Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Prinzipien christlicher Moral

Titel: Prinzipien christlicher Moral

Stichwort: Zueinander: Glaube - Ethos, Moral (Beispiel 2: der Name "Christ"); Christentum (Apg 11, 26) -> Nomen Christianum (strafbar seit Hadrian) -> Ignatius von Antiochien; Wortspiel: christos - chrestos (gut); Martyriumstheologie (Nachfolge Jesu)

Kurzinhalt: Demgegenüber verwendet Ignatius ein Wortspiel, das in der christlichen Apologetik noch lange weiterwirkte ... - die theologische und die sittliche Qualität sind gerade im Namen und tiefer: im Grundbegriff des Christlichen selbst unlösbar verschmolzen

Textausschnitt: b) Der Name «Christ»

53a Wählen wir ein zweites Beispiel, diesmal aus dem frühchristlichen Bereich, in dem wieder, wie für Israel im Dekalog, das Zentrum zur Rede steht: die Bedeutung der Wörter «Christ» und «Christentum» in der Entstehungsphase der Kirche1. Aus Apg 11, 26 wissen wir, daß dieser Name zuerst in Antiochien der Gemeinschaft der Gläubigen beigelegt wurde. Obgleich der Ausgangspunkt und die anfängliche Sinngebung der Benennung umstritten sind und bei der bestehenden Quellenlage auch umstritten bleiben werden, ist doch deutlich, daß sich dieser Benennung alsbald ein ironischer Beiklang anheftete und daß sie darüber hinaus im römischen Recht Bezeichnung eines strafwürdigen Verbrechens wurde: die Christiani sind die Angehörigen der Verschwörergemeinschaft des Christus; seit Hadrian ist daher das Nomen Christianum ausdrücklich für strafbar erklärt. Peterson hat gezeigt, daß die Vorwürfe, wie sie sich etwa bei Sueton und bei Tacitus gegen die Christen finden, fester Bestandteil der politischen Propaganda sind, «die gegen wirkliche oder angebliche Verschwörer gemacht wurde»2. Dennoch zeigt sich schon bei Ignatius von Antiochien die Übernahme dieses gefährlichen Wortes als Selbstbezeichnung der Christen, ja, der Stolz, diesen Namen zu tragen und sich seiner würdig zu erweisen. Was geht hier vor, wenn der Schimpfname, der zugleich der Verurteilungstitel des Strafrechts ist, bewußt angenommen und getragen wird? (Fs)

54a Darauf läßt sich zweierlei antworten. Zunächst ist es bei Ignatius eine betonte Martyriumstheologie, die zur Übernahme des Wortes führt, das gleichsam selbst das Martyrium in sich trägt. Die Gemeinschaft mit Jesus Christus, die ihm der Glaube ist, bedeutet in den Augen der Welt Teilhabe an einer damals mit dem Tod geahndeten Verschwörung. Dies ist für den Bischof von Antiochien eine Sicht von außen, die in gewisser Weise durchaus das ahnt, worum es freilich auf ganz andere Weise von innen her geht: Die Gemeinschaft mit Jesus ist in der Tat Beteiligung an seinem Tod und nur so auch an seinem Leben3. Das aber heißt: An der Vorstellung von der gemeinsamen Verschwörung der Christen mit Christus ist dies richtig, daß die Christen nicht nur eine Theorie von Jesus übernehmen, sondern seinen Lebens- und Todesentscheid teilen und auf ihre Weise wiederholen. «Da wir seine Jünger geworden sind, gilt es zu lernen, dem Christentum gemäß zu leben»4. In diesem Sinn ist für den syrischen Martyrerbischof Christentum durchaus eine «Orthopraxie» - es bedeutet, die Lebensform Jesu Christi nachzuvollziehen. Aber wie sieht das aus? Diese Frage führt zu einem zweiten Schritt. Für den Heiden bedeutet das Wort Christianus den Verschwörer, den man sich im Schema der politischen Propaganda vorstellt als einen Menschen, der durch üble «flagitia» (Verbrechen), besonders durch «Haß gegenüber dem Menschengeschlecht» und «stuprum» (Unzucht) gekennzeichnet ist.5 Demgegenüber verwendet Ignatius ein Wortspiel, das in der christlichen Apologetik noch lange weiterwirkte. In der griechischen Phonetik wurde (und wird) das Wort chrestos (= gut) mit i als christos ausgesprochen. Diesen Zusammenhang greift Ignatius auf, wenn er dem Satz «lernen wir, dem Christentum (Christianismos) gemäß zu leben» die Worte voranstellt, « seien wir nicht fühllos gegen seine Güte (chrestotes, gesprochen christotes)»6. Die Verschwörung des Christos ist eine Verschwörung zum Chrestos-Sein, eine Verschwörung zum Guten. So wird noch hundert Jahre später Tertullian formulieren: «Das Wort Christ ist von dem Wort Gutsein hergenommen»7. Die Verknüpfung zwischen Gottesbegriff und sittlicher Idee, die wir im Dekalog gegeben fanden, ist hier auf eine höchst sublime und anspruchsvolle Art im Christlichen wiederholt: Der christliche Name besagt Christusgemeinschaft, aber eben damit die Bereitschaft, das Martyrium des Guten auf sich zu nehmen. Christentum ist eine Verschwörung zum Guten - die theologische und die sittliche Qualität sind gerade im Namen und tiefer: im Grundbegriff des Christlichen selbst unlösbar verschmolzen8. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt