Datenbank/Lektüre


Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a2ad4, Wird der Urgrund des Verstehens vervielfacht entsprechend der Vermehrung der Körper?; Erkennen (stofflich: Sinn, Einbildungskraft): Art, Gattung im Hier und Jetzt; Erkennen (unstofflich, Verstand): Natur in d. Allgemeinheit; Beispiel: Stein

Kurzinhalt: "Das Ding wird sinnlich wahrgenommen in der Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderheit. Die Natur des Dinges dagegen, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat aber außerhalb der Seele nicht jene ...

Textausschnitt: Zu 4. Ob es nur einen Verstand gibt oder mehrere: das, was erkannt wird, ist nur eines. Was nämlich erkannt wird, ist nicht im Verstand nach seinem Ansich, sondern nach seiner Ähnlichkeit: "denn nicht der Stein ist in der Seele, sondern das Erkenntnisbild des Steines" (Aristoteles). Und doch ist der Stein das, was erkannt wird, nicht aber das Erkenntnisbild des Steines, es sei denn, daß der Verstand sich über sich selbst zurückbeugt. Sonst bezögen sich die Wissenschaften nicht auf die Dinge, sondern auf die Erkenntnisbilder.1 Es kann aber demselben Ding Verschiedenes durch verschiedene Formen ähnlich werden. Und weil das Erkennen durch Verähnlichung des Erkennenden mit dem erkannten Ding stattfindet, folgt, daß ein und dasselbe von verschiedenen Erkennenden erkannt werden kann, wie es beim Sinn in Erscheinung tritt. Denn mehrere sehen dieselbe Farbe gemäß verschiedener Ähnlichkeiten. Und ebenso erkennen mehrere Verstandesvermögen den einen Verstandesgegenstand. Und nur der Unterschied ist zwischen Sinn und Verstand — nach der Lehre des Aristoteles2 —, daß das Ding sinnlich wahrgenommen wird in jener Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderung. Die Natur des Dinges aber, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat jedoch außerhalb der Seele nicht jene Weise zu sein, in der sie erkannt wird. Die gemeinsame Natur wird nämlich vom Verstand unter Ausschluß der vereinzelnden Ursachen erkannt: diese Seinsweise aber hat sie nicht außerhalb der Seele [37]. — Nach der Lehre des Plato aber ist das vom Verstand erkannte Ding in derselben Weise außerhalb der Seele, wie es erkannt wird. Er nahm nämlich vom Stoff getrennte Dingnaturen an.3 (Fs) (notabene)

-----

[37] Zu S. 52.

Die Mehrzahl der Verstandesseelen (und der Verstandesvermögen) ist weder ein Hindernis für die Erkenntnis des Allgemeinen durch den einzelnen Verstand (wie der 3. Einwand dartun will), noch hebt sie die Einheitlichkeit und den allgemeinen Charakter des Verstandesgegenstandes auf (wie der 4. Einwand behauptet). Ersteres nicht, denn "nicht die Vereinzelung des Verstehenden oder des Erkenntnisbildes schließt die Erkenntnis des Allgemeinen aus", sondern die Stofflichkeit derselben. Erkennendes und Erkenntnisbild (Erkenntnisform) sind immer einzelgezählt. Ist aber das Erkennende wie z. B. der äußere Sinn und die Einbildungskraft stofflich, d. h. subjektiv im Sein und Tätigsein auf ein körperliches Organ angewiesen, dann nimmt es die Erkenntnisform stofflich und beschränkt auf: und es erkennt demnach die "Art- oder Gattungsnatur", z. B. den Menschen oder das Sinnenwesen, in ihrer Beschränkung auf das Hier und Jetzt, in ihrer stofflichen Einzelbestimmtheit. Ist dagegen das Erkennende unstofflich wie der Verstand, so nimmt es die Form unstofflich auf, losgelöst von den stofflichen Bedingungen: und dann erkennt es die Natur in ihrer Allgemeinheit. Deshalb aber geht die Einheitlichkeit und der allgemeine Charakter des Verstandesgegenstandes bei der Annahme von mehreren Verstandesvermögen nicht verloren, weil der einzelne Verstand den Gegenstand nicht nach seinem "natürlichen" Sein, sondern im Erkenntnis- oder Ähnlichkeitsbild nach seinem "geistigen" Sein (vgl. 78, 3) aufnimmt. So erkennen auf Grund dieser einzelbestimmten Erkenntnisbilder alle einzelnen Verstandesseelen einen und denselben Gegenstand, und weil sie als unstoffliche Erkenntnisträger die Erkenntnisbilder unstofflich aufgenommen haben, auch denselben allgemeinen Gegenstand. (Fs) (notabene)

426a Sehr bemerkenswert sind die Angaben, die Thomas in diesem Zusammenhang über die Natur der Gegenstände unserer Erkenntnisvermögen macht und die festgehalten zu werden verdienen. Erstens: "Der Stein ist nicht in der Seele, sondern das Erkenntnisbild des Steines. Und doch ist der Stein das, was erkannt wird, nicht aber das Erkenntnisbild des Steines, es sei denn, daß der Verstand sich über sich selbst zurückbeugt. Sonst gäbe es keine Wissenschaft von den Dingen, sondern von den geistigen Erkenntnisbildern." Also auf Grund des Erkenntnisbildes, das in der Seele ist, wird das erkannt, was außerhalb derselben ist. Unser Wissen hat vornehmlich die Dinge der Außenwelt zum Gegenstand, nicht die Bilder im Erkennenden (vgl. 85, 2). Zweitens: "Das Ding wird sinnlich wahrgenommen in der Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderheit. Die Natur des Dinges dagegen, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat aber außerhalb der Seele nicht jene Seinsweise, gemäß der sie erkannt wird." Deutlich ist hier zum Ausdruck gebracht, daß das, was die Sinne erkennen, außerhalb der Seele liegt, und daß die Sinne ihren Gegenstand in der Verfassung erkennen, die er außerhalb der Seele hat. Sicherlich erfassen also die Sinne nicht irgendein Bild des Außendinges oder sonst etwas in den Sinnen selbst Entstandenes. Und auch die "Natur" des Dinges, die Wesenheit des körperlichen Dinges (der Verstand erkennt die Naturen oder Wesenheiten der körperlichen Dinge in ihrem Freisein von den vereinzelnden Merkmalen) ist außerhalb der Seele, wenn sie auch nicht in der Seinsweise dort ist, in der sie im Erkennenden ist und erkannt wird. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt