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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Zur Lage des Glaubens

Titel: Zur Lage des Glaubens

Stichwort: Krise d. Kirche durch K. d. Priester u. Orden; Stand d. Prieser: fremd in der Gesellschaft; Versuchung: soziale Rolle anstatt sakraler; Dienst der Koordination des Konsenses anstatt Stellvertreter Christi

Kurzinhalt: ... Druck ausgesetzt, damit es von einer "sakralen" zu einer "sozialen" Rolle übergehe... vom Mysterium der auf Christus gegründeten hierarchischen Struktur in die Plausibilität der menschlichen Organisation zu entfliehen.

Textausschnitt: 55a Wenn das Kirchen Verständnis selbst in Krise ist, inwieweit und warum befinden sich die "Männer der Kirche" in einer Krise?

Wir werden dem Bischofsamt anschließend eine eigene Erörterung vorbehalten, die unmittelbar folgen wird -, wo sieht Ratzinger die Wurzeln für das Mißbehagen im Klerus, das innerhalb weniger Jahre die Seminare, Klöster und Presbyterien leer werden ließ? Kürzlich, in einer nicht offiziellen Wortmeldung, hat er die These eines berühmten Theologen zitiert, nach der "die Krise der Kirche von heute vor allem eine Krise der Priester und der religiösen Orden sei". (Fs)

55b "Es ist ein hartes Urteil - bestätigt er -, ein ziemlich herbes j'accuse, aber es kann sein, daß es etwas Wahres erfaßt. Unter dem Ansturm der Nachkonzilszeit haben die großen Orden (und das heißt gerade die traditionellen Säulen der ständig notwendigen kirchlichen Reform) gewankt, sie haben arge Blutverluste hinnehmen müssen, sie haben so wenige Neueintritte wie nie zuvor erlebt, und heute scheinen sie noch immer von einer Identitätskrise geschüttelt zu sein."

Für ihn sind es gerade "oft die traditionell gebildetsten' und intellektuell am besten ausgestatteten Orden gewesen, die die schwerste Krise erlitten haben". Und er sieht dafür einen Grund: "Wer eine bestimmte zeitgenössische Theologie ausgiebig praktiziert hat und praktiziert, lebt deren Auswirkungen bis ins letzte, wie etwa den fast vollständigen Verlust der gewohnten Sicherheiten für den Priester, für den Ordensangehörigen." (Fs) (notabene)

56a Daneben nennt der Präfekt noch einen weiteren Grund für die Krise: "Gerade der Stand des Priesters ist außergewöhnlich und für die heutige Gesellschaft fremd. Eine Funktion, eine Rolle, die nicht auf der Zustimmung der Mehrheit, sondern auf der Vergegenwärtigung eines Anderen gründet, der einen Menschen an seiner Autorität teilhaben läßt, erscheint als unverständlich. Unter diesen Bedingungen ist die Versuchung groß, von jener übernatürlichen 'Autorität der Vergegenwärtigung', die das katholische Priestertum kennzeichnet, zu einem viel natürlicheren 'Dienst der Koordination des Konsenses', das heißt zu einer verständlichen, weil nur menschlichen und obendrein der heutigen Kultur entsprechenden Kategorie überzugehen."

56b Folglich sei seiner Ansicht nach, wenn ich richtig verstanden habe, das Priestertum einem kulturellen Druck ausgesetzt, damit es von einer "sakralen" zu einer "sozialen" Rolle übergehe, in einer Linie mit den "demokratischen" Mechanismen der Konsensbildung von unten, die die "säkulare, demokratische, pluralistische" Gesellschaft prägen. "Es handelt sich sozusagen um eine Versuchung - antwortet er -, vom Mysterium der auf Christus gegründeten hierarchischen Struktur in die Plausibilität der menschlichen Organisation zu entfliehen." (Fs) (notabene)

