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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Kirche, ecclesia, Ekklesiologie - Apostelgeschichte, Lukas; Volk Gottes (Wüste, des neuen Bundes); zweifache Bedeutung: örtlichen Gemeinde - universale Gemeinschaft; K.: Werk des Geistes, Epiphanie;

Kurzinhalt: Die Verwendung des Terminus in der Apostelgeschichte spiegelt wahrscheinlich die geschichtliche Entwicklung des Begriffs in der christlichen Urgemeinde wider. Wir nennen hier die einzelnen Phasen.

Textausschnitt: II. Die Apostelgeschichte

146a Während in den Evangelien der Ausdruck "ecclesia" praktisch fehlt, ist er in der Apostelgeschichte ein grundlegender Begriff. Hervorzuheben ist, daß Lukas als Autor des dritten Evangeliums dieses Wort völlig ignoriert, während er es als Autor der Apostelgeschichte sehr häufig verwendet. Wir untersuchen hier:

a) die Entwicklung des Terminus in der Schrift;
b) wie der Begriff Kirche im Text entstanden ist;
A) Die "ecclesia"

Die Verwendung des Terminus in der Apostelgeschichte spiegelt wahrscheinlich die geschichtliche Entwicklung des Begriffs in der christlichen Urgemeinde wider. Wir nennen hier die einzelnen Phasen. (Fs)

1. "Ecclesia" (qahal) bedeutet zunächst im religiösen Sprachgebrauch der damaligen Zeit das Volk Gottes in der Wüste, die Versammlung des Bundes und des Gesetzes, die Nation, welche Gesprächspartnerin Gottes wird. (Fs)

In dieser Bedeutung erscheint das Wort in der Rede des Stephanus vor dem Hohen Rat (Apg 7,38). (Fs)

2. Nach dem Pfingstereignis verwenden die Jünger Jesu dieses Wort und bringen damit ihre Überzeugung zum Ausdruck, das Volk des neuen Bundes und des neuen Gesetzes zu sein. "Ecclesia" bedeutet deshalb die Gemeinschaft der Jünger Christi, die in Jersualem lebt und sich für das neue Israel hält. (Fs)

147a Es ist deshalb hauptsächlich ein theologischer Begriff ohne Mehrzahl. In Jerusalem ist immer nur die Rede von einer Kirche, obwohl die wachsende Zahl der Gläubigen (dreitausend am Pfingsttag und dann immer mehr: Apg 4,4; 5,14; 6,17; 9,31; 11,21; 16,5) vermutlich nicht nur eine einzige gemeinsame Versammlung bildete. (Fs)

3. In Apg 9,31 haben wir einen Abschnitt, den die Textkritik für unsicher hält, gleichsam um die Begriffswandlung anzuzeigen: "Die Kirche" - alexandrinischer Text - oder "Die Kirchen" - antiochenischer und westlicher Text — "in ganz Judäa, Galiläa und Samarien hatte (oder hatten) nun Frieden."

4. Antiochia scheint die erste gewesen zu sein und hielt sich für eine eigene "Kirche" (Apg 12,26 [eg: 12,26 gibt es nicht]; 14,27; 15,3). Grund dafür dürfte die griechische Herkunft der antiochenischen Gemeinde sein, die sich kulturell und später auch ethnisch von den palästinensischen Kirchen unterschied. (Fs)

5. Der Begriff bezeichnet dann vorwiegend die örtlichen Gemeinden und wird auch in der Mehrzahl verwendet (14,27; 15,41; 16,5). (Fs)

6. Aber in Apg 20,28 ist die Abschiedsrede, die Paulus an die "Ältesten" von Ephesus richtet (die "für die Kirche Gottes sorgen sollen, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat") auf das ganze neue Israel abgestimmt und nicht nur auf die örtliche Gemeinschaft. (Fs)

Bemerkungen

146b
1. Es ist nicht ausgeschlossen, daß zu der Bedeutung des semitischen Wortes "qahal", das bereits die theologische Wirklichkeit des Volkes Gottes bezeichnete, die Bedeutung hinzukam, die der Terminus "ecclesia" in der heidnischen Welt der Griechen hatte (d.h. sich versammeln, zusammentreffen), vor allem als dieser Ausdruck von Jerusalem auf die Gemeinden griechischer Sprache und Kultur überging. (Fs)

