Datenbank/Lektüre


Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Ich glaube an den Heiligen Geist (theologische Reflexion); Überzeitlichkeit von Pfingsten; "Proprium" des Heiligen Geistes; ontologische Instrumental-Kausalität; der "Mittler"

Kurzinhalt: Durch den Geist, den er sendet, wird Jesus der engste Freund eines jedem von uns und im wahrsten Sinn des Wortes das "Haupt" des lebendigen Organismus der neuen Menschheit. Jetzt können wir auch besser verstehen, von welcher Art die "Macht" über die ...

Textausschnitt: Theologische Reflexion

116c
8. Die theologische Reflexion ist von dieser Wahrheit sozusagen berauscht und eingeschüchtert zugleich: daß ein Mensch im wahren und vollkommenen Sinn, obwohl er göttliche Person ist, mit dem Vater so vertraut wurde, daß er zusammen mit ihm gewissermaßen Mitprinzip der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die geschaffene Wirklichkeit geworden ist. (Fs)

117a Unserer Meinung nach ist das in mancher Hinsicht der Kern des christlichen Weltverständnisses. Das heißt, daß wir von hier ausgehend die übernatürliche Anthropologie erforschen sollen (das heißt die vielfältige Wahrheit des Gnadenlebens), die Kirche, die Sakramente, unsere Bestimmung und die alles Geschaffenen. Im Lichte dieses Geheimnisses können wir die ganze Größe, Einzigartigkeit und Schönheit des göttlichen Plans ermessen, aber auch seine Unvorhersehbarkeit und Transzendenz erahnen. (Fs)

117b Die höchste und kühnste geschaffene Vernunft hätte nichts Vergleichbares ersinnen können. Jetzt, wo wir Gewißheit erhalten haben von dieser unvorstellbaren Tatsache, ist kein menschlicher Geist imstande, ihre Bedeutung positiv zu erfassen und ihre Inhalte angemessen darzustellen und zu erklären. Wir können nur die Implikationen und Wirkungen dieser staunenswerten Wirklichkeit betrachten, die zugleich verborgen und erhellend ist, das heißt selbst unergründlich, aber dennoch imstande, die ganze Ordnung der Vorsehung auszuleuchten, in der wir berufen sind zu leben, zu denken und unsere unwiderruflichen Lebensentscheidungen zu treffen. (Fs)

A) Die Überzeitlichkeit von Pfingsten

9. An dieser Stelle unserer Untersuchung müßte es leicht sein, die wahre Natur der Theophanie des fünfzigsten Tages nach der Auferstehung des Herrn zu bestimmen. Diese Theophanie war als zeitliche Offenbarung dessen, was in der Herrlichkeit Gottes geschieht, eine chronologisch erfaßbare Erfahrung: nicht die einzige, die wir den Erzählungen der Apostelgeschichte entnehmen konnten, aber diejenige, die das meiste Aufsehen erregt und die größte Bedeutung hatte, so sehr, daß sich aus ihr offiziell der Weg der Kirche in der Welt ableitet. (Fs)

117c Aber diese Theophanie ist im Grunde weniger ein Ereignis zu einem bestimmten Zeitpunkt, wie es Lukas so detailliert und lebendig beschrieben hat, sondern eine ständige Beziehung, die zwischen dem Vater und der Menschheit durch den Opfertod und die Verherrlichung Christi hergestellt wurde. Diese Beziehung gründet in der Gegenwart des Gekreuzigten zur Rechten des Vaters, von wo aus er den Heiligen Geist über die Menschen ausgießt, wobei er sie zugleich reinigt und heilt. (Fs)

118a Das Pfingstereignis ist also seinem wahren Kern nach als außergewöhnliche in die Zeit eingebettete Erfahrung einer überzeitlichen Wirklichkeit zu verstehen, die uns von ihrem wahren Wesen her als ein Aspekt des ganzen transzendenten Reichtums der "Herrlichkeit" Christi erscheint. (Fs) (notabene)

B) Ein "Proprium" des Heiligen Geistes
118b

10. Unsere Theologie war immer so ausgerichtet, daß sie Pfingsten und damit die Sendung des Heiligen Geistes als nebensächlich behandelt hat. (Fs)

