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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: F1_075a6c, Ist die Menschenseele zerstörbar?

Kurzinhalt:

Textausschnitt: ANTWORT: Man muß notwendig sagen: Die menschliche Seele, die wir den Grund des Verstehens nennen, ist unzerstörbar. Auf zweifache Weise wird etwas zerstört. Einmal an und für sich, sodann mitfolgend. Es ist aber unmöglich, daß etwas Selbständiges mit-erzeugt oder mit-zerstört wird, d. h. dadurch, daß "ein anderes erzeugt oder zerstört wird. Denn Erzeugt- und Zerstörtwerden kommt einem Wesen auf dieselbe Weise zu, wie das Sein, das es durch Erzeugung erwirbt und durch Zerstörung verliert. Was daher an und für sich das Sein hat, kann nur an und für sich zerstört oder erzeugt werden. Was aber nicht selbständig ist, wie die Akzidentien und die stofflichen Formen [vgl. Art. 2 Zu 1 u. 2], von dem sagt man, es entstehe und vergehe durch Erzeugung und Zerstörung des Zusammengesetzten. — Nun ist aber oben (Art. 2 u. 3) gezeigt worden, daß die Seelen der Tiere nicht selbständig sind, sondern nur die menschliche Seele. Daher werden die Seelen der Tiere zerstört bei der Zerstörung der Körper; die menschliche Seele dagegen könnte nur zerstört werden, wenn sie an und für sich zerstört würde. (Fs) (notabene)
Das ist aber ganz und gar unmöglich, nicht nur bei ihr, sondern bei jedwedem Selbständigen, das nur Form ist. Denn es liegt auf der Hand: was einem Ding an und für sich zukommt, ist von ihm nicht zu trennen. Das Sein kommt aber der Form, die Wirklichkeit ist, an und für sich zu. Daher erwirbt der Stoff insofern das Sein in Wirklichkeit, als er die Form erwirbt; und insofern unterliegt er der Zerstörung, als die Form von ihm getrennt wird. Nun ist es aber unmöglich, daß eine Form von sich selbst getrennt wird. Folglich kann eine selbständige Form unmöglich aufhören zu sein. (Fs) (notabene)
Aber auch zugegeben, die Seele wäre, wie manche sagen, aus Stoff und Form zusammengesetzt, so müßte man dennoch daran festhalten, daß sie unzerstörbar ist. Denn Zerstörung findet sich nur, wo Gegensatz anzutreffen ist. Erzeugungen und Zerstörungen kommen nämlich aus Entgegengesetztem und gehen auf Entgegengesetztes. Daher sind die Himmelskörper, die keinen dem Gegensatz unterworfenen Stoff haben, unzerstörbar; in der Verstandesseele jedoch kann es keinen Gegensatz geben. Sie nimmt nämlich auf nach Weise ihres Seins; was aber in ihr Aufnahme findet, ist frei von Gegensatz. Denn auch die Begriffe von Entgegengesetztem sind im Verstand nicht einander entgegengesetzt; es gibt vielmehr nur ein Wissen von Entgegengesetztem. Folglich ist es unmöglich, daß die Verstandesseele zerstörbar ist. (Fs)
Ein Zeichen für diese Tatsache kann man auch darin erblicken, daß jedes Ding naturhaft auf seine Weise nach dem Sein verlangt. Bei den erkennenden Dingen folgt das Verlangen der Erkenntnis. Nun erkennt aber der Sinn das Sein nur unter dem "Hier und Jetzt"; der Verstand jedoch erfaßt das Sein rein für sich und durch alle Zeit hindurch. Deshalb verlangt alles, was Verstand besitzt, von Natur aus, immer zu sein. Ein natürliches Verlangen kann aber nicht vergeblich sein. Jede verstandbegabte Substanz ist somit unzerstörbar. (Fs) (notabene)

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