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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Bestimmung d. Katholischen; die synthetische Schau

Kurzinhalt: Unter der Lebenskraft oder der "Idee" des Ganzen ist nicht etwas Abstraktes verstanden wie beim "Begriff", sondern der dem betreffenden Seienden innewohnende Logos, die innerste lebendige Wahrheit ...

Textausschnitt: c. Die synthetische Schau

30a Gerade wenn man davon überzeugt ist, dass der Katholizismus ein komplexes "System" darstellt,1 dass ihm ein gewisser besonderer Spannungsreichtum und eine gewisse "complexio oppositorum" eignet, muss man als erste methodische Anforderung an das Verfahren zu seiner Wesenserfassung die Auffindung seiner Grundkraft, seiner geistigen Entelechie, seiner "Idee" postulieren. Wenn hier nach der "Idee" gefragt wird, so ist diese wohl zu unterscheiden vom "Begriff" oder von einem formalen Prinzip. Das "et - et" und das reformatorische "sola" sind zwar als Prinzipien anzuerkennen, aber sie reichen auch zur Deutung nicht hin, weil sie keine "Ideen" sind. Unter der Lebenskraft oder der "Idee" des Ganzen ist nicht etwas Abstraktes verstanden wie beim "Begriff", sondern der dem betreffenden Seienden innewohnende Logos, die innerste lebendige Wahrheit, das Urbild, nach dem sich alle Ausgestaltungen richten und von dem sie durchdrungen sind. (Fs)

30b Wenn man diese Forderung aufstellt, die für eine Wesensschau unerlässlich ist, stellt sich sofort die Frage, wie eine solche lebendige Idee des Katholizismus zu gewinnen sei. Einem geschichtlichen und in dieser Hinsicht auch empirischen Denken wird es nahe liegen, zu antworten: Man muss die historischen Erscheinungsformen des Katholischen, konkret der katholischen Kirche, durchgehen und aus ihnen das Bleibende herauszufinden suchen, das die Identität in den verschiedenen Ausgestaltungen wahrte. Das wäre dann die Idee. Aber abgesehen davon, dass man rein faktisch die Fülle der Erscheinungen gar nicht durchgehen kann, die ja zudem noch nicht abgeschlossen sind, stellt sich hier die Frage, ob man ohne eine voranleuchtende Idee2 vom Ganzen die wechselnden Erscheinungen überhaupt auf einen Nenner bringen kann und ob man auf diesem Wege nicht auch wieder bei einem Synkretismus landet. (Fs) (notabene)

30c Hier nähert sich die Frage nach dem rechten Weg oder der richtigen Methode an ihr Ende, das selbst methodisch nicht noch einmal abgeleitet und begründet werden kann. Dieses Ende liegt in der Behauptung: Man muss in gewisser Weise schon um die "Idee" wissen, man muss wenigstens ein Vorverständnis von ihr haben, um die Ausgestaltungen und Erscheinungen deuten zu können, die ja überhaupt nicht in sachlicher und historischer Vollständigkeit darzubieten sind. Man muss andererseits an der Analyse der Gestalten, der Ausformungen und Erscheinungen dieser Idee, von der man zuerst nur ein Vorverständnis hat, das endgültige Verständnis dieser Idee gewinnen. In ihrem Licht können dann die Ausformungen und Gestakungen als "katholische", d. h. als zum Wesen des Katholischen gehörende verstanden werden. (Fs)

31a Das ist eine methodische Grundlegung, die in Übereinstimmung steht mit dem Grundgesetz der Hermeneutik, dass man nämlich schon etwas verstanden haben muss, um in der Erkenntnis weiterzuschreiten und schließlich ein gesichertes, in gewisser Weise abschließendes Verständnis des Ganzen zu gewinnen. (Fs)

Diese Idee bestimmt und durchdringt sicher nicht nur die Inhalte (Wahrheiten und Dogmen) des katholischen Glaubens. Die "Idee" eines Bauwerkes kann nicht ausschließlich an seinen Materialien erkannt werden, an Mauern, Säulen und Wölbungen. Sie drückt sich viel bestimmter in dem aus, was dem Material die eigentümliche Prägung, die ganzheitliche Formung und den besonderen Stil verleiht. Es geht gerade auch um die Erkenntnis der Baugesetze, der Struktur- und der Formwelt des Katholischen. Nur so kann die katholische Glaubenswelt als "Wahrheit und Gestalt" in ihrer Ganzheit erkannt werden. (Fs)

31b Die zum Gewinn einer solchen Ganzheitsschau notwendige subjektive Denkeinstellung oder der dafür geforderte "Blick" kann nicht ein analysierender, abstrahierender und rein theoretischer (allein mit Verstandesargumenten vorgehender) sein. Es ist eher ein "synthetischer Blick", der mit den "Augen des Herzens" das Wesentliche erfassen, zu geistiger Anschauung bringen und in seiner sinnvollen Zusammengehörigkeit aufdecken möchte. Es sollte dadurch in einer einfühlenden Anschauungsweise das Sinnganze des Katholischen zur Erscheinung gebracht werden, ohne eine streng beweisende Deduktionsmethode, sondern durch positiven Aufweis der Gestalt, so wie sie sich dem betrachtenden Denken darbietet. Damit ist auch schon angedeutet, dass in der Darstellung der Einzelheiten keine Vollständigkeit geboten werden kann. Die Darstellung eines "göttlichen Ganzen", wie es der Katholizismus seinem Selbstverständnis nach ist, kann nur in der Art einer Skizze oder eines Grundrisses gelingen, der jedoch nicht einer Konstruktion entspringt, sondern aus einer phänomenologischen Sicht3 der gegebenen Wirklichkeit und aus einem Kontakt mit ihr kommt. Zum Erfassen dieser Wirklichkeit, die freilich demjenigen nicht vermittelt werden kann, der nicht wenigstens von einer gleichen Neigung zum Gegenstand betroffen ist, gehört nicht die Aufzählung aller Einzelmomente und Einzelmerkmale. (Fs)

31c Insbesondere gehörten in eine solche Wesensschau, die auf das Sosein und die geistige Individualität des Ganzen geht, nicht die Entstellungen und die menschlichen Verunklärungen des Wesens hinein, welche durch die Existenz einer "Kirche der Sünder" gegeben sind. Man sollte sich hier nicht an die Kritik halten, die K. Adam widerfuhr, weil er im "Wesen des Katholizismus" das Menschliche nur beiläufig behandelt und so eine Kirche "ohne Runzel und Makel"4 gezeichnet hätte. In Wirklichkeit können und wollen diese Mängel von niemandem geleugnet werden. Aber sie sind nicht, wie damals behauptet wurde, "zu einer metaphysischen Einheit"5 mit der Kirche verbunden. Wo es zuletzt um die Erkenntnis dieser geistigen Einheit geht, muss über sie nicht eigens und ausführlich gesprochen werden, obgleich immer an sie gedacht ist, wenn das Ideal gezeichnet wird. (Fs)

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