147a
2. Wie man sieht, wird die ganze Apostelgeschichte hindurch dieses Wort in den beiden Bedeutungen beibehalten. Diese zweifache Präsenz hat gewiß einen tiefen theologischen Sinn: Eine stattfindende Versammlung oder eine örtliche Gemeinde ist nur "ecclesia", wenn sie das große kosmische Geheimnis des ganzen Volkes Gottes ausdrückt und darstellt. (Fs) (notabene)
3. Der Terminus bewahrt bis in unsere Tage diese zweifache Bedeutung, einerseits einer örtlichen Gemeinde, wenn es hauptsächlich um ihren rechtlichen oder organisatorischen Charakter geht, andererseits der universalen Gemeinschaft, wenn es sich mehr um eine theologische und sakramentale Wirklichkeit handelt. (Fs)

Aber beide Bedeutungen implizieren sich gegenseitig. Das neue Israel kann nicht ohne Verwurzelung in den geschichtlichen Gemeinden bestehen, und die einzelnen Gemeinden haben nur dann Heilswert, wenn in ihnen das ganze Volk Gottes präsent ist und Ausdruck findet, andernfalls sind sie "Sekten". (Fs) (notabene)

B) Ekklesiologie

147b Die Ekklesiologie der Apostelgeschichte setzt folgende Schwerpunkte. (Fs)
1. Die Kirche ist Werk des Geistes Gottes. Ihre "Epiphanie" ist das Pfingstereignis (Kap. 2), und das Entstehen neuer Christengemeinden wird als Ausdehnung der pflingstlichen Erfahrung dargestellt (z. B. 8,15-17; 10,44). (Fs)

2. Der Heilige Geist errichtet das neue Israel, indem er alle Schranken zwischen Juden und Nichtjuden niederreißt. Höhepunkt dieses mühsamen Prozesses sind: die Bekehrung des Kornelius durch Petrus (Kap. 10 und 11); die Entstehung einer nichtjüdischen Gemeinde in Antiochia (11,19-25), wo erstmals die Bezeichnung "Christen" auftaucht; die erste apostolische Reise des Paulus (Kap. 13 und 14) und das Konzil von Jerusalem (Kap. 15). (Fs)
3. Die Kirche ist ganz auf die "Zwölf gestützt, deren Bedeutung stark hervorgehoben wird (vgl. die Wahl von Matthias, Apg 1,23.26). (Fs)

148a Aber die apostolischen Eigenschaften werden auch auf Paulus bezogen, um den Übergang von der jüdischen Kirche zur Kirche aller Völker zu markieren. (Fs)
4. Die Kirche wird als Gemeinschaft aufgebaut. Lukas beschreibt die Kirche von Jerusalem als eine "Christenheit": Sie ist eine fest umschriebene Gemeinschaft, geprägt durch das Wort Gottes, das gemeinsame Gebet und die Eucharistie, streng getrennt von den anderen Juden ("Von den übrigen wagte niemand, sich ihnen anzuschließen", Apg 5,13), und sie hat sogar eine eigene Wirtschaftsordnung, die auf der Gütergemeinschaft gründet (2,42—47). (Fs)

Anmerkung

148b Lukas zeichnet offensichtlich ein ideales Bild von der Jerusalemer Gemeinde, um die Judenchristen vor der Kritik in Schutz zu nehmen, die die anderen Kirchen an ihr üben. (Fs)
Durch das "kommunistische" Experiment (dem die Überzeugung des nahen Weltendes zugrundelag) geriet die Kirche von Jerusalem in große Armut, was lange Zeit auch die anderen Kirchen belastete. Man denke nur an die beständige Aufforderung des Apostels Paulus, für die Mutterkirche der von ihm gegründeten Gemeinden zu sammeln (vgl. Gal 2,10: J Kor 16,1-4; 2 Kor 8 und 9), und an seinen Spendenaufruf sogar für die Kirche von Röm (Röm 15,26-28). (Fs)

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