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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a4; Franziskanertheologen (Scotus: Mehrheit von substantiellen Formen; Suarez; Thomas: Seele als einzige Form; die S. enthält die Formen der organischen Formen in höherer Weise in sich (Eiweißform, Lezithinform)

Kurzinhalt: ... hätte der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das artbestimmende substantielle Körpersein gibt, so könnte ihn die Seele nicht mehr substantiell, sondern nebensächlich als akzidentelle Form ...

Textausschnitt: 4. ARTIKEL -- Die Verstandesseele die einzige Wesensform im Menschen

494c Mit allem Nachdruck tritt Thomas, dem Ansehen entsprechend, das seine Gegner zu seiner Zeit hatten, der Annahme einer doppelten Wesensform im Menschen entgegen. Die Franziskanertheologen, später besonders Scotus (+ 1308), nahmen eine Mehrheit von substantiellen Formen in demselben Stoff an. Nach ihnen ist der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon artbestimmt als Körper durch die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das Körpersein verleiht. Die Seele aber, als höhere Form, ordnet sich diese niedere Form unter, indem sie deren Sein durch ihr Sein vervollständigt. Noch später lehrten Franz Suarez, S. J. (1548—1617), und seine Schüler, der erste Stoff habe im Lebewesen zwar keine substantielle Form, er habe aber aus sich bereits eine, wenn auch unvollendete Seinswirklichkeit, ein unvollständiges, substantielles Dasein, welches durch das Dasein, das mit der Seele eins ist, vollendet und vervollständigt werde. (Fs) (notabene)

495a Der Beweis für die Einzigkeit der Form im Menschen ergibt sich aus dem bisher schon über die Verstandesseele als Wesensform und als einzige Seele im Menschen Gesagten und wird im 'Anderseits' positiv gestaltet: die Seele ist ein Ding, ein substantielles Sein, eine substantielle Form; während er in der Antwort negativ geführt wird: hätte der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das artbestimmende substantielle Körpersein gibt, so könnte ihn die Seele nicht mehr substantiell, sondern nebensächlich als akzidentelle Form bestimmen, sie gäbe ihm nicht das Sein schlechthin, sondern nur ein akzidentelles Sein. "Das ist aber offensichtlich falsch." Der erste Stoff ist eben als solcher auch im Lebewesen reine Möglichkeit, und die substantielle Form — beim Lebewesen die entsprechende Seele, sei sie nur ernährend oder zugleich sinnlich oder noch dazu vernünftig wie beim Menschen — ist die erste substantielle Wirklichkeit. Wäre der erste Stoff nicht reine Möglichkeit, so hätte er schon eine substantielle Seinswirklichkeit, sein substantielles Sein, und könnte daher dieses Sein nicht mehr von der Form bekommen. Er wäre schon durch das substantielle Sein, das mit ihm eins ist, eine für sich seiende Substanz. Die Form könnte ihn somit nicht mehr substantiell und hauptsächlich, sondern nur nebensächlich als akzidentelle Form bestimmen. Sie könnte ihm nicht mehr das erste, hauptsächliche, sondern nur ein zweites hinzukommendes, nebensächliches Sein geben. Die Widerlegung des Suarez s. GrPh 1, 356. (Fs) (notabene)

495b Als einzige substantielle Form im Menschen enthält, wie Thomas weiter sagt, die Verstandesseele nicht nur die Sinnen- und die Nährseele, sondern auch alle niederen Formen, die Formen der Elemente, aus denen sich der lebende Körper zusammensetzt, 'der Kraft nach' in sich. Heute unterscheidet man, den Ergebnissen der Naturwissenschaften Rechnung tragend, nächste Elemente des lebenden Körpers, aus denen er, chemisch betrachtet, zunächst zusammengesetzt ist, und entferntere Elemente. Jene sind die vielatomigen Kohlenstoffverbindungen, die sogenannten 'organischen' Substanzen; diese sind die Elemente der 'organischen' Substanzen: hauptsächlich Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Diese entfernteren Elemente sind im lebenden Körper nur 'der Kraft nach', d. h. ihren Beschaffenheiten nach. Und zwar bleiben die Beschaffenheiten dieser Elemente als solche nicht der Zahl nach in der Verbindung — da eine substantielle Veränderung und somit eine Auflösung bis zum ersten Stoff stattfindet —, sondern nur der Art nach, wenn auch innerlich verändert, d. h. ausgeglichen und gegeneinander abgeschwächt (auf einen mittleren Grad gebracht; vgl. Zu 4). Die nächsten Elemente, wie Eiweiß, Lezithin, Nuklein usw., sind als solche in höherer Weise im lebenden Körper enthalten. Die eine lebende Substanz ist in ihren verschiedenen Teilen wirklich Eiweiß, Lezithin usw.; und diesen Teilen kommen die eigentümlichen Tätigkeiten und die eigentümlichen chemischen Beschaffenheiten der 'organischen' Substanzen zu. Der lebende Körper ist nach seinen verschiedenen Teilen wirklich Ursprung der eigentümlichen Tätigkeiten aller dieser Substanzen. Folglich enthält die Seele als seine Form die Formen der verschiedenen organischen Substanzen als solche in höherer Weise in sich. Sie ist in höherer Weise Eiweißform, Lezithinform usw. So bestimmt sie auch die verschiedenen Substanzteile des lebenden Körpers in verschiedener Weise. Als Eiweißform bestimmt sie diesen und als Lezithinform jenen Teil. Daher ist auch die Ungleichartigkeit des lebenden Körpers, die dieser notwendig fordert, nicht nur eine akzidentelle nach den Beschaffenheiten oder chemischen Kräften, sondern auch eine substantielle. Diese Ungleichartigkeit ist jedoch einer doppelten höheren, übergreifenden Gleichartigkeit unterworfen: einer substantiellen, die darin besteht, daß dieselbe Seele die ganze Substanz substantiell bestimmt und verwirklicht, und einer akzidentellen durch die Seelenvermögen der Ernährung und des Wachstums, die gleichmäßig über den ganzen Körper verbreitet sind und denen die physischen und chemischen Kräfte der verschiedenen Teile untergeordnet sind. Diese höhere akzidentelle Gleichartigkeit ist die Stoffzubereitung, die erfordert ist, damit der ganze lebende Körper von einer Seele zu einer Substanz bestimmt ist (vgl. GrPh 1, 268). (Fs)

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