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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Kultur - Glaube; neuer Mensch - neue Welt; Kirche - W.

Kurzinhalt: Wenn der Mensch Christus aufnimmt und Gesprächsparter Gottes, des Erlösers, wird, wandelt er sich von Grund auf... Die "neue Menschheit" ist niemals die ganze Menschheit. Die Kirche und die "Welt" ... bekämpfen einander ...

Textausschnitt: II. Der richtige Begriff vom Glauben

284b Auch der andere Terminus des Wortpaares, das uns interessiert, der Glaube, setzt eine kurze Erklärung voraus. Hier geht es aber nicht um die Erfassung und Unterscheidung der verschiedenen Bedeutungen wie bei dem Wort "Kultur", dessen vielfältige Verwendung voll gerechtfertigt ist. Hier muß man zu verstehen suchen, was der Glaube in wahrhaft christlicher Sicht tatsächlich ist. Jedes abweichende Verständnis, das heute unter den Menschen verbreitet ist, muß als das beurteilt werden, was es ist: eine Entstellung, eine Verfälschung oder eine Verstümmelung der ursprünglichen Idee. In der Tat handelt es sich meist um eine Verstümmelung. Manchmal wird der Glaube mit der Gesamtheit der Riten und Gebräuche ohne jede innere Teilnahme identifiziert. Oder er läuft auf das religiöse Gefühl hinaus, das von keiner stichhaltigen Vernünftigkeit erleuchtet ist. (Fs)

285a Eine Verstümmelung ist es auch, wenn man den Glauben für einen reinen Erkenntnisakt hält, der nur das Denkvermögen beansprucht; und es ist eine Verstümmelung, ihn als Ergebnis eines reinen Willensaktes zu betrachten. (Fs)

1. Eine ganzheitliche Antwort

Die Offenbarung lehrt uns, daß der Glaube eine Antwort ist und nur dann verstanden wird, wenn er auf das heilbringende Eingreifen des Schöpfers in unsere Geschichte bezogen wird. Glauben heißt, den Herrn aufnehmen, der uns nicht nur dazu beruft, seine Empfänger, sondern auch seine Gesprächspartner und in gewisser Weise Teilhaber zu sein; es ist die persönliche Aufnahme eines Gottes, der in das Schicksal nicht mit der Begrenztheit des Geschöpfes, sondern in Fülle und Ganzheit, die der Gottheit eigen sind, eintritt: Gott, der alles ist, fordert ein volles Ja. Im Glauben öffnet sich deshalb der ganze Mensch - Vernunft, Wille, Gefühl, Mentalität, Kultur, Leben - für Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, in dem die ganze göttliche Heilsdynamik enthalten ist. (Fs)

2. Eine verwandelnde Antwort

Wenn der Mensch Christus aufnimmt und Gesprächsparter Gottes, des Erlösers, wird, wandelt er sich von Grund auf. Sein Denkvermögen wandelt und erhebt sich, weil glauben eigentlich bedeutet, Gott, den Menschen und die Dinge mit Christi Augen zu sehen. Im Glauben erwacht mit der Hoffung eine neue Fähigkeit, zuversichtlich die Fülle des Lebens und der Freude zu erstreben. Ihm wird nach dem Wort des Propheten, ein "neues Herz" gegeben, das heißt eine ganz andere, neue Liebesfähigkeit: den Vater zu lieben, die Brüder und Schwestern zu lieben und jedes Geschöpf zu lieben. Das ist die göttliche Tugend der Liebe, die uns mit dem Herrn Jesus verbindet und ihm ähnlich macht, der das lebendige Bild des Vaters ist, der Archetyp jedes Menschen, die Summe aller Schönheit und aller Werte, die sich in der Vielfalt der Dinge offenbart.

285b Der Mensch, der glaubt, ist also ein "neuer Mensch": "Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung" (2 Kor 5,17). (Fs)

3. Eine Antwort zur Umgestaltung der Welt
286a Der Glaube, der den "neuen Menschen" erschafft, ist die Voraussetzung für eine neue Welt. (Fs)

Der "neue Mensch" ist natürlich das Grundprinzip einer anderen, in allen Bereichen neuen Verhaltensweise: es ist eine neue Weise zu leben, zu arbeiten, zu leiden, sich zu freuen, Gemeinschaft zu bilden und sich um die Humanisierung der Natur zu bemühen. Der Mensch entfaltet seine Menschlichkeit nur dann, wenn er sich nicht in sein Inneres einkapselt; deshalb bleibt auch der Glaube, der Akt des ganzen Menschen ist, nicht im tiefsten Herzen verborgen, sondern strahlt seine Neuheit in das ganze Universum aus. Der Mensch hat den natürlichen, inneren Impuls, eine neue Gesellschaft, eine neue Geschichte, eine neue Kultur aufzubauen. (Fs)
4. Eine kirchliche Antwort

Weder der Glaube noch der daraus entstandene "neue Mensch" sind verständlich, wenn man nicht berücksichtigt, daß die christliche "Neuheit" zwar ein persönliches Ereignis ist, das jeder Gläubige auf seine Weise in sich aufnimmt, aber zugleich der Anfang und der Grund eines Gefüges ist, das einen Organismus bildet. Der Gläubige, der sich lebendig mit Christus verbindet, verbindet sich auch lebendig mit seinen Brüdern und Schwestern im Glauben. So entsteht das, was Paulus in einem kühnen Vergleich den "Leib Christi" nennt; so beginnt das Geheimnis der Kirche in der Geschichte zu leben und zu wirken. (Fs)

Die passende Antwort auf das heilbringende Eingreifen Gottes ist eine Kirche, das heißt eine neue Menschheit. Jede rein persönliche Auslegung der christlichen Tatsache verfälscht sie in einem ihrer wesentlichen Aspekte. (Fs)

5. Eine Antwort, der widersprochen wird

Die göttliche Initiative stößt seit je auf unerklärlichen Widerstand und Ablehnung. "Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11). (Fs)

286b Der Glaube lebt mit dem Unglauben zusammen. Der alte Mensch und der neue Mensch koexistieren in ein und demselben Herzen. Die "neue Menschheit" ist niemals die ganze Menschheit. Die Kirche und die "Welt" (in jenem negativen Sinne, welchen das Wort in den neutestamentlichen Schriften oftmals annimmt) sind einander entgegengesetzt, sie bekämpfen einander mit wechselndem Ausgang. (Fs)

287a Der Gläubige weiß, daß Christus schon gesiegt hat. Aber er weiß auch, daß die volle Offenbarung dieses Sieges ein eschatologisches Geschenk sein wird. Das entmutigt ihn nicht: Um er selbst zu sein und um Gottes Heil in der Wahrheit ganz aufhzunehmen, bemüht er sich ständig, eine neue Gesellschaft, eine neue Geschichte, eine neue Kultur ins Leben zu rufen. (Fs)

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