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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Kirche, Ekklesiologie, Paulus: Pastoralbriefe; K. als "Haus" Gottes; Hierarchie, Tradition, Sukzession; Schlußbemerkungen

Kurzinhalt: Der Grundbegriff für die Kirche in diesen Briefen ist das "Haus"; das "Hauswesen Gottes ... Wahrscheinlich würde Paulus manchen Aspekt der zeitgenössischen ekklesiologischen Mentalität anprangern ...

Textausschnitt: C) Die Pastoralbriefe

161a Die sogenannten Pastoralbriefe unterscheiden sich deutlich von den anderen Briefen, sie sind in einem anderen Ton geschrieben, und es ändert sich auch die ekklesiologische Perspektive. Die Kirche der Pastoralbriefe ist ebenfalls das "Volk Gottes" (Tit 2,14). Sie weiß sich auch eingebettet in die kurze Zeitspanne zwischen der ersten und zweiten Epiphanie des Herrn und ist deshalb ganz auf die endgültige Begegnung hin ausgerichtet (1 Tim 6,14; Tit 2,13). Aber das Bild der Kirche erscheint jetzt gereifter, man sorgt sich schon mehr um gute Leitung. Die kirchlichen Gemeinschaften, um die es hier geht, scheinen weniger charismatisch und besser organisiert zu sein. Sie sind dabei, die turbulente Anfangsphase zu überwinden oder haben sie schon überwunden, haben aber noch nicht die tragische Erfahrung der großen Verfolgungen gemacht. (Fs)

a) Der Grundbegriff für die Kirche in diesen Briefen ist das "Haus"; das "Hauswesen Gottes, das heißt die Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist" (vgl. 1 Tim 3,15). (Fs)

b) Die Leitung des Hauswesens Gottes ist besonders den Mitgliedern der Hierarchie aufgetragen, die auf dem "festen Fundament, das Gott gelegt hat", weiter bauen (vgl. 2 Tim 2,19), sein Haus vor Gefahren schützen und dessen Leben entfalten sollen. (Fs)

In den Pastoralbriefen zeigt sich die Hierarchie wie folgt geordnet:
- Die oberste Autorität über die von ihm gegründeten Kirchen liegt noch in den Händen des Apostels, der weiterhin in das Gemeinschaftsleben eingreift. (Fs)

- Dem Apostel sind Männer seines Vertrauens untergeordnet, wie Timotheus und Tttus, die über ganze Bezirke bestimmen. (Fs)

- Die Leitung der einzelnen Gemeinden haben die Bischöfe oder Ältesten, die von den Führern wie Timotheus und Titus gewählt und durch einen Ritus geweiht werden (vgl. 1 Tim 1,18; 4,14; 2 Tim 1,6). (Fs)

c) Hauptaufgabe des Apostels und seiner Mitarbeiter bleibt die Evangelisierung (vgl. 2 Tim 1,10 ff.), die aber zu diesem Zeitpunkt auch Bewahrung der empfangenen Lehre und Ermahnung der Gläubigen bedeutet (vgl. Tit 1,9; 2 Tim 4,3; J Tim 4,11; 6,2). (Fs)

161b So entsteht allmählich in der Kirche das Prinzip der "Tradition" und der "Sukzession", das in der nachfolgenden Epoche in der Errichtung des monarchischen Episkopats seinen deutlichsten Niederschlag findet (vgl. die Briefe des Ignatios von Antiochien). (Fs)

Schlußbemerkungen

162a
1. Drei verschiedene Inspirationsquellen liegen der ekklesiologischen Reflexion des Apostels Paulus zugrunde:

- die alte Offenbarung und das Konzept Israels als Volk Gottes;
- die apostolische Erfahrung und das konkrete Leben der christlichen Gemeinden, die ihm die Kirche als Wirkungsbereich des Heiligen Geistes vor Augen führen;
- die Erwartung der "Parusie" und des Triumphes Christi, die ihn die Kirche als kosmische und transzendente Wirklichkeit erkennen lassen. (Fs)

Betrachtung der Heiligen Schrift, existentielle Eingliederung in die Gemeinschaft der Gläubigen, Sinngebung und Zielsetzung unseres Lebens sind die Wege, die Paulus auch uns anbietet, damit wir tiefer in das Geheimnis der Kirche eindringen. (Fs)

2. Paulus ist kein unruhiger Visionär oder inkonsequenter Charismatiker. Er ist ein Menschenkenner, ein Führer und Manager. Deshalb hat er die Kirche immer als konkrete Gemeinschaft von schwachen und fehlerhaften Personen vor Augen, und in seine Rede wird immer auch der institutionelle und betriebsmäßige Aspekt miteinbezogen. (Fs)

Aber er weiß, daß man den Wesenskern der Kirche nur erfaßt, wenn man über diesen Aspekt hinausgeht und in den ewigen Plan Gottes eindringt. Seine Rede, die den Menschen gegenüber auch hart und streng sein kann, steht aber nie im Widerspruch zur Kirche und ist ihr gegenüber nie voll Bitterkeit. Im Gegenteil, er spricht von ihr mit der Begeisterung dessen, der weiß, ein Meisterwerk Gottes vor sich zu haben. (Fs)

3. Wahrscheinlich würde Paulus manchen Aspekt der zeitgenössischen ekklesiologischen Mentalität anprangern:

162b
- Der Begriff der Kirche als Volk Gottes ist grundlegend richtig. Aber gerade deshalb darf man die Kirche nicht als ein gleichgeschaltetes, der allgemeinen Mentalität angepaßtes Volk verstehen, das sich nicht unterscheidet. Das Volk Gottes ist als ein "geheiligtes" und ausgesondertes Volk zu sehen. (Fs) (notabene)

163a
- Der Begriff der Kirche als Volk Gottes ist ein theologischer Denkansatz, von dem man ausgehen muß: Von ihm wurde das Kirchenverständnis der christlichen Urgemeinde hergeleitet. Aber dieser Begriff ist nicht erschöpfend für das Kirchenverständnis. Paulus erreicht den Höhepunkt in seiner Reflexion, wenn er die Kirche als "Leib Christi" begreift. (Fs)
- Um das Verständnis des kirchlichen Geheimnisses wirklich zu vertiefen, ist nicht so sehr das Nachdenken über die Beziehungen zwischen den Christen und der Welt, sondern das Nachdenken über die Beziehungen zwischen den Christen und Christus notwendig. (Fs)

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