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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Theologische Prinzipienlehre

Titel: Theologische Prinzipienlehre

Stichwort: Taufe, Glaube und Zugehörigkeit zur Kirche (die Einheit von Struktur und Gehalt); Zweieinheit von Wort und Materie (Christologie): Geschichte, Zeit (Glaube, Gemeinschaft) - Kosmos; Kritik an moderner Haltung (Descartes)

Kurzinhalt: Das Sakrament als Grundform des christlichen Gottesdienstes umspannt Materie und Wort, d. h., es gibt der Religion eine kosmische und eine geschichtliche Dimension, weist uns Kosmos und Geschichte als Ort unserer Gottesbegegnung zu.

Textausschnitt: 1.1.1.2 Taufe, Glaube und Zugehörigkeit zur Kirche - die Einheit von Struktur und Gehalt

1. Vorüberlegung zu Sinn und Struktur der Sakramente

28a Obgleich die Taufe das Eingangssakrament in die Gemeinschaft des Glaubens darstellt, ist sie bei der Erneuerung des liturgischen und theologischen Bewußtseins in den letzten Jahrzehnten trotz mancher bedeutender Arbeiten immer etwas am Rande geblieben1. Dabei kann man weder das Wesen der Kirche noch die Struktur des Glaubensaktes richtig begreifen, wenn man die Taufe außer acht läßt; umgekehrt kann man freilich auch von der Taufe kaum etwas verstehen, wenn man sie nur liturgisch oder nur im Kontext der Erbsündenlehre betrachtet. Im folgenden soll es weder um eine ausgeführte Theologie der Taufe noch um einen Traktat über den Glauben oder über die Kirchengliedschaft gehen, sondern um eine Besinnung, die sich an der Nahtstelle all dieser Themen bewegt und dadurch etwas über sie sichtbar zu machen versucht, was nur bei der Zusammenschau in Erscheinung tritt. (Fs)

28b Die Methode soll so angelegt werden, daß wir, um Umwege zu sparen und möglichst das Zentrum der Taufe wie ihre Bedeutungstiefe zu verstehen, einfach den Kernakt der Taufspendung, das Sakrament in seinem lebendigen Vollzug untersuchen; ganz allgemein dürfte es sich ja für die Sakramententheologie empfehlen, möglichst wenig abstrakt zu verfahren und möglichst nahe am gottesdienstlichen Geschehen zu bleiben. Freilich stellt sich uns nun doch zuerst ein Hindernis sehr grundsätzlicher Art in den Weg, das eine kurze Vorüberlegung verlangt - die innere Ferne zum Sakrament überhaupt, die sich aus der neuzeitlichen Lebenseinstellung ergibt2. Was sollen ein paar Tropfen Wasser mit dem Gottesverhältnis des Menschen, mit dem Sinn seines Lebens, mit seinem geistigen Weg zu tun haben — das ist doch die Frage, über die immer mehr Menschen einfach nicht hinwegkommen. Kürzlich ist unter Pastoraltheologen die Meinung geäußert worden, Taufe und Handauflegung seien seinerzeit in Gebrauch gekommen, weil die meisten Christen des Schreibens nicht fähig waren; hätte man schon damals in einer solchen Schriftkultur wie heute gelebt, so hätte man statt dessen Urkunden ausgefertigt - so wird gesagt. Schnell stellt sich dann der Vorschlag ein, das damals Unmögliche nun endlich nachzuholen und so die neue Phase der "Liturgiegeschichte" einzuleiten, zu der es hohe Zeit sei. Das Sakrament als archaische Vorstufe der Bürokratie? Solche Vorschläge lassen nur sichtbar werden, wie fremd heute auch Theologen das Gebilde "Sakrament" geworden ist. Die Frage nach Ersetzbarkeit oder Unaustauschbarkeit der Taufe werden wir während unseres ganzen Überlegungsganges vor Augen behalten müssen; einstweilen geht es um ein erstes Vortasten aufs Grundsätzliche. (Fs)

