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Autor: Lonergan, Bernard J.F.

Buch: Die Einsicht

Titel: Die Einsicht Bd. I und II

Stichwort: Elemente d. Metaphysik: Potenz, Form, Akt (Definition, Bedeutung); M. als vollständige heuristische Struktur des proportionierten Seins

Kurzinhalt: Potenz bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins ... Form bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins ... Akt bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins, die erkannt wird, indem man das virtuell unbedingte "Ja" des ...

Textausschnitt: XV. Kapitel DIE ELEMENTE DER METAPHYSIK

495a Das vorhergehende Kapitel skizzierte ein Programm, das vorliegende Kapitel fuhrt es aus. Wir haben die latente Metphysik des menschlichen Verstandes explizit zu machen, und der erste Schritt wird darin bestehen, ihre Elemente herauszuarbeiten. Es gibt deren sechs: Zentrale Potenz, zentrale Form, zentraler Akt, konjugate Potenz, konjugate Form und konjugater Akt. Im Lichte der vorangehenden Kapitel wird es eine relativ kurze Aufgabe sein, ihre Unterschiede herauszuarbeiten und sie miteinander in Verbindung zu bringen. Die Vorherrschaft der Gegenpositionen läßt es aber als unratsam - wenn nicht gar unmöglich - erscheinen, das Problem der genetischen Methode in Angriff zu nehmen, ehe wir instande sind, unsere metaphysischen Grundbegriffe anzuwenden. Das vorliegende Kapitel verdankt deshalb seine Länge und alle Komplexität, die es aufweisen mag, der Notwendigkeit, die Notion von Entwicklung zu klären und die heuristische Struktur der genetischen Methode sowohl im allgemeinen wie auch als angewandt auf den Organismus, die Psyche, die Intelligenz und die Kombination aller drei im Menschen zu umreißen. (Fs)

1. Potenz, Form und Akt

495b Die Metaphysik haben wir aufgefaßt als die vollständige heuristische Struktur des proportionierten Seins. Sie zielt auf eine unbestimmt entfernte Zukunft ab, in welcher der ganze Bereich des proportionierten Seins verstanden sein wird. Sie fragt, was hier und jetzt von dieser zukünftigen Erklärung erkannt werden kann. Sie antwortet, daß, wenn auch die volle Erklärung vielleicht nie erreicht werden wird, zumindest die Struktur dieser erklärenden Erkenntnis schon jetzt erkannt werden kann. (Fs) (notabene)

495c Denn das proportionierte Sein ist alles, was durch Erfahrung, intelligentes Erfassen und vernünftiges Bejahen erkannt werden kann. Es gibt demnach drei Komponenten in diesem Erkennen, wovon indes nur eine unbekannt ist. Der Inhalt des intelligenten Erfassens des proportionierten Seins bleibt notwendigerweise so lange unbekannt, bis die volle Erklärung erreicht ist. Der Inhalt des vernünftigen Bejahens hingegen ist bereits bekannt - er ist ein virtuell unbedingtes "Ja". Und der Inhalt der Erfahrung, der im vollständig erklärenden Erkennen überleben wird, ist ebenfalls schon bekannt; denn er ist die intellektuell strukturierte Erfahrung des empirischen Residuums; und wir wissen schon, daß Erfahrung in ihrer intellektuellen Struktur stattfindet, wenn sie durch das unvoreingenommene und uneigennützige Erkenntnisstreben beherrscht wird. Ähnlich haben wir schon ermittelt, daß das [432] empirische Residuum in der Individualität, der Kontinuität, dem zufälligen Zusammentreffen, den Aufeinanderfolgen und dem nichtsystematischen Abweichen von den intelligiblen Normen liegt; d. h. in all dem, was die durch die Erfahrung - und nur durch die Erfahrung - erkannt werden soll. (Fs) (notabene)

496a Wir wollen dementsprechend drei Termini einführen: Potenz, Form und Akt. (Fs)

Potenz bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins, die erkannt wird im vollständig erklärenden Erkennen durch eine intellektuell strukturierte Erfahrung des empirischen Residuums. (Fs) (notabene)

Form bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins, die zu erkennen ist, nicht durch ein Verstehen der Namen der Dinge noch durch ein Verstehen ihrer Relationen zu uns, sondern durch ein vollständiges Verstehen der Dinge in ihren Relationen zueinander. (Fs) (notabene)

Akt bezeichnet die Komponente des proportionierten Seins, die erkannt wird, indem man das virtuell unbedingte "Ja" des vernünftigen Urteils ausspricht. (Fs) (notabene)

496b Es folgt, daß Potenz, Akt und Form eine Einheit bilden. Was nämlich erfahren wird, ist das, was verstanden wird; und was verstanden wird, ist das, was bejaht wird. Die drei Ebenen der kognitiven Tätigkeit ergeben ein einziges Erkennen. Denn Erfahrung allein ist noch nicht menschliches Erkennen; Erfahrung und Verstehen genügen noch nicht zum Erkennen; erst wenn das Unbedingte erreicht ist und die Bejahung oder die Verneinung eintritt, liegt Erkenntnis im eigentlichen Sinne des Wortes vor. In ähnlicher Weise bilden auch die Inhalte der drei Erkenntnistätigkeiten eine Einheit; es ist ja nicht so, daß wir ein erstes proportioniertes Seiendes durch Erfahrung, dann ein zweites durch Verstehen und dann noch ein drittes durch das Urteilen erkennen; im Gegenteil: Die drei Inhalte verschmelzen in ein einziges Erkanntes. Und so sind Potenz, Form und Akt, weil sie durch Erfahrung, Einsicht und Urteil erkannt werden, nicht drei proportionierte Seiende, sondern drei Komponenten in einem einzigen proportionierten Seienden. (Fs) (notabene)

496c Es folgt weiter, daß Potenz, Form und Akt nicht nur eine Einheit bilden, sondern auch unter eine gemeinsame Definition oder Spezifikation fallen. Denn Erfahrung definiert und spezifiziert nicht; sie stellt lediglich vor. Und auch das Urteil definiert und spezifiziert nicht, sondern bejaht oder verneint bloß, was schon definiert oder spezifiziert wurde. Alles Definieren und Spezifizieren geschieht auf der Ebene des Verstehens, und so hat auch die Einheit, die durch Potenz, Form und Akt gebildet wird, nur eine einzige Definition oder Spezifikation, die dadurch erreicht wird, daß man die Form erkennt. (Fs) (notabene)

497a Schließlich, diese Darlegung von Potenz, Form und Akt gilt für jede mögliche wissenschaftliche Erklärung. Eine wissenschaftliche Erklärung ist ja eine Theorie, die in Fällen verifiziert worden ist; als verifizierte bezieht sie sich auf den Akt; als Theorie bezieht sie sich auf die Form; als in Fällen verifizierte bezieht sie sich auf [433] die Potenz. Ferner, als Theorie des klassischen Typus bezieht sie sich auf Formen als Formen; als Theorie des statistischen Typus bezieht sie sich auf Formen, insofern diese Häufigkeiten festlegen, von denen die Akte nicht systematisch divergieren; als Theorie des genetischen Typus bezieht sie sich auf die Bedingungen der Emergenz der Form aus der Potenz. (Fs)

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