Zunächst wird das Pfingstereignis im wesentlichen als reine Manifestation der Geistausgießung betrachtet, die an und für sich unsichtbares Handeln ist. Darin stimmen wir überein. Dann ist die Theologie der Ansicht, daß diese Ausgießung kein "Proprium" der dritten göttlichen Person, sondern nur eine Appropriation ist; d. h. eine Handlung, deren eigentliches Subjekt der dreifaltige Gott ist. Die Offenbarung habe nur aus sprachlichen Gründen und zum besseren Verständnis die Sendung auf den Heiligen Geist bezogen - und hier ist ein Einwand angebracht. Der eigentliche Grund dieser von der Mehrheit geteilten Auffassung liegt in einer These, die dem hl. Augustinus zugeschrieben wird. Danach sei es undenkbar, daß es eine eigene Beziehung einer göttlichen Person mit einem Geschöpf geben kann, die nicht in eine hypostatische Union führt, wie dies bei der Inkarnation der Fall ist. Weil aber der Heilige Geist sich mit den Menschen, die er durch seine Sendung erfaßt, nicht hypostatisch vereinigt, ist daraus zu schließen, daß seine Beziehung zu den Menschen die gleiche wie die der drei göttlichen Personen ist: also eine reine Appropriation. (Fs)

118c Diese Position wurde von Petavius im 17. Jahrhundert und von einigen Theologen der "römischen Schule" (Passaglia und seinen Schülern Schrader und Denzinger) im 19. Jahrhundert kritisiert. In die gleiche Richtung ging Scheeben, der sich auf eine eingehende Kenntnis der griechischen Väter und vor allem des hl. Cyrill von Alexandrien stützen konnte. Er vertrat mit großer Entschiedenheit die These, wonach die Sendung des Heiligen Geistes als Fundament einer personalen Beziehung zu verstehen ist. (Fs)

119a
11. Mir scheint, daß das Neue Testament die Sendung des Sohnes und die des Geistes so deutlich nebeneinander setzt, daß man meinen müßte, beide seien wahrlich wirkliche Sendungen einer göttlichen Person. Dafür gibt es in den Texten, wie es scheint, eindeutige Hinweise. (Fs)

- "... sandte Gott seinen Sohn ... sandte Gott den Geist seines Sohnes" (vgl. Gal 4,4-6). (Fs)
- In den Reden beim letzten Abendmahl wird im vierten Evangelium in gleicher Weise davon gesprochen, daß Jesus "gesandt" wurde und daß der Geist "gesandt" werden wird (vgl. z.B. Joh 15,21.26). (Fs)

Kann man von vornherein behaupten, daß die Beziehung einer göttlichen Person ad extra notwendigerweise zu einer hypostatischen Union führen muß? Kann man die Möglichkeit einer anderen Beziehung ausschließen, die eine Vereinigung erzeugt, die aber keine personale Union ist? Wenn wir so argumentieren, müßten wir wahrscheinlich auch die Möglichkeit der Menschwerdung ausschließen, die sich jedoch als möglich erwiesen hat. (Fs) (notabene)


119b Nur wenn man die göttliche Einwohnung im begnadeten Menschen als Beziehung zu den göttlichen Personen als solchen auffaßt, jede ihrer Ordnung entsprechend und von der Beziehung zum Heiligen Geist ausgehend, dürften wir diese Gegenwart von der Gegenwart der Unendlichkeit ausreichend unterscheiden, die Beziehung mit dem Wesen des Schöpfers als solchem ist. Mit anderen Worten, gerade hier ist das einzige unbedingt gültige Kriterium zu finden, das uns erlaubt, den kreatürlichen Aspekt, bezogen auf den unendlichen Wesenskern, zu unterscheiden von dem übernatürlichen Aspekt, bezogen auf das innere dreifaltige Leben. (Fs) (notabene)

119c
12. Weil der einzige wirklich denkbare Ursprung der Sendung einer göttlichen Person seitens einer anderen der Ursprung der gesandten Person aus der sendenden Person ist, kann der Ursprung der Sendung des Heiligen Geistes durch den auferstandenen Christus nur eine erhabene und geheimnisvolle Teilhabe Jesu von Nazaret am wirksamen Hauch des Heiligen Geistes durch den Vater sein. Christus ist nicht auf zweifache Art Sohn des Vaters, einmal natürlich und einmal adoptiert; vielmehr muß man ihm eine einzige, natürliche Sohnschaft zuweisen - weswegen auch der Adoptianismus verurteilt wurde. Daher gilt es festzuhalten, daß Christus, der gekreuzigte und auferstandene Gottmensch vom Vater alles in einem einzigen, lebendigen Akt des Schenkens empfangen hat. Das heißt auch, daß der Sohn zusammen mit dem Vater Quell des Heiligen Geistes ist, insofern dieser der Welt gegeben ist. Es gäbe keinen plausiblen Grund dafür, daß am Ursprung des Heiligen Geistes ein Mensch stünde, wenn er nicht auch die anderen Menschen desselben Geistes teilhaftig machen würde. Dadurch daß Christus in Herrlichkeit zur Rechten des Vaters sitzt, wird der ewige Hervorgang des Heiligen Geistes seine "Sendung" zur Menschheit. (Fs) (notabene)

