwesen vor ein unlösbares Problem gestellt. Die überseeischen Gebiete konnten nicht von Armeen, die durch jährliche Aushebungen erneuert wurden, erobert und gehalten werden; es war unmöglich, die alten Kontingente jedes Jahr zurückzuholen und durch neue zu ersetzen. Die Provinzarmeen mußten zu Berufsheeren mit zehn- und zwanzigjähriger Dienstzeit werden. Die heimkehrenden Veteranen waren eine entwurzelte Masse, für die durch Landzuteilungen, Siedlungsunternehmen oder die Erlaubnis, in der Stadt Rom zu wohnen und die damit verbundenen Privilegien zu genießen, gesorgt werden mußte. Um solche Begünstigungen zu erlangen, mußten sich die Veteranen auf ihre militärischen Befehlshaber, die principes waren, verlassen, was zur Folge hatte, daß ganze Armeen zur clientela eines princeps wurden. Wenn irgendetwas für die Entwicklung des spätrepublikanischen Rom kennzeichnend ist, so ist es die Zähigkeit, mit der die Standesdisziplin des römischen Adels während eines ganzen Jahrhunderts durchhielt, ehe die mächtigen neuen Parteiführer sich gegen den Senat stellten und das politische Leben Roms zu einer privaten Auseinandersetzung unter sich machten. Überdies wurde es notwendig, infolge des ungeheuren Anwachsens der Zahl der Klienten sowie deren Vermehrung durch bewaffnete Formationen für Kriegsdienst und Straßenkämpfe die bisher formlosen Beziehungen durch eine besondere Eidesleistung, durch welche der Klient in fides an seinen Schutzherrn gebunden wurde, zu formalisieren. Zu diesem Punkt sind die Quellen besonders spärlich, aber es können doch solche Eide in steigender Zahl und Vielfalt nach dem Jahr 100 v. Chr. festgestellt werden.4 Schließlich wurde das Gefüge dieses Systems noch durch den erblichen Charakter der clientela bestimmt. Die Vererbung der clientela spielte im Zuge der Bürgerkriege des ersten vorchristlichen Jahrhunderts eine recht bedeutende Rolle. So kamen zum Beispiel Octavianus in seinen ersten Kämpfen gegen Antonius Caesars Veteranenkolonien in Campania sehr zugute, die, da er Caesars Erbe war, seine clientela geworden waren.5 Und das Siedlungsgebiet solcher ererbter Klientelen von Soldaten bestimmte sogar den Kriegsschauplatz. So mußten beispielsweise die Pompejaner in Spanien niedergekämpft werden, weil Pompejus seine Soldaten auf der Iberischen Halbinsel angesiedelt hatte.6 (Fs)

135a Das Aufkommen des Prinzipats kann somit als eine Fortentwicklung des Patronats bezeichnet werden, welches im übrigen in seiner bescheideneren Form bis tief in die Kaiserzeit hinein weiterbestand. Wenn der Schutzherr ein princeps civis war, so wurde seine clientela zum Werkzeug politischer Macht, und durch die Einbeziehung von Veteranenheeren wurde sie zum Werkzeug militärischer Macht, die mit den verfassungsmäßigen Streitkräften rivalisierte. Politischer Einfluß, Reichtum und die militärische clientela bedingten und steigerten einander wechselseitig, insofern als die politische Position das militärische Kommando sicherte, das zur Eroberung und Ausbeutung von Provinzen erforderlich war, während die Ausnutzung der Provinzen nötig war, uni die clientela mit Beutegut und Land zu versehen, und die Klientel wiederum für die Aufrechterhaltung des politischen Einflusses zu sorgen hatte. Als die Zahl der Rivalen sich auf einige wenige große Parteiführer verringert hatte, war der Punkt, an dem die konstitutionelle Legalität zerbrechen mußte, erreicht, besonders wenn Senat und die Magistrate unter sich in die rivalisierenden Klientelen gespalten waren. Im Leben eines jeden großen Parteiführers des letzten vorchristlichen Jahrhunderts kam die Zeit, da er sich zu entscheiden hatte, ob er die Grenze zwischen Legalität und Illegalität überschreiten wollte. Die berühmteste dieser Entscheidungen war Caesars Entschluß, über den Rubikon zu gehen.7 Und Oktavianus, ein kühler, berechnender Politiker, entschied sich dafür, seinen letzten Krieg gegen Antonius als inimicitia zu führen, da die Erklärung des Antonius zum Staatsfeind die gleiche Erklärung gegen ihn selbst hätte hervorrufen können, denn beide waren Konsuln, und ein Teil des Senats stand im Lager des Antonius. Die gegenseitige Erklärung der Rivalen zu Staatsfeinden hätte Rom gleichsam in zwei einander bekämpfende Staaten gespalten; und eine solche Erschütterung der Republik in ihren konstitutionellen Grundfesten hätte die gleichen katastrophalen Ergebnisse zeitigen können, wie die gleichgeartete Situation im Kampf auf Leben und Tod zwischen Caesar und Pompejus - die Ermordung des siegreichen Führers durch republikanische Schwärmer ein Jahr nach seinem Triumph. Das Prinzipat entstand somit dadurch, daß die Zahl der großen Patronats-Principes zunächst auf die drei des Triumvirats zusammenschmolz, dann auf Antonius und Oktavianus, bis schließlich der Sieger von Aktium diese Stellung als Monopol für sich in Anspruch nahm.8 (Fs)

138a Die Repräsentationsordnung Roms nach Aktium war eine geschickte Kombination der alten republikanischen Verfassung mit der neuen existentiellen Repräsentation der Bevölkerung des Imperiums durch den princeps. Die direkte Verbindung zwischen princeps und Volk wurde durch die Ausdehnung des Klienteneides auf das gesamte Volk gesichert. 32 v. Chr. hatte Oktavianus, ehe er in seinem Kampf mit Antonius eintrat, von Italien und den Westprovinzen einen solchen Eid, die sogenannte coniuratio des Westens gefordert. Dies war ein dem Octavianus pro partibus suis, d. h. als Parteiführer, geleisteter Eid.9 Für die Ausdehnung des Eides auf die Ostprovinzen, die nach Aktium erfolgt sein muß, sind keine Quellen greifbar.10 Jedenfalls wurde der dem princeps in der Form von 32 v. Chr. zu leistende Eid zu einer ständigen Einrichtung. Er wurde erneut den Nachfolgern des Augustus bei ihrer Thronbesteigung geleistet,11 und von Caius Caligula an wurde er alljährlich erneuert.12 Die vom Patronat her bestimmte Gliederung einer Gruppe in Führer und Gefolgsleute hatte sich ausgeweitet zur Form der Repräsentation eines imperialen Gebildes. (Fs)

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