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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Vermittlung des Katholischen an die Welt 2; das Christliche: vage Bestimmung

Kurzinhalt: Zur Zeit, da es noch keine Konfessionen im neuzeitlichen Sinne gab, konnte dieser Beiname keinen abgrenzenden, exklusiven Sinn an sich tragen. Er war vielmehr Ausdruck für etwas Spezifisches am Christentum ...

Textausschnitt: 22a So ist auch aus Gründen der Weltzuwendung die Forderung nach der Bestimmung des eigenen Wesens und nach Ausprägung der spezifischen Gestalt zu erheben. Sie ist aber nicht schon erfüllt durch die Hervorhebung eines allgemein christlichen Anspruchs unter Absehen von der konfessionellen, bekenntnismäßigen Eigentümlichkeit. Vom Ursprung her ist nämlich die Konfessionsbezeichnung des "Katholischen" keinesfalls eine zur Abgrenzung und Distanzierung geschaffene Bestimmung, sondern eine solche zur Konkretisierung und Individualisierung des eigenen Wesens und der eigenen Gestalt. Dies zeigt sich noch deutlich an der Formel des Pacianus v. Barcelona (+ um 392), der das Epitheton "katholisch" als Beinamen verstand, welcher dem Geschlechtsnamen wegen einer großen Leistung seines Trägers oder einer ihn auszeichnenden Eigenschaft hinzugefügt wurde. Daher der Grundsatz des Pacianus: "Christianus mihi nomen est, Catholicus vero cognomen."4 Zur Zeit, da es noch keine Konfessionen im neuzeitlichen Sinne gab, konnte dieser Beiname keinen abgrenzenden, exklusiven Sinn an sich tragen. Er war vielmehr Ausdruck für etwas Spezifisches am Christentum und Mittel zu seiner Individualisierung und Konkretisierung. (Fs) (notabene)

22b Auf diese Konkretisierung kann der christliche Glaube nicht verzichten, wenn er der Welt nicht seine ganze Realität vorenthalten will, die heute nur zusammen mit der "Konfessionsbezeichnung" dargeboten werden kann, auch wenn diese sogleich auch auf das bedauerliche Gespaltensein der Christenheit verweist. Freilich wird man heute katholischerseits vor der Hervorkehrung dieses sogenannten "Konfessionsstandpunktes" gegenüber der Welt eine gewisse Scheu empfinden und Zurückhaltung wahren. Es scheint jedenfalls kein Zufall zu sein, dass im katholischen Bereich Selbstdarstellungen in der Art des "Wesens des Katholizismus"5 oder der "Katholischen Frömmigkeit"6 selten geworden sind. Statt dessen dominieren Titel und Thesen, die sich mit dem Christlichen als solchem befassen und die in umgekehrter Sinnrichtung danach streben, das "Katholische" auch als christlich auszuweisen.7 Das legitime Anliegen dieser Versuche zur Verständnisvermittlung an die Welt kann nicht geleugnet werden. Gelegentlich wird aber die Schwierigkeit sichtbar, das Spezifische des Christlichen zu formulieren. (Fs)

23a Wenn so etwa das "Christliche" in seinem Wesen bestimmt wird als die in Jesus geoffenbarte "Treue und Liebe Gottes" oder als das "Sein für andere" oder als "radikales Menschsein", so kann man solchen Umschreibungen gegenüber die Frage stellen: Worin ist das spezifisch Christliche gelegen? Man kann nämlich ein "Spezificum" nicht dadurch gewinnen, dass man ein altbekanntes geistliches oder menschliches Moment intensiviert oder radikalisiert, also etwa für Gottes Treue, um die alle religiösen Menschen wissen, "bleibende" Treue sagt, oder für "Menschlichkeit", an der alle Menschen teilhaben und auf die alle verpflichtet sind, "radikale Menschlichkeit". (Fs)

