Datenbank/Lektüre


Autor: Ratzinger, Joseph

Buch: Theologische Prinzipienlehre

Titel: Theologische Prinzipienlehre

Stichwort: Problem: Sein - Zeit; Identität d. Kirche in d. Geschichte: communio (Lubac; Zirkel d. Credo): Einheit von Objekt u,. Subjekt; Augustinus: memoria (Vermittlung zw. Sein und Zeit), Gott Vater als Memoria (M.-Lehre); Antwort auf hermeneutische Frage

Kurzinhalt: Zugleich wird die Frage nach der Geschichte einigermaßen durchsichtig: Es gibt Verfallen oder Wachsen, Vergessen oder Vertiefen, aber keine Umschmelzung von Wahrheit in Zeit...

Textausschnitt: Die strukturelle Voraussetzung der Aussage: Communio

22b Kehren wir nach diesem Blick auf die inhaltliche Fragestellung zu dem philosophischen Problem zurück, von dem wir ausgegangen sind. In dem vorhin zitierten Satz von Lubac über die Einheit des trinitarischen Credo scheint mir ein wertvoller Fingerzeig für diese Frage zu liegen. Lubac spricht von dem vollkommenen Zirkel des Credo, dessen Glaube einer sei sowohl hinsichtlich seines Objekts wie hinsichtlich seines Subjekts. Was das »Objekt« angeht, so liegt die Einheit darin, daß alles getragen ist von dem Dreieinigen Gott, der als Dreieiniger und dreieinig Handelnder doch eben nur einer ist. Diesen Gedanken verdeutlicht Lubac dahingehend, daß nach solchem Glauben Gott nicht Einsamkeit, sondern Ekstase, vollständiges Weggehen aus sich darstellt. Das aber heißt: "Das Mysterium der Dreieinigkeit hat uns eine gänzlich neue Perspektive eröffnet: Der Grund des Seins ist communio."1 Von da aus läßt sich nun verstehen, wieso die Einheit des Objekts auch die des Subjekts einschließt: Trinitarischer Glaube ist communio, trinitarisch glauben heißt: communio werden. Historisch besagt dies, daß das Ich der Credo-Formeln ein kollektives Ich ist, das Ich der glaubenden Kirche, dem das einzelne Ich zugehört, soweit es glaubend ist. Das Ich des Credo schließt also den Übergang vom privaten Ich zum ekklesialen Ich ein. In der Subjektform ist demgemäß das Ich der Kirche vom Credo strukturell vorausgesetzt: Nur in der communio der Kirche spricht sich dieses Ich aus; die Einheit des bekennenden Subjekts ist die notwendige Entsprechung und Folge des bekannten "Objekts", des glaubend bekannten Gegenüber, das darin aufhört, bloßes Gegenüber zu sein.2 Wenn es dieses Ich des Credo, hervorgerufen und ermöglicht durch den trinitarischen Gott, wirklich gibt, dann ist damit die hermeneutische Frage grundsätzlich beantwortet. Denn dann ist dieses transtemporale Subjekt, die communio Ecclesiae, die Vermittlung zwischen Sein und Zeit. Augustin hat diese Einsicht unter Zuhilfenahme sowohl seines planatonischen wie des biblischen Erbes philosophisch zu reflektieren begonnen in seiner Philosophie des Gedächtnisses: Er hat das Gedächtnis als die Vermittlung zwischen Sein und Zeit erkannt; von da aus kann man wohl auch am ehesten einsehen, was es bedeutet, wenn er den Vater als Memoria, als "Gedächtnis" interpretiert. Gott ist Gedächtnis schlechthin, d. h. umgreifendes Sein, in dem aber das Sein als Zeit umgriffen ist. Christlicher Glaube umfaßt seinem Wesen nach den Akt des Gedenkens; darin stiftet er Einheit der Geschichte und Einheit der Menschen von Gott her oder vielmehr: Er kann Einheit der Geschichte stiften, weil Gott ihm Gedächtnis gegeben hat.3 (Fs) (notabene)

