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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Zur Lage des Glaubens

Titel: Zur Lage des Glaubens

Stichwort: Kirche, Glaube, Krise, Symptome; Moral, Trennung: Sexualität, Mutterschaft, Zeugung, lebenslange Treue -> Konsequenzen; Libido d. einzelnen - S. als Recht; Homosexualität

Kurzinhalt: In der Kultur der 'entwickelten' Welt ist vor allem das unlösliche Band zwischen Sexualität und Mutterschaft zerrissen worden. Abgetrennt von der Mutterschaft ist der Sexus ortlos geworden und hat seinen Bezugspunkt verloren: Er ist eine Art Treibmine ...

Textausschnitt: Die Krise der Moral
(A10, E10)

82a Es gibt also auch eine - ebenfalls gravierende - Krise der Moral, wie sie vom kirchlichen Lehramt vorgegeben ist; eine Krise, die, wie wir bereits sagten, mit jener des katholischen Dogmas eng verknüpft ist. (Fs)

Dabei handelt es sich um eine Krise, die bislang vor allem die sogenannte "entwickelte" Welt erfaßt hat, insbesondere Europa und die Vereinigten Staaten; aber wie man weiß, setzen sich die dort entwickelten Denkmodelle letztendlich auch in der übrigen Welt durch mit der Hilfe eines wohlbekannten kulturellen Imperialismus. (Fs)

Jedenfalls erscheint, um bei den Worten des Kardinals zu bleiben, "in einer Welt wie der westlichen, wo Geld und Reichtum das Maß aller Dinge sind und wo das Modell vom freien Markt jedem Lebensbereich seine erbarmungslosen Gesetze aufzwingt, die echte katholische Ethik bereits vielen als ein Fremdkörper aus längst vergangenen Zeiten, als eine Art Meteorit, der nicht nur im Gegensatz zu den konkreten Lebensgewohnheiten, sondern auch zu der ihnen zugrunde liegenden Denkweise steht. Der ökonomische Liberalismus schafft sich auf moralischer Ebene seine exakte Entsprechung: den Permissivismus". Und somit "wird es schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Moral der Kirche einsichtig zu machen. Zu weit ist sie von dem entfernt, was für die Mehrheit derer als selbstverständlich, als normal gilt, die von der herrschenden Kultur geprägt sind, der sich zuletzt als einflußreiche Gefolgsleute auch nicht wenige 'katholische' Moraltheologen angeschlossen haben". (Fs)

84a In Bogotà hat der Kardinal auf der Versammlung der Bischöfe, die den Lehrkommissionen und Bischofskonferenzen von Lateinamerika Vorsitzen, eine - bisher unveröffentlichte - Rede gehalten, die versuchte, die tiefen Gründe dessen zu benennen, was in der zeitgenössischen Theologie vor sich geht, einschließlich der Moraltheologie, der in jenem Bericht ein ihrer Bedeutung entsprechender Raum gewidmet ist. Es wird deshalb notwendig sein, Ratzinger in seiner Analyse zu folgen, um seine Warnung angesichts gewisser Wege zu verstehen, die der Westen und in seiner Folge manche Theologien eingeschlagen haben. Vor allem auf die Fragen von Familie und Sexualität wollte er die Aufmerksamkeit lenken. (Fs)

Er sagte damals: "In der Kultur der 'entwickelten' Welt ist vor allem das unlösliche Band zwischen Sexualität und Mutterschaft zerrissen worden. Abgetrennt von der Mutterschaft ist der Sexus ortlos geworden und hat seinen Bezugspunkt verloren: Er ist eine Art Treibmine, ein Problem und zugleich eine allgegenwärtige Macht."
84b Diesem ersten Riß sieht er einen weiteren folgen: "Nachdem die Trennung von Sexualität und Mutterschaft vollzogen war, ist die Sexualität auch von der Zeugung abgetrennt worden. Diese Bewegung hat schließlich dazu geführt, daß sie auch in die entgegengesetzte Richtung gegangen ist: nämlich Zeugung ohne Sexualität. Von hier aus folgen die immer empörenderen medizinisch-technischen Experimente - von denen die Gegenwart voll ist -, wo die Zeugung eben geradezu von der Sexualität unabhängig ist. Die biologische Manipulation strebt darauf zu, daß der Mensch von der Natur abgekoppelt wird (über deren Verständnis selbst, wie wir sehen werden, diskutiert wird). Man versucht, den Menschen umzugestalten, zu manipulieren, wie man es mit jedem anderen 'Ding' tut: Er ist nichts anderes als ein nach Belieben geplantes Produkt."

84a Wenn ich mich nicht täusche, sind unsere Kulturen in der gesamten Geschichte die ersten, in denen sich derartige Brüche vollziehen. (Fs)

"Ja, und am Ende dieses Weges, um die grundlegenden, natürlichen (und nicht, wie man sagt, nur kulturellen) Bindungen zu zerbrechen, wird man zu unvorstellbaren Konsequenzen geführt, welche eben jener Logik entstammen, die einem derartigen Weg zu Grunde liegt." (Fs)

Mehrfach zerbrochen

84b Für ihn werden wir bereits heute zu büßen haben für "die Folgen einer Sexualität, die in keinerlei Verbindung zur Mutterschaft und zur Zeugung mehr steht. Logischerweise folgt daraus, daß jede Form von Sexualität gleichwertig und folglich in gleichem Maße würdig ist. Es geht gewiß nicht darum - präzisiert er -, einen rückständigen Moralismus zu etablieren, sondern die aus den Prämissen folgenden Konsequenzen klar zu sehen: Es ist in der Tat logisch, daß die Lust, die Libido des einzelnen, der einzig mögliche Bezugspunkt des Sexus wird. Da er keinen objektiven Rechtfertigungsgrund mehr hat, sucht er den subjektiven Grund in der Befriedigung des Verlangens, in der für den einzelnen möglichst 'befriedigenden' Antwort auf die Instinkte, denen man keine vernünftige Schranke mehr entgegensetzen kann. Jeder kann frei seiner persönlichen Libido seinen Inhalt geben, den er für gut hält". (Fs) (notabene)

84c Er fährt fort: "Folglich ist es natürlich, daß sich alle Formen sexueller Befriedigung in 'Rechte' des einzelnen verwandeln. So wird, um ein heute besonders aktuelles Beispiel zu nennen, die Homosexualität zu einem unveräußerlichen Recht (und wie sollte man es unter derartigen Voraussetzungen in Abrede stellen?); im Gegenteil, ihre volle Anerkennung erscheint als ein Aspekt der Befreiung des Menschen."
86a Es gibt noch andere Konsequenzen "dieser Entwurzelung der menschlichen Person in der Tiefe ihrer Natur". Damit meint er: "Wenn die Fruchtbarkeit abgetrennt wird von der auf lebenslange Treue gegründeten Ehe, kehrt sie sich vom Segen (wie sie jede Kultur verstanden hat) ins Gegenteil: Das heißt, sie wird zu einer Bedrohung für die freie Entfaltung des individuellen Rechtes auf Glück'. So kommt es, daß die kostenlose, gesellschaftlich garantierte Abtreibung zu einem weiteren 'Recht', zu einer weiteren Form von 'Befreiung' wird."

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