Darum hat auch der umgekehrte Weg seine Berechtigung, der mit der Konkretion des "Katholischen" beginnt. So ist man der Gefahr enthoben, bei einem Ideellen oder Abstrakten zu verbleiben. Anders gelangt man schwieriger zur Konkretion dessen, was "Konfession" und "Kirche" beinhalten. Auch der als Ersatzlösung unternommene Versuch, die mangelnde Konkretion im Rückgang (es müsste meist schon heißen in einem abrupten "Rücksprung") auf den Menschen Jesus von Nazaret zu erreichen, ist dann zum Scheitern verurteilt;8 denn außerhalb der konkreten Konfession und der lebendig glaubenden Gemeinde muss auch dieser Jesus ein bloßes Vorbild oder Ideal bleiben, wenn er nicht gar zu einer willkürlichen Konstruktion wird, in der jeder neue Verfasser nur seine eigenen Intentionen unterbringt. (Fs)

23b So erhebt sich die Gefahr, dass das Christentum zu einem "politischen" Programm wird. Was aber ist ein Programm anderes als die ausführlichere Artikulierung einer Idee, eines Begriffs und eines Prinzips? So enden viele Versuche zur Vermittlung des Christlichen an die Welt heute in allgemeinen Appellen an das soziale Engagement und an die radikalere Menschlichkeit, wie sie in humanistischen Manifesten auch am Platze wären. Das Fehlen der Konkretion durch Nichtbeachtung des bekenntnishaften "Katholischen" vermag der angesprochenen Welt zwar eine manchmal willkommene Selbstbestätigung anzubieten, sie aber nicht mit dem Einmaligen und immer Neuen des Offenbarungsglaubens zu konfrontieren. (Fs)

23c Dass an diesem Punkte im katholischen Bereich heute ein wirklicher Ausfall zu verzeichnen ist, kann ein Blick auf die evangelische Theologie deutlich werden lassen, die bezeichnenderweise eine solche Zurückhaltung gegenüber dem eigenen "Konfessionellen" nicht kennt. Es gibt auf evangelischer Seite eine reiche Zahl an Selbstdarstellungen des eigenen konfessionellen Standpunktes, die vom hochwissenschaftlichen Niveau bis hin zur Stufe der vorwissenschaftlichen Erklärung und Vermittlung reichen. Unter wissenschaftlicher Rücksicht ist hier wiederum das große Werk von W Eiert zur "Morphologie des Luthertums" zu nennen,9 das eine mit allen Mitteln des modernen philosophischen, soziologischen und theologischen Denkens unternommene Strukturanalyse und Synthese des Luthertums darstellt und eine gestalthafte Typologie bietet, die weit über die "Symboliken" des 19. Jhs., aber auch über die ziemlich generalisierende "Konfessionskunde" des 20. Jhs. hinausgeht.10 Der katholische Christ, der dieses Buch mit einer gewissen Neigung für den Gegenstand, aber auch für die sachliche, strenge und in keiner Weise aufdringliche Art dieser Wissenschaftlichkeit liest, wird von seinem Endergebnis nicht unbeeindruckt sein. Es besteht in einer hochgemuten Anerkennung der Reformation und des Luthertums als den entscheidenden, nicht umkehrbaren Ereignissen der Neuzeit, die das römische Prinzip außer Geltung setzten. "Der Beitrag der deutschen Reformation für das Werden des modernen Zeitgefühls besteht in erster Linie in der Auflösung der Stabilität Roms. Dies war nicht nur ein kirchlicher Akt. Es war ein Ereignis der Kulturmenschheit. ... Durch die Reformation wurde Rom in den Strom der Geschichte hineingerissen."11 Aus dem Werk tritt eine ähnliche Überzeugung hervor, wie sie, von ganz anderen Grundlagen aus, der spanische Universalgelehrte Miguel de Unamuno, selbst von Herkunft Katholik, aber dann zu einem Freigeist aus Überzeugung geworden, im Hinblick auf das Christentum in der modernen Welt vertrat, dem er ganz objektiv noch eine gewisse Chance einräumen wollte. Er gewährte aber bezeichnenderweise diese Chance nur dem Protestantismus, nicht dem Katholizismus. Nach seiner Auffassung bietet der Protestantismus "die einzige Lösung, die uns vom Unglauben oder der Gleichgültigkeit... bewahren kann"12 in dieser modernen Welt. Man sollte sich heute als Katholik mit solchen hochgemuten Aussagen des Protestantismus konfrontieren,13 sowohl aus Gründen des ökumenischen Anliegens, aber auch aus Gründen der Selbstvergewisserung des eigenen Glaubensstandpunktes. Man könnte an solchen eindeutigen Bekundungen, an solchen kraftvollen Äußerungen der Vertreter des anderen Bekenntnisses nicht nur die Selbstprüfung vornehmen, ob der eigene Glaube auch noch diese Stärke besitzt. Man könnte solche Aussagen gleichsam auch zum Prüfstein nehmen, ob man ihnen auf intellektueller Ebene wirklich etwas entgegenzusetzen hat und ob man noch aus voller intellektueller Redlichkeit katholisch ist. (Fs)

