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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Das Böse, Jesus, Leiden; Leidensweg, Jünger; Petrus; Hebräerbrief: Psychologie des Gottessohns; Opfer; Opfertod; Zusammenfassung; positiver Wert des Leidens

Kurzinhalt: ... treffen sich in ihm sozusagen die zwei Seiten des Bösen, Leiden und Schuld ... ist die christliche Botschaft ihrem Wesen nach die Verkündigung des Triumphes der Menschheit über das Reich des Todes und der Sünde durch den Opfertod und die ...

Textausschnitt: Jesus und das Leiden

218a Auch dem Leiden gegenüber verhält sich Jesus in ganz spezifischer Weise. (Fs)

Leiden - sagt er - sei nicht immer das Anzeichen für eine persönliche menschliche Schuld, die Strafe verdient, aber immer von Bedeutung und Wert für den Plan des Vaters (vgl. die Heilung des Blindgeborenen: "Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden" (Joh 9,3). In Jesu Lehre wird das Leiden beinahe zu einer Bevorzugung im Hinblick auf den damit verbundenen Lohn, während der irdische Wohlstand eine Gefahr sein kann: "Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen... Weh euch, die ihr jetzt lacht; denn ihr werdet klagen und weinen" (Lk 6,21.25). (Fs)

Ja, weil er selbst leiden muß, ist der Leidensweg notwendig, um ernsthaft sein Jünger sein zu können: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach" (Mt 8,34). Ein Satz, der in seiner vollen Härte, über die stets gepflegte und äußerst konventionelle Zitiererei hinaus, neu erfaßt werden sollte. (Fs)

Dieses Logion läßt uns über die Tatsache nachdenken, daß Jesus das Leiden als etwas Wesentliches betrachtet, das sein Dasein und seine Sendung kennzeichnet. Sein ganzes Denken richtet sich auf das wiederholt angekündigte furchtbare Leiden. Man vergleiche z. B. Mk 8,31-33: "Dann begann er, sie darüber zu belehren, der Menschensohn müsse vieles erleiden und von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten verworfen werden; er werde getötet, aber nach drei Tagen werde er auferstehen. Und er redete ganz offen darüber. Da nahm ihn Petrus beiseite und machte ihm Vorwürfe. Jesus wandte sich um, sah seine Jünger an und wies Petrus mit den Worten zurecht: Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen."
218b Petrus verkörpert sehr gut unseren Widerwillen gegen einen göttlichen Plan für uns, der Niederlage, Leiden und Tod einschließt; Jesu Reaktion sagt uns, daß hier ein äußerst sensibler Punkt des Empfindens und des missionarischen Bewußtseins des Herrn berührt wurde. (Fs)

219a Die staunenswerte Meditation des Hebräerbriefes über die grundlegende Bedeutung des Leidens für die volle menschliche Bewußtseinsbildung Jesu im Hinblick auf seine Sendung hat sehr gut erfaßt, wie wichtig die Erfahrung des Kreuzes für die geheimnisvolle Psychologie des Gottessohns war: "Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden" (Hebr 5,8-9). (Fs)

Aber derselbe Hebräerbrief sagt uns - und die Berichte des Evangeliums bezeugen es auch -, daß Jesus nichts Masochistisches an sich hat und daß es ihm nicht angenehm ist, zu leiden: Die Szene von Getsemani macht das deutlich: "Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt ... Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst" (vgl. Mt 26,37-39). "Er hat mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden" (Hebr 5,7). Diese Worte zeigen uns die komplexen und geheimnisvollen Beziehungen zwischen Leiden, Gebet und dem Plan des Vaters, der in jedem Fall erfüllt werden muß. (Fs)

Jesus scheint den furchtbaren Tod am Kreuz zu ersehnen, wenn er sagt: "Ich muß mit einer Taufe getauft werden, und ich bin sehr bedrückt, solange sie noch nicht vollzogen ist" (Lk 12,50). Er weiß, daß sein Blut als Blut des Opfers, das den neuen Bund besiegelt, "zur Vergebung der Sünden" vergossen wird (Mt 26,27). (Fs)

219b Wie man sieht, treffen sich in ihm sozusagen die zwei Seiten des Bösen, Leiden und Schuld, wie es im Buch der Tröstung Israels angekündigt worden war. Und gerade dadurch, daß er sich in die Mitte des Geheimnisses des Bösen gestellt hat, haben die Apostel nach der Auferstehung verstanden, daß Jesus von Nazaret wahrhaftig der "Goel" des neuen Volkes Gottes ist. (Fs)

