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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 2; das katholische "und"; K. Barth (Analogia entis) vs. Balthasar (elliptisches Denken, Ellipse: 2 Brennpunkte);

Kurzinhalt: "Gott und Welt", "Natur und Gnade"; "Schrift und Überlieferung", "Tradition und Fortschritt", "Glaube und Werke", "Wort und Sakrament", "Wissen und Glaube", "Freiheit und Bindung", "Vernunft und Mysterium", "Individuum und Gemeinschaft", "Amt und ...

Textausschnitt: b. Das katholische "und" als Denkansatz

37c Trotzdem ist dies in neuerer Zeit getan worden, zumal im ökumenischen Gespräch. So hat K. Barth darauf hingewiesen und erklärt: "Darum, weil wir so anders aliter sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes alia", und so "kommt zu dem Streit über das quale hinzu der prinzipiell sekundäre Streit über das quantum".1 Die Aussage ist deshalb so bedeutsam, weil sie den Unterschied in den Sachen, also in den Lehren und Glaubensaussagen bereits weit ins Transzendentale hinein zurückverlegt, nämlich in einen Unterschied der Denkstile und der Denkformen der evangelischen und der katholischen Theologie. (Fs)

Kommentar (27.06.13), zu oben: "Darum, weil wir so anders aliter sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes alia". Bei Barth heißt es: "Darum, weil wir so anders, aliter, sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes, alia, kommt zu dem Streit über das quale hinzu der prinzipiell sekundäre Streit über das quantum, z.B. über den Vorrang der Funktionen der Kirche: (Quelle: The Digital Karl Barth Library)"

37b K. Barth hat näherhin den für das katholische Denken charakteristischen Grundstil in der Prägung des katholischen Denkens durch die " Analogia entis" vorgebildet gesehen, d. h. in jener urtümlichen Einstellung, nach der zwischen Gott und Welt eine Entsprechung besteht, eine Abbildung der Art, dass alles Endliche in sich ein Abbild des Unendlichen trägt, so dass der Menschengeist vom Endlichen auch zum Unendlichen aufsteigen könne. Der große evangelische Theologe vermerkte dazu weiter, dass im Verfolg dieser Grundeinstellung das katholische Denken zu einer Einheitsauffassung von Gott und Welt neige, in der immer die Gefahr drohe, dass sich der Mensch Gottes bemächtige. Deshalb konnte er gelegentlich auch sagen: "Ich halte die analogia entis für die Erfindung des Antichrist und denke, dass man ihretwegen nicht katholisch werden kann."2 Später hat er dieselbe Grunderkenntnis noch anders formuliert, aber in der Sache dasselbe gemeint, wenn er am katholischen Denken als charakteristisch herausstellte und zugleich auch kritisierte, dass es immer im "sowohl - als auch" vorangehe, dass es gegenüber der Wirklichkeit im Ganzen immer auf Verbindung bedacht sei, dass es eine "Theologie des 'und'" betreibe.3 (Fs) (notabene)

38a Schließlich konnte Barth gleichsam in einem neuen Ansatz das katholische Denken als "dialektisch" bezeichnen, was überraschend kommt, weil man die Dialektik heute vorwiegend mit Hegel und mit dem Marxismus in Verbindung bringt. In Wirklichkeit ist hier etwas Richtiges getroffen, was aber besser mit der Polarität des katholischen Denkens zu umschreiben wäre. (Fs)

38b Diese Kennzeichnung des katholischen Typus im Denken steht nicht vereinzelt da. Sie wird in späterer Zeit bestätigt etwa von W. Stählin, der das katholische "et - et" mit dem evangelischen "sola" vergleicht, aber dem ersteren weitgehend eine positive Bedeutung zuerkennt.4 In ähnlicher Richtung bewegt sich H. Asmussen mit einer Stellungnahme zum marianischen Thema, an dem sich dieses "et - et" besonders deutlich demonstrieren lässt.5 Über beide Arbeiten und ihre Berücksichtigung des katholischen Denkens hat sich in einer auf dieses Formale dringenden Besprechung H. Volk positiv geäußert.6 Er hat das "et - et" als rein formale Kennzeichnung des katholischen Denkens, sozusagen als Gerüst oder Skelett der katholischen Wirklichkeitserfassung gesehen und gewürdigt. (Fs)