25a Es würde sich dabei in vielen Fällen zeigen, dass nicht nur die einfachen Katholiken "Traditionskatholiken" sind - was aber im übrigen für diese völlig legitim ist -, sondern dass gerade die sogenannten intellektuellen Katholiken ihren Glaubensstandpunkt als katholische und moderne Menschen schwer begründen können, und dass sie möglicherweise zuletzt nur aus traditionellen Gründen bei der Kirche bleiben, was für sie als Intellektuelle aber durchaus widersprüchlich wäre. (Fs) (notabene)

Es scheint, dass sich das katholische Denken gerade gegenüber der modernen, rationalen und so wissenschaftlich gewordenen Welt dieser Selbstprüfung aufs Neue unterziehen muss. Wie D. Fr. Strauß (f 1874) im vergangenen Jahrhundert14" auf einem Scheitelpunkt der damaligen Geistesentwicklung die harte Frage "Sind wir noch Christen" stellte15 (und sie eben so hart und eindeutig negativ beantwortete), so ist dem katholischen Christen heute die ähnliche Frage gestellt: "Sind wir noch katholisch?" - im Sinne der von der Tradition gemeinten Katholizität (und gerade für das Katholischsein ist diese Tradition indispensabel, auch wenn sie weiterentwickelt wird), die den Wesenssinn des einmal Geoffenbarten und von der Kirche verkündeten Glaubens festhält, die sich also auch zu den heute als anstößig empfundenen Wahrheiten wie zur Gottheit Christi, zur göttlichen Stiftung der Kirche, zum Papsttum und seiner Unfehlbarkeit, zur sakramentalen Ordnung oder zu Maria bekennt, und zwar in der Weise des Festhaltens an Realitäten, nicht aber an idealistischen Wahrheiten oder an existentialistischen Bedeutsamkeiten. Es wäre jedenfalls ein Irrtum, vor alle diese Wirklichkeiten die idealistische Klammer oder das existentialistische Minuszeichen setzen zu wollen und sich dann noch mit der Tradition eins zu wissen. (Fs)

25b Wenn so die Notwendigkeit der Frage nach dem Wesen des katholischen Christentums feststeht, stellt sich die schwierigere Frage nach dem Weg und der Methode, vermittels welcher eine solche Wesensschau gelingen kann. Es ist nicht nur eine Forderung der Wissenschaftlichkeit, dass man sich nicht mit subjektiven Einfühlungen in die katholische Religiosität zufrieden gibt, sondern es ist auch eine Frage des praktischen Erfolgs dieser Erkenntnisbemühung, dass man das Phänomen richtig angeht, es auf die rechten Kategorien bringt und es in adäquate Aussageformen fasst. Wenn man das nicht tut, läuft man Gefahr, sich in gläubigen Anmutungen zu bewegen, die weder zum Wesen vorstoßen noch Unterschiede in den Griff zu bringen vermögen. (Fs)

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