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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Moralität; 3 Gundregeln (Prinzipien) des Handelns; ontologisches Fundament; Objekt, Umstände, Ziel; bonum ex integra causa, malum ex quocumque defectu

Kurzinhalt: Gut und Böse sind nur der Transfer der Begriffe Sein oder Nichtsein in den Bereich der Willensäußerung...

Textausschnitt: 3. Die Moralität

253b Aus dem Gesagten können wir drei Gundregeln des Handelns ableiten:
I Man muß das Gute tun (nicht alles und nicht immer).
II Man muß das Böse vermeiden (alles und immer).
III. Regel der Doppelwirkung. (Fs)

Um diese Regeln anwenden zu können, muß man natürlich beurteilen können, wann ein Akt gut und wann ein Akt schlecht ist; das heißt, man muß die Moralität eines Aktes beurteilen können. Uns zu befähigen, die Moralität eines Aktes zu beurteilen, ist Aufgabe der gesamten Moralwissenschaft. Wir können hier nur einige Überlegungen allgemeiner Natur vorwegnehmen, damit wir unterscheiden können, wann ein Akt der Norm der Aufrichtigkeit entspricht oder nicht, das heißt, wann er gut oder wann er schlecht ist. (Fs)

Das ontologische Fundament

Gut und Böse sind nur der Transfer der Begriffe Sein oder Nichtsein in den Bereich der Willensäußerung: Das Gute ist Sein, das Böse ist Nichtsein. Was positiv existiert, ist nur das Gute. Das Böse kann nur als mangelndes Sein gedacht werden, oder, genauer, als mangelnde notwendige Vollkommenheit. (Fs) (notabene)

253c Das grundlegende Kriterium zur Beurteilung der Moralität eines Aktes ist die Berücksichtigung seiner ontologischen Vollkommenheit: Eine ihrer Art entsprechend vollendete Handlung ist gut zu nennen; eine ihrer Art nach mangelhafte Handlung ist böse zu nennen (vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae II-II, q.18, a. 1). Damit eine Handlung als Handlung vollendet ist, ist es notwendig, daß sie das entsprechende Objekt, die entsprechenden Umstände und die rechte Zielsetzung hat. Fehlt eines dieser Elemente, ist der Akt unvollendet, das heißt schlecht. (Fs)

Das Objekt

254a Die allgemeine Handlung wird spezifiziert durch ihr Objekt. Ein Akt ist deshalb gut oder schlecht, je nachdem, ob er ein angemessenes Objekt hat. Beispiel: Die allgemeine Handlung, das Auto zu benützen, erweist sich als gut, wenn ich mein Auto benütze, als schlecht, wenn ich ein gestohlenes Auto benütze. (Fs)

Die Umstände

Eine Handlung wird schlecht, obwohl sie sich vom rechten Objekt her als gut erwiesen hat, wenn sie einer für sie erforderlichen Bedingung beraubt wird. Beispiel: das eigene Auto benützen, aber mit zu hoher Geschwindigkeit oder auf der falschen Straßenseite fahren. (Fs)

Das Ziel

Ein weiteres Element, das in Bezug auf die moralische Beurteilung zu berücksichtigen ist, ist das Ziel. Das Ziel ist eigentlich das Objekt der Willensäußerung, die der innere Antrieb der Handlung ist. Das Ziel bestimmt deshalb die Willensäußerung, die ihrerseits den äußeren Akt bestimmt. (Fs)

254b Wir können auch sagen: Eine Handlung unterliegt der moralischen Beurteilung, insofern sie beabsichtigt ist; aber die Absicht ist gut oder schlecht, je nach ihrem Objekt, das man erlangen will, und das ist das "Ziel" oder der "Zweck". Deshalb bestimmt das beabsichtigte Ziel die Moralität des ganzen Aktes. Beispiel: zur Sonntagsmesse gehen, um den Ehemann zu ärgern. Hier ist die an sich und von den Umständen her gute Handlung durch die böse Absicht verdorben. (Fs)

Integralität des Guten

255a Aus dem Begriff von Gut und Böse selbst folgt, daß ein Akt dann gut ist, wenn alle notwendigen Vollkommenheiten mitwirken, wohingegen das Fehlen eines einzigen Prärogativs genügt, daß er nicht gut ist. Ein Akt muß in Ordnung sein wie ein Strumpf: er muß ganz in Ordnung sein; eine einzige Laufmasche genügt, daß aus ihm ein zerrissener Strumpf wird. (Fs)

Die früheren Moralisten drückten diese einfache und grundlegende Idee mit dem Aphorismus aus: "bonum ex integra causa, malum ex quocumque defectu". (Fs)

255b Zum Beispiel sind folgende Handlungen schlecht, weil jeder Handlung etwas Erforderliches fehlt: Psalmen unmanierlich singen; während der Unterhaltung im Gasthaus den Rosenkranz beten; in der Kirche die Melodie der "Lustigen Witwe" pfeifen; an der Anbetung nur deshalb teilnehmen, damit man vom Pfarrer gesehen wird. (Fs)

255c Selbstverständlich ist es beinahe unmöglich, daß ein Akt alle erforderlichen, auch die allerfeinsten Vollkommenheiten besitzt. Wenn wir nur dann handeln würden, nachdem wir der absoluten Vollkommenheit unserer Handlungen sicher sind, würden wir überhaupt nicht mehr handeln. Aber alles, was hier ohne Umschweife gesagt wurde, soll uns lehren, daß wir ehrlich die erforderliche Vollständigkeit anstreben sollen, indem wir versuchen, der Vollkommenheit möglichst näher zu kommen, die der Mensch als Pilger hier auf Erden in seinem Verhalten nur sehr schwer erreichen kann. Das meint Jesus, wenn er sagt: "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist" (Mt 5,48). (Fs)

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