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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 4; das einheitsstiftende Moment innerhalb d. "complexio oppositorum" (Ellipse); "Deus semper maior" (E. Przywara); Lateran ( "inter creatorem et creaturam ...");

Kurzinhalt: Die Hinzufügung des "Deus semper maior" zum analogischen "et - et" bringt nun erst in den katholischen Denkansatz etwas hinein, was man als entscheidende Konkretion und als wirklichkeitserfüllte Fassung des "et - et" und des Analogiegedankens ...

Textausschnitt: d. Das einheitsstiftende Moment

44b Innerhalb der "complexio oppositorum" ist ein einigendes Moment zu fordern, wenn die Polarität oder das Elliptische nicht in einer unbestimmten Zweiheit verbleiben und die Spannung sich nicht auflösen soll. Die Notwendigkeit dieses einheitsstiftenden Momentes lässt sich deutlicher ersehen, wenn man von der Barthschen Bezeichnung des katholischen Denkens als "dialektischem" Denken ausgeht. "Dialektik" meint hier den Tatbestand, wonach katholisches Denken zwischen den beiden Brennpunkten der Ellipse immer hin- und hergehe. Konkreter gefasst und an dem entscheidenden Beispiel des Verhältnisses von Gott und Welt (oder Gott und Mensch) illustriert, besagt dies: Die Welt ist ernst zu nehmen, aber nicht ohne Gott. Und umgekehrt: Gott ist in seiner Bedeutung nie aus dem Blick zu verlieren, aber auch Welt und Mensch sind in ihrer Wertigkeit nie zu übersehen. (Fs)

44c Allerdings: Wenn man bei diesen Aussagen und Forderungen bliebe, würde das Denken eigentlich unentschieden verlaufen. Es würde zwischen den Gegensätzen immer hin und her gehen. Jedem "Ja" auf der einen Seite würde das "Nein" von der anderen Seite her entgegengehalten werden. Es würde dann eigentlich niemals ein klares und eindeutiges "Ja" und kein sicheres, rechtschaffenes "Nein" herauskommen, sondern das berühmte "Jein", das allem dialektischen Denken tatsächlich der Möglichkeit nach eignet. (Fs)

45a Fr. Nietzsche hat dieses Hin- und Herschweben zwischen "Ja" und "Nein", das er vor allem in der Hegeischen Philosophie angelegt sah, als "Begriffs- und Wertunsauberkeit" bezeichnet und als "Feigheit vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein".1 Tatsächlich würde dieser Vorwurf eine ruhelose Dialektik treffen, die nie zu einem Halt und einer eindeutigen Position kommt, weil sie von jeder Position schon nach der anderen getrieben wird. In neuerer Zeit hat man dieses Denkverfahren gelegentlich auch als "abgehackte Dialektik" bezeichnet, die keine Einheit und Eindeutigkeit gewinnt. (Fs)

45b Nun kann man, aufs Ganze gesehen, dem katholischen Denken und Leben diesen Vorwurf kaum machen, weil es sich im Allgemeinen gerade dem äußeren Beobachter als einheitliches, entschiedenes Denken ausweisen wird, mit deutlichen Konsequenzen für Glauben und Sitte. Andererseits bleibt auf rein geistiger, theoretischer Ebene die Möglichkeit dieses Vorwurfs bestehen, wenn man nicht begründet, dass dieses Denken innerhalb des elliptischen "et - et" von einer vereinheitlichenden Kraft geprägt ist. Deshalb muss das katholische Denken wie auch seine Erstreckung in die Praxis um die Herausstellung des Einigungsmomentes bemüht sein oder um die Herausarbeitung dessen, was in der "complexio oppositorum" eigentlich die Kraft der "complexio", des Zusammenhaltes ist. (Fs)

45c Die Hervorhebung dieses Momentes ist auch aus einem anderen Grunde noch erforderlich, nämlich im Hinblick auf die vom evangelischen Denken immer gehegte Befürchtung, dass das katholische "et - et", paradigmatisch an der Beziehung "Gott und Mensch" zu erfassen, zu einer Gleichordnung und Gleichwertung dieser beiden Pole führt und damit zu einem Synergismus in der Gnadenlehre, zu einer Verwässerung in der Glaubenslehre, die mit Philosophie vermischt ist, und insgesamt zu einer Gleichstellung von Gott und Kreatur. Eine solche aber wäre in dem Augenblick, da sie anhebt, schon keine Gleichstellung mehr, sondern eine Degradierung Gottes; denn tatsächlich hat man Gott schon degradiert, wenn man ihn in einem ersten Ansatz dem Menschen auch nur gleichstellt. (Fs)

45d Aus allen diesen Gründen ist es notwendig, das einheitsstiftende Moment in dem "et - et" und dem "elliptischen Denken" zu erkennen und es immer präsent zu haben. Bei seiner Bestimmung ist die Möglichkeit auszuschließen, dass es in der Beziehung zwischen Gott und Welt oder zwischen diesen beiden "Polen" ein drittes geben könnte, das die Einheit beider garantiert. Dann existierte nämlich etwas, das über Gott steht. Diese Folgerung ist genauso unmöglich wie die andere, die darin eingeschlossen ist, dass nämlich im Hinblick auf dieses Dritte die beiden polaren Wirklichkeiten doch wieder auf eine Stufe zu stehen kämen und gleichgeordnet würden. Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg, nämlich den, dass man die einigende Kraft in Gott selbst gelegen sieht. (Fs)