29a Die Taufspendung setzt sich zusammen aus dem sakramentalen Wort und dem Akt des Begießens mit Wasser bzw. des Ein- und Untertauchens im Wasser. Warum eigentlich, über das (gewiß zentrale) positivistische Argument hinaus, daß auch Jesus selbst schon mit Wasser getauft wurde? Wer näher zusieht, wird bemerken, daß diese Zweieinheit von Wort und Materie kennzeichnend ist für den christlichen Gottesdienst, für die Struktur des christlichen Gottesverhältnisses überhaupt. Dazu gehört einerseits die Einbeziehung des Kosmos, der Materie: Christlicher Glaube kennt keine absolute Scheidung zwischen Geist und Materie, zwischen Gott und Materie. Die durch Descartes tief ins Bewußtsein der Neuzeit eingeprägte Trennung von res extenso, und res cogitans gibt es in dieser Weise nicht, wo die ganze Welt als Schöpfung geglaubt wird. Das Hereinnehmen des Kosmos, der Materie in die Gottesbeziehung ist so ein Bekenntnis zum Schöpfergott und zur Welt als Schöpfung, zur Einheit aller Wirklichkeit vom Creator Spiritus her. Es knüpft auch die Verbindung zwischen dem christlichen Glauben und den Religionen der Völker, die als kosmische Religionen in den Elementen der Welt Gott suchen und ein Stück weit wahrhaft auf seiner Spur sind. Zugleich ist es Ausdruck der Hoffnung auf die Verwandlung des Kosmos. Dies alles sollte uns helfen, die grundsätzliche Bedeutung des Sakraments wieder verstehen zu lernen. Trotz aller Wiederentdeckung des Leibes, trotz aller Verherrlichung der Materie bleiben wir bis zur Stunde tiefgehend von der kartesischen Teilung der Wirklichkeit bestimmt: In das Gottesverhältnis wollen wir die Materie nicht hineinnehmen. Wir halten sie für unfähig, Ausdruck der Gottesbeziehung oder gar Medium zu werden, durch das Gott uns berührt. Wir sind nach wie vor versucht, Religion allein auf Geist und Gesinnung zu beschränken, und provozieren gerade dadurch, daß wir Gott nur die Hälfte der Wirklichkeit zusprechen, den krassen Materialismus, der seinerseits keine Verwandlungsfähigkeit in der Materie mehr entdeckt. (Fs) (notabene)

30a Im Sakrament hingegen gehören Materie und Wort zusammen, gerade das macht seine Eigentümlichkeit aus. Wenn das materielle Zeichen die Einheit der Schöpfung, die Einbeziehung des Kosmos in die Religion ausdrückt, so bedeutet andererseits das Wort die Hineinnahme des Kosmos in die Geschichte. Schon in Israel gibt es nie das bloße kosmische Zeichen, etwa den wortlosen kosmischen Tanz oder das bloße naturale Opfer wie in vielen sogenannten Naturreligionen. Immer tritt zum Zeichen die Weisung, das Wort, das die Zeichen in die Bundesgeschichte Israels mit seinem Gott einordnet3. Das Gottesverhältnis erhebt sich nicht einfach aus dem Kosmos und seinen immerwährenden Symbolen, sondern aus einer gemeinsamen Geschichte, in der Gott Menschen zusammengeführt hat und ihnen Weg wurde4. Das Wort im Sakrament drückt den geschichtlichen Charakter des Glaubens aus; Glaube kommt dem Menschen nicht als isoliertem Ich zu, sondern er empfängt ihn aus der Gemeinschaft derer, die vor ihm geglaubt haben und die ihm Gott als eine gegebene Realität ihrer Geschichte zutragen. Die Geschichtlichkeit des Glaubens bedeutet zugleich seine Gemeinschaftlichkeit und seine zeitüberspannende Kraft: das Gestern, das Heute und das Morgen im Vertrauen auf denselben Gott zu vereinigen. So kann man auch sagen, daß das Wort in unsere Gottesbeziehung den Faktor Zeit einträgt, wie das materielle Element den kosmischen Raum darin einbringt. Und mit der Zeit bringt es die anderen Menschen mit ein, die in diesem Wort gemeinsam ihren Glauben aussagen und ihren Glauben, die Nähe Gottes empfangen. Auch hier korrigiert die sakramentale Struktur eine typisch neuzeitliche Einstellung: Wie wir die Religion gerne ins bloß Geistige verweisen, so auch ins bloß Individuelle. Wir möchten Gott selbst gefunden haben, wir errichten einen Widerspruch zwischen Tradition und Vernunft, zwischen Tradition und Wahrheit, der schließlich tödlich ist. Der Mensch ohne Tradition, ohne den Zusammenhang lebendiger Geschichte ist wurzellos und versucht eine Autonomie, die zu seinem Wesen in Widerspruch steht5. (Fs)

31a Fassen wir zusammen: Das Sakrament als Grundform des christlichen Gottesdienstes umspannt Materie und Wort, d. h., es gibt der Religion eine kosmische und eine geschichtliche Dimension, weist uns Kosmos und Geschichte als Ort unserer Gottesbegegnung zu. In dieser Tatsache liegt die Einsicht mit einbeschlossen, daß der christliche Glaube die früheren Religionsformen und -stufen nicht einfach aufhebt, sondern gereinigt in sich aufnimmt und so erst voll zur Wirkung bringt. Ihre letzte Vertiefung und Begründung erfährt die vom Alten Testament, von seinem Schöpfungs- und Geschichtsglauben herkommende Doppelstruktur des Sakraments aus Wort und Element in der Christologie, in dem Wort, das Fleisch wurde, in dem Erlöser, der zugleich der Schöpfungsmittler ist. So ist die Materialität und die Geschichtlichkeit des sakramentalen Gottesdienstes immer zugleich ein christologisches Bekenntnis: ein Hinweis auf den Gott, der sich nicht gescheut hat, Fleisch anzunehmen und so in der geschichtlichen Mühsal eines irdischen Menschenlebens Last und Hoffnung der Geschichte wie Last und Hoffnung des Kosmos an sein Herz gezogen hat. (Fs)

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