38c Eine Vertiefung erfuhr die Fragestellung durch H. U. von Balthasar in seiner Auseinandersetzung mit K. Barth, die heute noch ihre Bedeutung für die Entscheidung von theologischen Grundsatzfragen besitzt.7 Nach v. Balthasar kann man in zuzutreffender Weise das katholische Glaubensdenken auch als ein "elliptische[s] Denken" bezeichnen. Das zuvor so bezeichnete "Gerüst" bekommt hier die Gestalt einer Ellipse, die zwei Brennpunkte besitzt. Auf dem Bogen einer Ellipse haben bekanntlich alle Punkte eine bestimmte, eindeutige Beziehung zu den beiden Brennpunkten. Die Summe der Abstände jedes beliebigen Punktes der Kurve zu den beiden Brennpunkten ist nämlich immer konstant. Von daher beweist dann das katholische Glaubensdenken auch eine merkwürdige Konstanz. Wenn man die Punkte auf der Ellipse mit der Vielzahl der Probleme vergleicht, die sich in Geschichte und Gegenwart diesem Denken gestellt haben und stellen, so darf man sagen, dass diese Probleme wegen der Verknüpfung mit den beiden Brennpunkten in den Lösungen nie gänzlich gegeneinander stehen, sondern miteinander verbunden bleiben. Es gibt deshalb in diesem Denken keinen einfachen Umschlag vom "Ja" zum "Nein", kein hartes "Entweder-Oder", keine absoluten "Umbrüche", dafür aber "Kontinuität", "Zusammenhang", "sanfte Übergänge", "Ineinandergreifen" der Elemente, relative Opposition.8

39a Wenn man die Brennpunkte, zwischen denen dieses Denken verläuft, konkret benennen und das Gemeinte veranschaulichen will, dann darf man zu den schon erwähnten charakteristischen Formeln greifen: "Gott und Welt", "Natur und Gnade"; "Schrift und Überlieferung", "Tradition und Fortschritt", "Glaube und Werke", "Wort und Sakrament", "Wissen und Glaube", "Freiheit und Bindung", "Vernunft und Mysterium", "Individuum und Gemeinschaft", "Amt und Charisma", die alle noch einer Erweiterung und Differenzierung fähig wären. Immer ist hier eine Doppelung sichtbar, die das katholische Glaubensdenken zu berücksichtigen hat, aber auch als Einheit erfassen muss. Man kann nicht bestreiten, dass unter Anerkennung dieser Struktur der Wirklichkeit das Denken selbst strukturiert wird, eine bestimmte Ausprägung und Typisierung erfährt, die sich immer neu zur Geltung bringt, wenn neue Glaubens- und Wirklichkeitsbezüge zu erfassen sind. (Fs) (notabene)

39b Die Frage bleibt nur, ob man diese im Denken vorfindliche Prägung als "Denkform" ansprechen und bezeichnen soll. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach dem heutigen Begriffsverständnis und Wortgebrauch die "Denkform" etwas Spezielles und Individuelleres meint, etwas, das eine viel bestimmtere zeitliche, philosophische und methodische Ausrichtung bei sich hat (die sich theologiegeschichtlich z. B. in den verschiedenen theologischen Schulen zeigte), sollte man dieses für das katholische Glaubensdenken irgendwie zeitüberhoben und universal geltende Charakteristikum nicht als "Denkform" bezeichnen. Es ist, anspruchsloser und zurückhaltender formuliert, eher als "Denkansatz" zu verstehen, der einen gewissen "Rhythmus" oder "Takt" in der Denkbewegung auslöst, so dass der "Denkweg" immer wieder die gleichen Markierungen und Grenzsteine berühren wird, ohne dabei auf eine einzige (philosophisch-logische) Denkform festgelegt zu sein. Als solcher Ansatz, der zu einem bestimmten Duktus des religiösen und theologischen Denkens führt, ist das katholische "et - et" durchaus verstehbar und für "das Katholische" signifikant. (Fs)

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