46a Man muss bei der Polarität oder Dialektik zwischen Gott und Welt mit der Wahrheit ernst machen, dass Gott immer der unvergleichlich Größere bleibt, von dem her allein auch erklärt werden kann, dass das Denken innerhalb dieser Polarität ein bestimmtes, entschiedenes und eindeutiges Denken wird. Es liegt das auch schon im Analogiegedanken eingeschlossen, der offenbar für das katholische Denken so bedeutsam ist, dass er sogar eine lehramtliche Formulierung gefunden hat. Das IV. Lateranense vom Jahre 1215 hat in klassischer Diktion den Satz geprägt: "inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda", d. h.: "Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre" (DH 806). Dieser Satz erst bringt das für den Katholizismus typische Analogiedenken in seine richtige Fassung und zu seiner Eindeutigkeit. Hier ist nämlich Gott als das auch in der "Polarität" zum Geschöpf hin Überragende anerkannt. Daraufhin ist die von K. Barth vermutete Gefahr einer Bemächtigung Gottes durch das Analogiedenken, durch das Denken von unten her, grundsätzlich gebannt. Gott bleibt so zwar immer in Beziehung zur Welt und zum Menschen, und alles theologische Denken muss sich innerhalb dieser Beziehung bewegen; aber Er wird dadurch vom Geschöpf und vom theologischen Denken keinesfalls entmachtet, wie K. Barth argwöhnte, sondern Er bleibt trotz der Analogie als der Größere, als der Absolute anerkannt. (Fs)

46b Diesen Tatbestand hat E. Przywara, dessen Bedeutung für das moderne katholische Denken heute zu wenig gewürdigt wird, wiederum auf eine schlichte und doch bedeutsame Kurzformel gebracht. Er hat, zunächst mehr unter dem Aspekt des religiösen Lebens, aber durchaus auch die theologische Bedeutung treffend, den Grundsatz "Deus semper maior"2 aufgestellt. D. h.: Im Glauben wie im theologischen Denken des katholischen Christentums gilt zwar die Analogie und das "et - et"; aber beides gilt so, dass in allen Belangen, in allen Bereichen und bei allen Fragestellungen der Wirklichkeit Gottes der Vorrang eingeräumt bleiben muss. Dies meint natürlich nicht nur die Wirklichkeit Gottes als statisches Sein, sondern auch seine Forderungen, seinen Anspruch und sein Gebot. (Fs)

46c Die Hinzufügung des "Deus semper maior" zum analogischen "et - et" bringt nun erst in den katholischen Denkansatz etwas hinein, was man als entscheidende Konkretion und als wirklichkeitserfüllte Fassung des "et - et" und des Analogiegedankens bezeichnen darf; denn das "et - et" und der Analogiegedanke als solcher bleiben etwas Theoretisches und Abstraktes. Mit ihm kann man unaufhörlich im Denken von einem Pol zum anderen kreisen, ohne je eine feste Position einnehmen zu müssen und den Gedanken wirklich konkret zum Abschluss zu bringen. Mit dem Grundsatz des "Deus semper maior" dagegen ist die Befestigung des Denkens möglich, hier wird die Denkbewegung eindeutig, hier gelangt sie an ein sicheres Ziel. So wird sie konkret und zugleich auch objektiv. Weil das Gegenüber zwischen Gott und dem Menschen erhalten bleibt, aber vom Göttlichen immer umfasst wird, kann man immer erklären, dass ein Gedanke, ein Glaubenssatz, eine ethische Entscheidung nicht vom menschlichen Subjekt allein abhängt, sondern dass sie vom göttlichen Subjekt gefordert ist und ihm entsprechen muss. (Fs)

47a Wenn man diese Grundeinstellung auf das "Deus semper maior" ethisch auslegt und mehr in ethischen Kategorien interpretiert, wird man das Ganze als einen dem katholischen Denkansatz eigentümlichen Zug zur Entschiedenheit und zur Entscheidung interpretieren können, und zwar, wie H. Schlier formuliert, zur "entschiedenen Entscheidung".3 Das ist der Gegensatz zu einer Entscheidung, wie sie etwa im modernen existenzphilosophischen Denken bei K. Jaspers oder noch einseitiger bei J. P. Sartre erfolgt. Hier muss der Mensch sich auch dauernd entscheiden, wenn er sich selbst verwirklichen will. Aber jede Entscheidung ist von der vorhergehenden, von der zuvor getroffenen unabhängig. Sie kann genau das Gegenteil meinen und verwirklichen. Das ist in diesem existenzphilosophischen Denken möglich, weil es in ihm diesen einzigartigen, überhobenen Pol der Transzendenz, des Göttlichen nicht gibt. Gegenüber dem absoluten Gott kann man sich aber nicht in entgegengesetzter und völlig diskontinuierlicher Weise entscheiden. Hier gilt vielmehr im Gegenteil: Die Gott gegenüber gefällte Entscheidung muss durchgehalten werden. Freilich muss sie bei gewissen Situationen und neuen Anforderungen wiederholt werden, aber dann nicht in völlig beliebigen und voneinander gänzlich verschiedenen Entscheidungen. Das ist aufgrund des katholischen Ansatzes von der "entschiedenen Entscheidung" nicht möglich, es sei denn, um den Preis der Sünde. Das muss theoretisch an dieser Stelle eingeräumt werden, was aber ohne Preisgabe des Prinzips als solchen geschieht. Es besagt keinen Widerspruch gegen den Grundsatz, der je von einer Entscheidung für Gott ausgeht und die Entscheidung gegen Gott nur als Perversion versteht. (Fs)

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