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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Methode in der Theologie

Titel: Methode in der Theologie

Stichwort: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: Bekehrung: Beziehung (intellektuelle, moralische, religiöse): Aufhebung (sublation); Heiligkeit - Sünde; Flucht, Oberflächlichkeit: Ruhelosigkeit, Streben nach Vergnügen, Widerwille, Depression

Kurzinhalt: Obwohl religiöse Bekehrung die moralische aufhebt, und moralische Bekehrung die intellektuelle, darf man nicht unterstellen, daß die intellektuelle Bekehrung zuerst erfolgt, danach die moralische und schließlich die religiöse.

Textausschnitt: Beziehung der Bekehrungen zueinander (eü)

21/X Weil intellektuelle, moralische und religiöse Bekehrungen alle mit Selbst-Transzendenz zu tun haben, ist es möglich, wenn sich alle drei innerhalb ein und desselben Bewußtseins ereignen, ihre Relationen als Aufhebung zu verstehen. Ich möchte diesen Begriff eher im Sinne von Karl Rahner1 als von Hegel gebrauchen, um damit auszudrücken, daß das Aufhebende über das Aufgehobene hinausgeht, etwas Neues und Bestimmtes einführt, alles auf eine neue Grundlage stellt, und dennoch das Aufgehobene keineswegs beeinträchtigt oder gar zerstört, ja im Gegenteil seiner bedarf, es einschließt, all seine ihm eigenen Merkmale und Eigenheiten bewahrt und sie voranbringt zu einer volleren Verwirklichung innerhalb eines reicheren Kontextes. (245; Fs) (notabene)

22/X So geht moralische Bekehrung über den Wert Wahrheit hinaus zu den Werten im allgemeinen. Sie bringt den Menschen von der kognitiven zur moralischen Selbst-Transzendenz voran. Sie versetzt ihn auf eine neue existentielle Bewußtseinsebene und macht ihn zu einem Ursprungswert. Doch beeinträchtigt oder schwächt dies keineswegs seine Liebe zur Wahrheit. Er braucht die Wahrheit immer noch; denn er muß die Wirklichkeit und die reale Möglichkeit erfassen, ehe er auf einen Wert überlegt antworten kann. Die Wahrheit, die er braucht, ist immer noch die Wahrheit, die in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des rationalen Bewußtseins erlangt wird. Jetzt aber strebt er sie um so sicherer an, als er nun gegen Vorurteile gut gerüstet ist; diese Suche nach der Wahrheit ist nun noch bedeutungsvoller und wichtiger, weil sie sich im allumfassenden Kontext des Strebens nach allen Werten ereignet und eine tragende Rolle spielt. (245f; Fs) (notabene)

23/X Ähnlich geht religiöse Bekehrung über moralische Bekehrung hinaus. Fragen nach Einsicht, nach Reflexion und nach Entscheidung offenbaren den Eros des menschlichen Geistes, seine Fähigkeit und sein Verlangen nach Selbst-Transzendenz. Doch diese Fähigkeit wird zur Erfüllung gebracht, und dieses Verlangen wandelt sich in Freude, wenn religiöse Bekehrung das existentielle Subjekt in ein liebendes Subjekt verwandelt, in ein Subjekt, das von einer totalen und damit überweltlichen Liebe gehalten, ergriffen und in Besitz genommen ist. Dann gibt es eine neue Grundlage für alles Werten und für alles Gute-Tun. In keiner Weise werden die Früchte intellektueller oder moralischer Bekehrung negiert oder gemindert. Im Gegenteil wird nun alles menschliche Streben nach dem Wahren und Guten in einen kosmischen Zusammenhang gebracht und durch ein kosmisches Ziel noch gefördert, wobei dem Menschen auch die Kraft der Liebe zuwächst, die ihn befähigt, das Leiden anzunehmen, das mit dem Rückgängigmachen der Verfallserscheinungen verbunden ist. (246; Fs) (notabene)

24/X Man sollte jedoch deswegen nicht denken, religiöse Bekehrung sei lediglich eine neue und wirkungsvollere Grundlage für das Streben nach intellektuellen und moralischen Zielen. Religiöse Liebe ist ohne Bedingungen, Einschränkungen und Vorbehalte; sie kommt aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus allen Kräften des Geistes. Dieses Fehlen jeder Begrenzung, das zwar dem uneingeschränkten Charakter menschlichen Fragens entspricht, gehört aber nicht dieser Welt an. Heiligkeit hat Wahrheit und sittliche Güte im Überfluß, hat aber auch ihre eigene, ganz bestimmte Dimension. Sie ist überweltliche Erfüllung, Freude, Friede und Glückseligkeit. Nach christlicher Erfahrung sind dieses die Früchte des In-Liebe-Seins mit dem geheimnisvollen und unbegreiflichen Gott. Auf ähnliche Weise unterscheidet sich auch die Sündhaftigkeit vom moralischen Übel; sie ist ein Mangel an völliger Liebe, ja sie ist die radikale Dimension der Lieblosigkeit. Diese Dimension läßt sich überdecken durch ständige Oberflächlichkeit, indem man letzten Fragen ausweicht und in allem aufgeht, was die Welt zu bieten hat, was unsere Wendigkeit reizt, unsern Körper entspannt und unseren Geist zerstreut. Doch diese Flucht ist nicht von Dauer, und dann zeigt sich der Mangel an Erfüllung in Ruhelosigkeit, das Fehlen der Freude im Streben nach Vergnügungen, das Fehlen des inneren Friedens in Ekel und Widerwillen - in einem depressiven Widerwillen gegen sich selbst oder in einem wahnhaften, feindseligen, ja sogar gewalttätigen Widerwillen gegen die Mitmenschen. (246f; Fs) (notabene)

25/X Obwohl religiöse Bekehrung die moralische aufhebt, und moralische Bekehrung die intellektuelle, darf man nicht unterstellen, daß die intellektuelle Bekehrung zuerst erfolgt, danach die moralische und schließlich die religiöse. Vom kausalen Standpunkt aus betrachtet, könnte man gerade umgekehrt sagen, daß an erster Stelle das Gottesgeschenk seiner Liebe steht. Sodann sehen wir mit den Augen dieser Liebe die Werte in ihrem Glanz, die wir in der Kraft dieser Liebe auch verwirklichen können - gerade das ist moralische Bekehrung. Und schließlich findet sich unter den Werten, die mit den Augen der Liebe gesehen werden, auch der Wert, die Wahrheiten zu glauben, die die religiöse Überlieferung lehrt, und in solcher Überlieferung und solchem Glauben liegen die Keime intellektueller Bekehrung. Denn das gesprochene und gehörte Wort geht von allen vier Ebenen des intentionalen Bewußtseins aus und dringt zu ihnen allen vor. Sein Inhalt ist nicht bloß ein Erfahrungsinhalt, sondern ein Inhalt der Erfahrung, des Verstehens, des Urteilens und Entscheidens. Die Analogie des Sehens führt zur Erkenntnis-Mythe; aber die Treue zum Wort nimmt den ganzen Menschen in Anspruch. (247; Fs) (notabene)

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