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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Zur Lage des Glaubens

Titel: Zur Lage des Glaubens

Stichwort: Kirche, Glaube, Krise, Symptome; Gott, der vergessene Vater, der unverstandene Sohn; Gnosis, Zweifel bezüglich der 'materiellen' Aspekte der Offenbarung: Gegenwart Christi in der Eucharistie, Jungfräulichkeit Mariens, konkrete und reale Auferstehung ...

Kurzinhalt: de facto scheint es so, als würde manche Theologie nicht mehr an einen Gott glauben, der in die Tiefe der Materie eintreten kann; es ist gleichsam eine Wiederkehr der Gleichgültigkeit, wenn nicht gar der Abscheu der Gnosis gegenüber der Materie.

Textausschnitt: Der unverstandene Sohn und der vergessene Vater

77a Für ihn ist es offensichtlich, daß aus diesem Spektrum von Krisen auch eine Krise herrührt, die die Grundlagen selbst betrifft: den Glauben an den Dreieinigen Gott in seinen Personen. Während das Thema "Heiliger Geist" gesondert abgehandelt werden wird, geben wir hier die Ausführungen in bezug auf Gott-Vater und auf den Sohn Jesus Christus wieder. (Fs)

77b Er sagt also: "Aus der - natürlich unbegründeten - Furcht, die Betonung des Vaters, des Schöpfers, könnte den Sohn in den Schatten stellen, tendiert manche Theologie heute dahin, sich ganz in Christologie aufzulösen. Aber es handelt sich hier um eine oft zweifelhafte Christologie, in der man auf einseitige Weise die menschliche Natur Jesu betont und die göttliche, die in derselben Person Christi vereint ist, verdunkelt oder verschweigt oder in ungenügender Weise zur Sprache bringt. Man könnte darin eine Rückkehr auf den Boden der alten arianischen Häresie sehen. Natürlich wird man kaum einen 'katholischen' Theologen finden, der sagt, er würde die alte Formel leugnen, die Jesus als 'Sohn Gottes' bekennt. Alle werden behaupten, sie zu akzeptieren, wobei sie jedoch sogleich hinzufügen, 'in welchem Sinn' jene Formel ihrer Meinung nach verstanden werden müßte. Und gerade hier operiert man mit Distinktionen, die oft zu Verkürzungen des Glaubens an Christus als Gott führen. Wie ich bereits sagte, tendiert die Christologie, wenn sie von einer übernatürlichen und nicht nur soziologischen Ekklesiologie losgelöst ist, gerade selbst dazu, die Dimension des Göttlichen zu verlieren; sie neigt dazu, sich in ein 'Projekt Jesus' hinein aufzulösen, in ein Projekt bloß geschichtlichen, menschlichen Heiles also. (Fs)

78a Was Gott, den Vater, die erste Person der Trinität anbelangt - fährt er fort -, so ist die 'Krise' um ihn aus einer gewissen Theologie zu erklären, aus einer Gesellschaft, die nach Freud jedem Vater und jeder Vaterschaft mißtraut. Man verschleiert die Idee von Gott dem Schöpfer auch deshalb, weil man die Vorstellung eines Gottes, an den man sich kniend wendet, nicht akzeptiert: Man spricht lieber nur von Partnerschaft, von Freundschaftsbeziehung unter beinahe Gleichen, von Mensch zu Mensch mit dem Menschen Jesus. Man neigt dann dazu, die Frage nach Gott, dem Schöpfer, beiseite zu schieben, auch weil man die Probleme fürchtet (und folglich gern vermeiden möchte), die das Verhältnis von Schöpfungsglauben zu Naturwissenschaften aufwirft, angefangen von den Perspektiven, die durch den Evolutionismus eröffnet sind. So gibt es neue Texte für die Katechese, die nicht bei Adam, beim Anfang des Buches der Genesis beginnen, sondern bei der Berufung Abrahams oder beim Exodus. Das Augenmerk ist ganz auf die Geschichte gerichtet und geht so der Konfrontation mit dem Sein aus dem Weg. Wenn auf diese Weise jedoch Gott nur noch auf Christus - womöglich nur noch auf den Menschen Jesus - reduziert wird, ist er nicht mehr Gott. Und de facto scheint es so, als würde manche Theologie nicht mehr an einen Gott glauben, der in die Tiefe der Materie eintreten kann; es ist gleichsam eine Wiederkehr der Gleichgültigkeit, wenn nicht gar der Abscheu der Gnosis gegenüber der Materie. Von daher rühren auch die Zweifel bezüglich der 'materiellen' Aspekte der Offenbarung, wie reale Gegenwart Christi in der Eucharistie, Jungfräulichkeit Mariens, konkrete und reale Auferstehung Jesu, Auferstehung des Leibes, die allen am Ende der Geschichte verheißen ist. Es ist gewiß nicht zufällig, daß das Apostolische Symbol mit dem Bekenntnis beginnt: 'Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde.' Dieser Urglaube an den Schöpfergott (ein Gott, der wirklich Gott ist) bildet gleichsam den Angelpunkt für alle anderen christlichen Wahrheiten. Wenn etwas ins Wanken gerät, fällt alles übrige."

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