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Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Theologische Prinzipienlehre

Titel: Theologische Prinzipienlehre

Stichwort: Problem: Sein - Zeit; heutige Aufgabe (Kirche); "Kurzformeln" des Glaubens; Wiederherstellung des Lebenszusammenhangs der katechumenalen Einübung; Glaubensformeln leben vom Logos ("Zirkel" der communio); Schreibtischtheologie - Katechumenat

Kurzinhalt: [Es] dürfte einsichtig sein, daß auf dem Holzweg ist, wer Christentum von Formeln - vom Schreibtisch - her aufbauen will. Es gehört zu den Krankheiten der Kirche von heute, daß sie ihre Erneuerung weitgehend auf diese und ähnliche Weisen versucht.

Textausschnitt: Die heutige Aufgabe

25a Worauf aber läuft das Ganze hinaus? Zu welcher Antwort führt es? Vielleicht läßt sich das Positive am ehesten verdeutlichen im Gegenüber zu einem Versuch, den ich für aussichtslos halte. Die allenthalben gestellte Frage, was heute für den christlichen Glauben konstitutiv sei, hat einen hektischen Trieb zum Antworten ausgelöst, der rundum neue "Kurzformeln" des Glaubens aus dem Boden schließen ließ. Nun sind die Absichten, mit denen solche Texte verfertigt werden, in ihrem Anspruch sehr unterschiedlich; sie reichen von harmlosen katechetischen Hilfen über vielleicht noch anspruchslosere Versuche, Devotionsformen mit aktuellem Anstrich zu entwickeln, bis zu dem Anspruch, die alten Symbole abzulösen und das Christentum der Vergangenheit so in einem Christentum von heute und für heute "aufzuheben" - nach der Wahrheit von gestern Wahrheit für heute zu schaffen auf jenem geistigen Hintergrund, von dem eingangs die Rede war. Dazwischen steht das vermittelnde Bemühen, das zwar die alten Bekenntnisse nicht aufheben, aber in den neuen doch das Wesentliche des Glaubens werbewirksam zur Geltung bringen möchte. (Fs)

26a Nun wird niemand bestreiten, daß aus solchem Bemühen manches Nützliche abfallen kann; so wie aus der Raumfahrt nebenher sich Entdeckungen für den Menschen ergaben, die vielleicht weiterreichen als die unmittelbar gesetzten Ziele. Die Absicht als solche ist dennoch zum Scheitern verurteilt. Die anthropologischen, sprachphilosophischen und ekklesiologischen Fehleinschätzungen, die hier zugrunde liegen, habe ich anderwärts dargestellt; das soll hier nicht wiederholt werden.1 Auch ohne ausführliche Analysen dürfte einsichtig sein, daß auf dem Holzweg ist, wer Christentum von Formeln - vom Schreibtisch - her aufbauen will. Es gehört zu den Krankheiten der Kirche von heute, daß sie ihre Erneuerung weitgehend auf diese und ähnliche Weisen versucht. Nichts Lebendiges ist so entstanden, natürlich auch die Kirche selber nicht. Sie ist entstanden, weil jemand sein Wort gelebt und gelitten hat; durch seinen Tod hindurch ist sein Wort als das Wort überhaupt, als der Sinn allen Seins, der Logos begriffen worden. Auch die Formeln der alten Kirche sind nicht klüglich ausgedacht und dann verbreitet worden - sie wären dann so schnell in den Handschriften verstaubt, wie es die jetzigen meist in den bald veralteten Büchern tun. Das Symbol der Kirche ist (vor allem) aus dem Lebenszusammenhang des Katechumenats entwickelt worden und wurde in diesem Kontext vermittelt. Das Leben erschloß das Wort, und das Wort formte das Leben. In der Tat kann sich allein im Einleben in die Lebensgemeinschaft des Glaubens das Wort des Glaubens eröffnen. Was uns heute fehlt, sind primär nicht neue Formeln; eher muß man von einer Inflation ungedeckter Worte sprechen. Was wir vorab brauchen, ist eine Wiederherstellung des Lebenszusammenhangs der katechumenalen Einübung in den Glauben als Stätte gemeinsamer Erfahrung des Geistes, die so zur Basis auch einer wirklichkeitshaltigen Reflexion werden kann. Aus ihr werden gewiß auch neue Formulierungen hervorgehen, in denen zentrale Gegebenheiten des christlichen Glaubens einprägsam und überschaubar ausgesagt werden. Wichtiger noch als solche Kurzantworten, die jeder Katechismus kennt, wird eine zusammenhängende Logik des Glaubens sein, in der die Teilantworten ihren Platz haben. Die Formeln leben von der Logik, die sie trägt, die Logik aber lebt vom Logos, von dem Sinn, der sich ohne das Mitgehen des Lebens nicht erschließt - er ist an den "Zirkel" der communio gebunden, der nur im Ineinander von Denken und Leben betreten werden kann. (Fs)

27a Fassen wir zusammen! Was also ist "heute" für den christlichen Glauben konstitutiv? Nun, eben das, was ihn überhaupt konstituiert: das Bekenntnis zum Dreieinigen Gott in der Communio der Kirche, in deren feierndem Gedenken die Mitte der Heilsgeschichte - Tod und Auferstehung des Herrn - Gegenwart ist. Diese Mitte ist, wie man sieht, nicht einfach eine "zeitlose Wahrheit", die als eine ewige Idee beziehungslos über dem Raum der wechselnden Tatsachen schwebt. Diese Mitte, die an den Akt des "Glaubens an" gebunden ist, weist den Menschen in den dynamischen Kreis der trinitarischen Liebe ein, die nicht nur Subjekt und Objekt vereint, sondern auch die getrennten Subjekte zueinander bringt, ohne ihnen ihr Eigenes zu nehmen. Weil diese schöpferische Liebe nicht blinder Wille oder pures Gefühl, sondern als Liebe Sinn und als Sinn Logos, schöpferische Vernunft alles Wirklichen ist, darum ist ihr nicht ohne Logik, ohne Gedanke und Wort zu entsprechen. Aber weil die wahre Vernunft nicht in der Abstraktion des Gedankens, sondern in der Reinigung des Herzens zutage tritt, darum ist sie an einen Weg gebunden, an den Weg, den der vorgegangen ist, von dem gesagt werden darf: Er ist der Logos. Dieser Weg heißt Tod und Auferstehung; der trinitarischen communio entspricht die sakramental-reale communio des Lebens aus dem Glauben, für die der Mensch in Tod und Auferstehung seiner Bekehrung gereinigt wird. Sieht man dies, so werden Umfang und Art der heutigen Aufgabe deutlich: Schreibtischtheologie, so Nützliches sie zu schaffen vermag, reicht da gewiß nicht aus. Christliche Lehre ist ursprünglich im Zusammenhang des Katechumenats erwachsen; nur von dort her kann sie sich auch wieder erneuern. Insofern wird, wie schon vorhin angedeutet, die Ausbildung einer zeitgemäßen Form des Katechumenats zu den dringendsten Aufgaben zu zählen sein, vor denen heute Kirche und Theologie stehen. (Fs)

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