Die apostolische Verkündigung

220a Nach der tragischen Erfahrung des Karfreitags und den wiederholten Begegnungen mit dem auferstandenen Herrn können die Apostel den schwierigen Plan der Erlösung des unglücklichen und sündigen Menschen durch das Leiden erfassen. So verstanden, ist die christliche Botschaft ihrem Wesen nach die Verkündigung des Triumphes der Menschheit über das Reich des Todes und der Sünde durch den Opfertod und die Auferstehung Christi: "Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: 'Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift ... Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden'" (1 Kor 15,3-4.22). "Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt" (Röm 4,25). (Fs)

Und weil das christliche Leben ein "Leben in Christus und nach dem Bild Christi ist, beginnen die Apostel sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß das für Jesus erduldete Leiden sogar ein Vorzug und eine Quelle der Freude ist. So begreifen sie allmählich den wahren Sinn der anspruchsvollen "Seligpreisungen" des Evangeliums: "Sie aber gingen weg vom Hohen Rat und freuten sich, daß sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden" (Apg 5,41). (Fs)

Deshalb konnte Petrus sogar schreiben. "Denn es ist eine Gnade, wenn jemand deswegen Kränkungen erträgt und zu Unrecht leidet, weil er sich in seinem Gewissen nach Gott richtet. Ist es vielleicht etwas Besonderes, wenn ihr wegen einer Verfehlung Schläge erduldet? Wenn ihr aber recht handelt und trotzdem Leiden erduldet, das ist eine Gnade in den Augen Gottes" (1 Petr 2,19-21). (Fs)

Und der Apostel Paulus kann hervorheben, daß der Christ, der durch sein Leiden in seinem Leben das Todesleiden Jesu trägt, zum Prinzip des Gnadenlebens wird: "Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird" (2 Kor 4,10). (Fs)

220b Als Teilhabe am Opfer Christi haben die Leiden des Christen für die Menschheit und den Aufbau der Kirche sogar einen Heilswert, wie der Apostel in tatsächlich überraschender Weise sagt: "Jetzt freue ich mich an den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben das, was an den Leiden Christi noch fehlt" (Kol 1,24). (Fs)

221a Das Leiden wird natürlich nicht als Ziel, sondern als Voraussetzung für den Zustand der Freude und Herrlichkeit gesehen, der der Lohn sein wird. Das ist im Christentum eine Grundperspektive und eine unwiderrufliche, klare Gewißheit: "Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden" (Röm 8,17). Mehr noch, die christliche Hoffnung beschränkt sich nicht nur auf den Einzelnen, sondern umfaßt den ganzen Kosmos: "Dann erwarten wir, seiner Verheißung gemäß, einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen die Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3,13), und damit wird endlich alles bereinigt. "Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen. Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen" (Offb 21,4). (Fs)

Zusammenfassung

221b Die Besonderheit des Christentums besteht darin, daß es den positiven Wert des Leidens bekräftigt und versichert, daß in Christus der Zustand der Sünde und die Katastrophe des Todes überwunden sind. Das alles wird in der Botschaft des Evangeliums nicht durch eine Reihenfolge von theoretischen Beweisführungen ausgedrückt: Das Christentum ist an und für sich keine Lehre, die dem menschlichen Denken Lösungen des Rätsels anbieten will, sondern es ist die Nachricht von einem Ereignis und einer uranfänglichen Wirklichkeit, in der alles schon da ist und aus der alles Sinn und Bedeutung empfängt. (Fs) (notabene)

Es ist das österliche Ereignis des Eingeborenen des Vaters, der unser Bruder geworden ist: das Pascha des Blutes und der Erlösung, der Erniedrigung und der Herrlichkeit, des Todes und der Auferstehung, der Teilhabe an der Niederlage der Kinder Adams und ihrer wirklichen endgültigen Erlösung. (Fs)

221c Die uranfängliche Wirklichkeit ist Christus selbst: Indem sich der Mensch im Denken und Handeln immer enger an Christus bindet, teilt er das Geschick des leidenden Erlösers, der vom Vater gerettet wird. Wenn der Mensch sich von Christus ausschließt, dann schließt er sich auch vom göttlichen Plan und von seiner ursprünglichen Berufung aus und muß sich trostlos dem Absurden überlassen. (Fs)

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