24a Ort allen Glaubens ist demgemäß die "memoria Ecclesiae", das Gedächtnis der Kirche, die Kirche als Gedächtnis. Sie besteht die Zeiten hindurch, wachsend oder auch verfallend, aber eben doch als der gemeinsame Raum des Glaubens. Dies beleuchtet noch einmal die Frage der Glaubensinhalte: Ohne dieses zusammenhaltende Subjekt des Ganzen sind sie nur ein mehr oder minder langer Katalog von Inhalten; im Inneren dieses Subjekts sind sie von diesem her eins. Das Subjekt ist der Einheitspunkt der Inhalte. Zugleich wird die Frage nach der Geschichte einigermaßen durchsichtig: Es gibt Verfallen oder Wachsen, Vergessen oder Vertiefen, aber keine Umschmelzung von Wahrheit in Zeit. Die Frage nach dem heute Konstitutiven ist in dieser Hinsicht eine Frage danach, ob dieses Subjekt Lebenskraft genug hat, um weiterzubestehen oder nicht. Wenn es nicht weiterleben kann, dann beginnt etwas Neues, in das vielleicht Elemente des Alten eingeschmolzen werden wie in die Gestalt des Christlichen Elemente griechischer Philosophie eingeschmolzen wurden, wie in das mittelalterliche Imperium Elemente der römischen Reichs und Elemente der alttestamentlichen Theokratie eingeschmolzen wurden, aber eben doch in einem neuen Subjekt der Geschichte. Von einer selbstgemachten Auswahl der Inhalte her gibt es kein Weiterleben. So lautet die Entscheidungsfrage heute, richtig gestellt, ob jenes Gedenken noch gelebt werden kann, durch welches die Kirche Kirche wird und ohne das sie ins Wesenlose zerfällt. (Fs) (notabene)

24b Damit ist die Frage nach der konkreten Form der Identität der Kirche in der Geschichte aufgeworfen. Vermutlich kann man diese Form nicht in einer Formel benennen; die Eucharistiefeier, der Vollzug der Sakramente, des Wortes sind Elemente dieser Identität. Man muß hinzufügen, daß seit der Auseinandersetzung mit der Gnosis als Grundgestalt dieser Identität die Succesio apostolica besteht - darauf beruht die spezifische Bedeutung dieses Themas für die katholische Theologie, eine Bedeutung, die es nicht zuläßt, diese Frage zu einem Einzelproblem unter vielen anderen zu reduzieren.4 Aber darüber soll und kann an dieser Stelle nicht gehandelt werden. Wichtig schiene mir noch etwas anderes: den biblischen Grund einer christlichen Memoria-Lehre neu zu erarbeiten. Ich denke, daß dafür besonders das Johannes-Evangelium wesentliche Hilfe leisten könnnte. Ich möchte nur zwei kleine Anmerkungen dazu beitragen. Der Abschluß der Tempelreinigungsperikope, der ersten deutlichen Ankündigung des Grundgeheimnisses von Tod und Auferstehung als Mitte christlichen Glaubens bietet so etwas wie eine erkenntnistheoretische Reflexion eben dieses Glaubens, wenn gesagt wird, nach der Auferstehung hätten sich die Jünger des Gesagten erinnert, "und sie glaubten der Schrift und dem Wort, das Jesus gesagt hatte" (Joh 2, 22). Christliches Glauben und Erkennen besteht demnach in dem Gefüge: der Schrift und dem Wort Jesu (Altes Testament + Neues Testament) in der pneumatischen Erinnerung der Jüngergemeinschaft glauben. Daß pneumatisches Erinnern der Ort für Wachstum und Identität des Glaubens ist, scheint mir geradezu die Grundformel der johanneischen Glaubensinterpretation im Gegenüber zur Gnosis zu sein. Diese Formel wird hinsichtlich ihres konkreten Anspruchs und ihres praktischen Vollzugs von Johannes in seiner Auslegung des Parakleten, des Trägers der Erinnerung, näher erläutert: Sein Wesen ist es, nicht aus dem Eigenen zu nehmen, nicht im eigenen Namen zu reden (so wie schon Jesus dadurch ausgewiesen war, daß er nicht für sich selber sprach). Das Kennzeichen pneumatischer Rede ist es demgemäß, nicht Rede im eigenen Namen, sondern Rede aus dem Erinnerten zu sein. Welch realistische Bedeutung diese Kriteriologie des Pneumatischen hatte, kann man vielleicht im 1. Johannesbrief deutlicher erkennen als im Evangelium; so ist es wohl doch auch kein Zufall, daß der Verfasser von 2 Joh (Vers 9) mit dem "Fortschrittler" (proágOn) in Konflikt gerät und ihm das "Bleiben bei der Lehre Christi" gegenüberstellt.5 (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt