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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075a6, Ist die Menschenseele zerstörbar?; Möglichkeit zum Nicht-Sein; potentia: activa, passiva; Zusammengesetztes: Hinordnung zum Anderssein (nur nebenbei Möglichkeit zum Nichtsein) ; Gott, Geschöpfe ("gehorsame" Möglichkeit; Seele ewiges Sein)

Kurzinhalt: Leidentliche Möglichkeit zum Nichtsein besitzt das Ding nicht, weil diese Möglichkeit oder Hinordnung keinen Zielpunkt hätte. Wohl aber ist ein aus Teilen zusammengesetztes Wesen zerstörbar, sofern es nebenbei die Hinordnung zum Nichtsein, tatsächlich ...

Textausschnitt: [21] Zu S. 28.

Ad objectiones

Zu 2. Wie man von einem Ding nicht sagt, es könne erschaffen werden auf Grund einer leidentlichen Möglichkeit, sondern nur auf Grund des tätigen Vermögens des Erschaffenden, der etwas aus nichts hervorbringen kann, so besagt auch der Ausdruck "Es kann etwas ins Nichts zurückkehren" nicht, daß das Geschöpf die Möglichkeit zum Nicht-sein hätte, sondern daß der Schöpfer die Macht besitzt, das Sein nicht [weiter] einzugießen. Es wird aber etwas zerstörbar genannt, sofern in ihm die Möglichkeit zum Nicht-sein ist [21]. (Fs)

Anmerkung:

Potentia passiva bedeutet hier die Möglichkeit oder Anlage, auf Grund deren etwas an einem Ding geschehen kann: leidentliche Möglichkeit; potentia activa bedeutet die Möglichkeit, das Vermögen oder die Macht, zu wirken: tätiges Vermögen. Wie nun der Ausdruck "erschaffen werden können" nur besagt, daß das Ding vom Schöpfer aus dem Nichts ins Dasein gesetzt werden kann, nicht aber, daß das Ding selbst die leidentliche Möglichkeit hierzu hätte, so besagt auch der Ausdruck "ins Nichts zurückkehren können" nur, daß der Schöpfer angesichts seiner unbedingten Oberherrschaft aufhören kann, dem Ding das Sein weiter zufließen zu lassen, nicht aber, daß das Ding die Möglichkeit oder Anlage zum Nichtsein hätte. Leidentliche Möglichkeit zum Erschaffenwerden besitzt das Ding nicht, weil es vor seiner Erschaffung noch nicht ist, diese Möglichkeit also keinen Träger hätte. (Man könnte hier allenfalls von einer metaphysischen Möglichkeit reden, die dasselbe ist wie die metaphysische Seinsheit des Daseinsmöglichen, nicht aber von einer physischen, wie man auch die Veränderung vom Nichtsein zum Sein, die Erschaffung, d. h. eben das Erschaffenwerden des Dinges metaphysische Veränderung nennt.) Leidentliche Möglichkeit zum Nichtsein besitzt das Ding nicht, weil diese Möglichkeit oder Hinordnung keinen Zielpunkt hätte. Wohl aber ist ein aus Teilen zusammengesetztes Wesen zerstörbar, sofern es nebenbei die Hinordnung zum Nichtsein, tatsächlich aber die Hinordnung zum Anderssein hat (s. S. 482 ff.). — Wie jedem geschaffenen Ding, so kann nun freilich der Schöpfer auch der menschlichen Seele angesichts Seiner unbedingten Oberherrschaft das Dasein entziehen. Wenn die menschliche Seele auch naturnotwendig immer im Sein verharrt, so ist die Notwendigkeit doch keine unbedingte. Da auch sie aus Wesenheit und Sein zusammengesetzt ist, die nicht unbedingt notwendig, sondern zufällig (contingenter) miteinander verbunden sind, ist sie wie beim Empfang ihres Daseins auf die Schöpfertat, so bei der Fortdauer desselben ständig auf den erhaltenden Einfluß Gottes angewiesen. Würde dieser Einfluß entzogen dann hörte sie durch Vernichtung auf zu sein. Diese Vernichtung geschähe somit rein negativ durch Entziehung des erhaltenden Einflusses. Deshalb ist die Möglichkeit der Vernichtung auch keine Hiaordnung zum Nichtsein, sondern nur eine "gehorsame" Möglichkeit Gott gegenüber, der über seine Geschöpfe die unbedingte Oberherrschaft hat. Da jedoch Gott auf die Geschöpfe so einwirkt, wie es ihrer Natur entspricht, die menschliche Seele als substantielles geistiges Wesen aber eine natürliche Hinordnung zum immerdauernden Sein hat und somit ihrer Natur nach fordert, daß ihr der erhaltende Einfluß Gottes immerdar zuteil werde, vernichtet Gott tatsächlich die Seele nicht, obgleich dies an und für sich im besagten Sinn möglich wäre (vgl. GrPh 1, 365 f.). (Fs) (notabene)

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