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Autor: Navarro-Vals, Joaquin

Buch: Begegnungen und Dankbarkeit

Titel: Begegnungen und Dankbarkeit

Stichwort: Religion - Terrorismus; Christentum: Befreiung der Politik von jeglichem totalitärem Anspruch

Kurzinhalt: ... dass eine Religion von Natur aus gar nicht zu einer politischen Ideologie werden kann, ohne gleichzeitig in eben denjenigen Eigenschaften verfälscht zu werden, die sie als Religion ausmachen.

Textausschnitt: Das religiöse Gewissen: eine Garantie gegen den Terrorismus

182a Was die Art betrifft, wie die kriminellen Gruppen in den vergangenen Jahren ihre Ziele verfolgt haben, ist der Terrorismus als solcher nämlich, wenn man das Selbstmordattentat einmal ausnimmt, im Grunde nichts anderes als eine Übertragung der Logik des Krieges auf neue Techniken, die zwar auf unterschiedliche Weise, aber leider immer professioneller und völlig wahllos gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden. (Fs)

182b Man darf jedoch nicht denken, dass diese neue Phase der Kriegsführung aus dem Nichts und ohne Vorgeschichte entstanden wäre. Vor einigen Jahren hat Stanley Karnow ein Buch über den Vietnamkrieg verfasst, in dem er die Entstehung der damals noch unter dem Namen "Guerillataktik" bekannten militärischen Technik sehr gut beschreibt. Wie der amerikanische Wissenschaftler erklärt, war diese auf rasche und plötzliche militärische Angriffe — sogenannte "Nadelstiche" — gestützte Vorgehensweise die eigentlich kriegsentscheidende Waffe, die der vietnamesische General Vo Nguyen Giap einsetzte, um mit seinen geringen Mitteln zunächst die Franzosen und später die Amerikaner zu bekämpfen. (Fs)

182c Wenn man an den Terrorismus der letzten Jahre denkt, kommt man nicht umhin, auch ihn, ähnlich wie die Guerilla, als ein anderes Mittel der Kriegsführung zu betrachten, das den Zweck verfolgt, unter den Zivilbevölkerungen militärisch überlegener Länder Schrecken, Tod und Panik zu verbreiten. Vielleicht sind wir im Grunde auch hier gar nicht so weit von dem entfernt — wenn wir es denn nicht mit etwas völlig anderem zu tun haben -, was Karl von Clausewitz als "die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln" bezeichnete und das sich immer im Rahmen einer Logik gewaltsam aufeinandertreffender Gegensätze ausdrückt, wie sie die Politologen des 20. Jahrhunderts so gut beschrieben haben. (Fs)

182d Die Tatsache, dass der terroristische Akt heute auch von einer religiösen Ideologie gerechtfertigt wird, vermag daran nichts zu ändern. So kommt etwa der deutsche Philosoph Carl Schmitt im vergangenen Jahrhundert auf dem Weg einer an Hobbes angelehnten Logik zu dem Schluss, dass die Religion immer dann zu einem politischen Faktor werden kann, wenn sie in der Lage ist, einen zu eliminierenden Feind eindeutig zu bezeichnen. Ich halte es für wichtig, sich etwas eingehender mit dieser grundlegenden Erwägung zu befassen, denn sie gibt uns eine exakte Beschreibung der Grenze, die die echte Religiosität von ihrem ideologisch geprägten Zerrbild trennt. (Fs)

183a Der eigentliche Punkt — ohne Schmitt zu nahe treten zu wollen — ist der, dass eine Religion von Natur aus gar nicht zu einer politischen Ideologie werden kann, ohne gleichzeitig in eben denjenigen Eigenschaften verfälscht zu werden, die sie als Religion ausmachen. Die klare Unterscheidung zwischen dem, was im Leben eines Menschen Teil seines innersten religiösen Gewissens ist, und dem, was dagegen der zeitlichen Dimension der Politik angehört, beruht darauf, dass der Bereich des Religiösen sich auch auf das persönliche Ethos erstreckt — und den Menschen gerade deshalb zwangsläufig auf eine Kontrolle und Relativierung der Politik ausrichtet. (Fs)

183b Historisch lässt sich dieser Sachverhalt beispielsweise an den schwierigen Beziehungen festmachen, die in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten zwischen dem Christentum und dem römischen Reich bestanden. Die christliche Religion war zwar mit der laikalen Seite der römischen Administration durchaus vereinbar, nicht aber mit der Vergöttlichung des Staates und des Kaisers, wie sie für diese Epoche typisch war. Denn eine authentische Religiosität kann weder akzeptieren, dass die Politik zur Religion, noch dass die Religion zur Politik wird, und das aus einem ganz elementaren Grund: Die Sphäre des Religiösen impliziert immer eine Befreiung der Politik von jeglichem totalitärem Anspruch und ist deshalb eine gültige Garantie der Freiheit. (Fs) (notabene)

183c Übrigens ist der Mensch selbst immer der Erste, der sich in seinem natürlichen Glücksstreben gegen eine totale Politisierung des Menschen zur Wehr setzt. Auch wenn es der politischen Ideologie gelingt, die religiösen Werte zu Werkzeugen eines tief in den Völkern verwurzelten Hasses zu machen, und auch wenn die Völker der moralischen Frage gegenüber blind bleiben, ist es am Ende das Gewissen des Einzelnen selbst, das sich auflehnt und sich nicht damit abfinden kann, ganz und gar von der Macht unterworfen zu sein. (Fs)

184a Letztlich ist die Präsenz von Bürgern mit einem authentischen religiösen Gewissen in unserer Gesellschaft und in unserem Leben die beste ethische Garantie dafür, dass die Politik die Logik ihrer eigenen Möglichkeiten nicht in irrationale Mythen und terroristische Wahnvorstellungen ausarten lässt. In diesem Sinne wirkt die Religion Seite an Seite mit der Vernunft als ein Korrektiv der Politik. Auf diese Weise garantiert sie den Gesellschaften eine zielstrebige und sichere demokratische Entwicklung und macht die Bürger gegen jede Versuchung von Gewalt und Totalitarismus immun. Immer vorausgesetzt, dass fein säuberlich unterschieden wird zwischen dem, was Cäsar, und dem, was Gott gehört. (Fs) (notabene)

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