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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Kirche, Ekklesiologie, Paulus: Gefangenschaftsbriefe; Heilsgeheimnis (oiconomia), der Leib Christi (Formeln der Einwohnung; kosmische Dimension); Menenius Agrippa

Kurzinhalt: In den Gefangenschaftsbriefen hingegen verbindet sich das Bild mit dem Begriff des Primats Christi, der "Haupt des Leibes" ist, und wird die höchste Begriffsform, mit der Paulus sich das feste und lebendige Band vorzustellen sucht ...

Textausschnitt: B) Die Gefangenschaftsbriefe

158a Die Gefangenschaftsbriefe unterscheiden sich nicht wesentlich von den vorher genannten Briefen. Sie sind aber Frucht einer weitergehenden, vertieften Reflexion. (Fs)

1. Das Heilsgeheimnis

Die Kirche als Heilsgeheimnis entfaltet und vertieft das Geheimnis des "Volkes Gottes". (Fs)

158b Die Verwandlung des Israel "dem Fleische nach" in das Israel Gottes ist nicht nur eine der Etappen der Heilsgeschichte, sondern auch die Offenbarung und Verwirklichkung des Planes Gottes, d. h. des Geheimnisses Christi, das "den Menschen früherer Generationen nicht bekannt war; jetzt aber ist es seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden" (Eph 3,5). Es ist "jenes Geheimnis, das seit ewigen Zeiten und Generationen verborgen war. Jetzt wurde es seinen Heiligen offenbart" (Kol 1,26). Aber was bedeutet dieser verborgene Plan ("oiconomia")? Die Teilhabe aller Menschen am "Erbe", das heißt an der Sohnschaft Christi: "daß nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium" (Eph 3,6). (Fs) (notabene)

In einem dichten und anschaulichen Text geht Paulus so weit zu sagen, daß die himmlischen Wesen gerade durch die Entstehung der Kirche erkennen konnten, wie phantasievoll und weise der Schöpfer ist: "So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes" (Eph 3,10). (Fs)

2. Der Leib Christi

158c Während er den Begriff der Kirche als heiliges Volk entwickelt und vertieft, gelangt Paulus zum tiefen und bedeutsamen Bild der Kirche als "Leib Christi". (Fs)

159a Christ sein bedeutet, persönlich und innerlich mit Christus verbunden zu sein. Und gerade diese geheimnisvolle Verbindung ist das, was die Gläubigen zu einem lebendigen Organismus vereint und zusammenfügt. (Fs)

Schon in den ersten Briefen steht das Thema unserer Verbundenheit mit dem Herrn Jesus im Mittelpunkt und wird vielfach behandelt. (Fs)

a) Die Formeln der Einwohnung:

- Christus in uns (2 Kor 4,5-14; 13,2-5; Gal 2,19 f.; Röm 8,9-11; Eph 8,16 ff.; Kol 1,27; 3,9 ff.; Phil 1,21);
- wir in Christus: die Redewendung "in Christus ("en Christo")" kommt in den paulinischen Schriften 165mal vor;
- mit Christus (Röm 6,8; 2 Kor 4,14; Kol 3,3-4);
b) Letzere Form erscheint abgewandelt mit dem Präfix "syn" (mit), das er oft anwendet, um die einzelnen Aspekte dieser tiefen Verbundenheit mit dem Auferstandenen hervorzuheben:
- mit Jesus leiden, mit Jesus gekreuzigt werden, mit Jesus sterben, mit Jesus begraben werden;
- mit Christus leben, mit Jesus auferweckt werden, mit Christus verborgen in Gott leben, mit Christus offenbar werden in Herrlichkeit;
- Christus gleichgestaltet werden, in Christus verwurzelt sein, Miterbe Christi sein, in den Leib Christi eingegliedert sein. (Fs)

c) So entsteht in den großen Briefen und in den Gefangenschaftsbriefen die Idee des "Leibes Christi" als Bild, das bei der Vertiefung in das Geheimnis der Kirche benützt wird. (Fs)

Als mögliche Quellen dieser charakteristischen Lehre des Paulus sind zu nennen:
- die berühmte Erzählung des Menenius Agrippa, verfeinert durch die Reflexion der stoischen Philosophie über die universale Solidarität der Menschen;
- der eucharistische Ritus, in dem der "Leib Christi" das gemeinsame Lebens- und Einheitsprinzip der Teilhabenden ist;
- die Überzeugung einer grundlegenden Verbundenheit der Christen mit Christus, die auf einige "Logien" Jesu und auf das entscheidende Damaskuserlebnis zurückzuführen ist, von dem in der Apostelgeschichte (9,1-9; 22,5-16; 26,9-19) berichtet wird: "Saulus, Saulus, warum verfolgst du mich?"

459b In den großen Briefen dient das Bild des "Leibes" hauptsächlich dazu, die Verbundenheit der Christen mit der Gemeinschaft und untereinander auszudrücken (wir sind also der Lehrfabel von Menenius Agrippa noch sehr nahe). In den Gefangenschaftsbriefen hingegen verbindet sich das Bild mit dem Begriff des Primats Christi, der "Haupt des Leibes" ist, und wird die höchste Begriffsform, mit der Paulus sich das feste und lebendige Band vorzustellen sucht, das zwischen der erneuerten Menschheit und dem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes besteht. (Fs)

160a In dem Hymnus aus dem Kolosserbrief (1,15-20), den wir schon untersucht haben, erscheint der Satz: "Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche" (1,18) als Eckstein der ganzen Komposition. In diesem Kontext nimmt die "ecclesia" - das ist die Gemeinschaft der Gläubigen, geschichtlich betrachtet - auch ein großartiges kosmisches Ausmaß an, in das sogar die himmlischen Gewalten einbezogen werden. (Fs)

Im Ausblick auf die Erhöhung Christi zum König des Universums nimmt die Kirche immer deutlicher Gestalt an: "Sie ist sein Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht" (Eph 1,23). (Fs)

3. Eine Wirklichkeit, die über die Geschichte hinausgeht

160b Der Begriff des "Leibes", der durch seine kosmische Ausdehnung auch die himmlischen Wesen umfaßt, fuhrt Paulus zum Begriff der Kirche als Wirklichkeit, die den irdischen und zeitlichen Zustand überschreitet. Obwohl für Paulus die Kirche immer die konkrete Gemeinschaft der Gläubigen bleibt - mit all ihren Schwächen und Schwierigkeiten -, ist sie auch die neue Wirklichkeit, die Christus zum Haupt hat: Sie ist eine Wirklichkeit des "kommenden Zeitalters". Aber dieses "kommende Zeitalter" hat bereits begonnen. Die Gemeinschaft der Gläubigen strebt "auf den vollkommenen Menschen hin", d. h. auf jene eschatologische Fülle, in der alle Dinge in Christus ihren Platz finden. Aber sie hat auch schon daran teil, so daß Paulus sogar von unserer Auferweckung und von dem für uns bestimmten Platz im Himmel spricht, als hätten diese Ereignisse bereits stattgefunden: Gott hat uns "mit Christus wieder lebendig gemacht ... Er hat uns mit Christus auferweckt und uns zusammen mit ihm einen Platz im Himmel gegeben" (Eph 2,5.6). Kraft dieser schon bestehenden eschatologischen Wirklichkeit, an der wir teilhaben, kann Paulus sagen: "Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter" (Phil 3,20). (Fs)

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