56c Um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, greift er ein ganz aktuelles Beispiel auf, das Sakrament der Versöhnung, die Beichte: "Es gibt Priester, die dazu neigen, es fast ganz in ein 'Gespräch' umzuwandeln, in eine Art therapeutische Selbstanalyse zwischen zwei auf der gleichen Ebene stehenden Personen. Dies erscheint viel menschlicher, persönlicher und dem heutigen Menschen angemessener. Aber diese Art der Beichte birgt die Gefahr in sich, nicht mehr viel mit der katholischen Auffassung des Sakramentes zu tun zu haben, wo nicht so sehr die Leistungen, die Geschicklichkeit dessen zählen, der mit dem Dienst betraut ist. Es ist vielmehr nötig, daß der Priester es annimmt, daß er in den Hintergrund tritt und so Christus Raum läßt, der allein die Sünde nachlassen kann. Auch hier ist es also notwendig, zum ursprünglichen Verständnis des Sakramentes zurückzukehren, wo Menschen dem Mysterium begegnen. Es ist nötig, wieder ganz neu den Sinn des Skandals zu entdecken, aufgrund dessen ein Mensch zu einem anderen Menschen sagen kann: 'Ich spreche dich von deinen Sünden los.' In jenem Augenblick - wie übrigens bei der Feier jedes anderen Sakramentes - bezieht der Priester seine Autorität gewiß nicht aus der Zustimmung der Menschen, sondern direkt von Christus. Das 'Ich', das sagt: 'Ich spreche dich los', ist nicht das einer Kreatur, sondern es ist direkt das 'Ich' des Herrn."

57a Und doch scheinen, sage ich, die vielfältigen Kritiken an der "alten" Beichtpraxis nicht ganz unbegründet zu sein. Er erwidert sofort: "Ich fühle immer mehr ein Unbehagen, wenn ich höre, wie leichtfertig man die früher verbreitete Art, sich dem Beichtstuhl zu nähern, als 'schematisch', 'äußerlich' und 'anonym' bezeichnet. Und für mich klingt das Selbstlob einiger Priester wegen ihrer 'Beichtgespräche', die selten geworden sind, aber, wie sie sagen, 'zum Ausgleich viel persönlicher', ein wenig bitter. Wenn man es richtig betrachtet, war hinter dem 'Schema' gewisser Beichten auch der Ernst der Begegnung zwischen zwei Personen, die sich bewußt waren, vor dem erschütternden Mysterium der Vergebung Christi zu stehen, das sich durch die Worte und den Gestus eines sündigen Menschen darbietet. Man darf nicht vergessen, daß sich in viele 'Beichtgespräche', die auch ziemlich analytisch geworden sind, menschlicherweise eine Selbstgefälligkeit, eine Selbstabsolution einschleicht, die - im Schwall der Erklärungen - kaum noch Raum läßt für das Empfinden der persönlichen Sünde, für die wir über alle mildernden Umstände hinaus immer verantwortlich sind. Mit alledem will ich nicht sagen, daß es nicht auch sinnvolle Reform der äußeren Gestalten der Beichte geben könnte. Die Geschichte zeigt hier eine solche Breite der Entwicklungen auf, daß es absurd wäre, von jetzt an für immer eine einzige Gestalt kanonisieren zu wollen. Manche Menschen finden heute keinen Zugang zum herkömmlichen Beichtstuhl mehr, während ihnen das Beichtgespräch wirklich eine Tür auftut. So möchte ich die Bedeutung dieser neuen Möglichkeiten und den Segen, den sie für viele sein können, keineswegs unterschätzen. Nur ist dies nicht die Hauptsache. Das Entscheidende liegt tiefer, und darauf wollte ich hinweisen."

58a Um auf das zurückzukommen, worin für ihn die Wurzeln der Krise des Priesters liegen, spricht er vom "Druck, der heute jeden Augenblick auf einem Priester lastet, der sehr oft genötigt ist, gegen den Strom zu schwimmen. Ein solcher Mensch kann schließlich müde werden, sich mit seinen Worten und noch mehr mit seinem Lebensstil den so vernünftig erscheinenden Selbstverständlichkeiten, die unsere Kultur kennzeichnen, entgegenzusetzen. Der Priester - das heißt derjenige, durch den die Kraft des Herrn hindurchgeht - ist immer versucht gewesen, sich an das Große zu gewöhnen und es zur Routine werden zu lassen. Heute könnte er die Größe des Heiligen als eine Last empfinden und sich (wenn auch unbewußt) nach einer Befreiung davon sehnen, indem er das Mysterium auf seine menschliche Gestalt herabsetzt, anstatt sich mit Demut und mit Vertrauen hinzugeben, um sich auf jene Höhe erheben zu lassen". (Fs)

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