120a Das alles wird vom vierten Evangelium ganz klar erkannt, wenn es die Pfingstausgießung mit der Verherrlichung Jesu verbindet, indem es die ontologische Herkunft mit dem Bild der zeitlichen Aufeinanderfolge ausdrückt: "Denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war" (Joh 7,39). "Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden" (Joh 16,7). (Fs)

C) Ontologische Instrumental-Kausalität

120b
13. Wenn wir jetzt weiter erforschen wollen, auf welche Weise und in welcher Hinsicht der verherrlichte Christus der Welt den Geist schenkt, müssen wir zunächst einige sichere Eckpunkte klären, die ins Auge stechen. (Fs)

Der erste besteht darin, daß die aktive Ursache der Geistsendung immer der Vater bleibt, von dem alles ausgeht, und daß die Tatsache, daß der Vater der Ursprung der dritten Person ist, keinen Grund bietet, daß er sich von der zweiten Person unterscheidet: "tamquam ab unico principio et unica spiratione", lehrt das Konzil von Florenz. Die zweite Wahrheit ist, daß die Menschheit Christi nur als "Weg" bei der Sendung des Geistes aufgefaßt werden kann. In der Scholastik spricht man von einer "instrumentellen Kausalität". Von welcher instrumentellen Kausalität ist die Rede? Hier taucht dasselbe Problem auf, das in der Theologie in Bezug auf die Kausalität der Sakramente zu lösen ist. (Fs) (notabene)

120c Gewiß können und müssen wir sagen, daß Christus aktiv an der pneumatischen Ausspendung teilhat, weil er uns durch seinen Opfertod das "Donum Dei altissimi" verdient hat. Gewiß können und müssen wir auch sagen, daß Christus zur Rechten des Vaters für uns eintritt und für uns das Pfingstereignis erbittet und erlangt. Bis hierher könnte man von "moralischem" Einfluß sprechen. (Fs)

121a Das alles ist zweifellos wahr, und es ist schon eine erhabene und tröstliche Wahrheit. Aber ist diese Deutung ausreichend?

Wenn das, was wir der Offenbarung entnommen haben, ernstzunehmen ist, wenn wir den griechischen Vätern Glauben schenken sollen, besonders Cyrill von Alexandrien, und wenn das, was wir bis jetzt beschrieben haben, Gültigkeit haben soll, muß man sagen, daß die Deutung nicht ausreicht. Im Hinblick auf das, was von Christus als dem Urheber unseres Gnadenlebens gesagt wurde, vor allem in den Schriften von Paulus und Johannes, gelangt man zu der Überzeugung, daß der gekreuzigte und auferstandene Herr auch ontologischen Einfluß hat auf alles, was vom Vater zu uns ausströmt; das gilt besonders für die Ausgießung des "ersten Geschenkes an die Gläubigen". (Fs) (notabene)

Man muß deshalb von einer "physischen Kausalität" oder wie Scheeben sagt, "hyperphysischen" Kausalität sprechen. (Fs)

121b Scheeben beschreibt das übernatürliche Leben in uns (dessen tiefster Grund und höchster Ausdruck das Eindringen des Heiligen Geistes in uns ist): "Vom Gottmenschen werden wir alsdann sagen müssen, daß er als Gott durch seine Menschheit die Gnade physisch oder hyperphysisch in uns bewirkt, ja daß er in ebenso realer oder noch vollkommenerer Weise Ursache der Übernatur in uns ist, als Adam Ursache der Natur war, daß er uns ebenso wahrhaft oder noch mehr zum übernatürlichen Leben zeugt, als Adam uns zum natürlichen Leben gezeugt hat... Der zweite Adam..., der Gottmensch, trägt als Gott die Kraft zur übernatürlichen Belebung des Menschen in sich selbst, und diese Kraft geht durch seine Menschheit, mit der die Gottheit realiter verbunden ist, auf die übrigen Menschen über. Wenn daher auch seine Menschheit an sich gar nichts dazu tut, um die Übernatur hervorzubringen, ... so wird dieser Mangel doch reichlich dadurch ersetzt, daß die Menschheit Christi eben die Quelle der Übernatur in sich trägt und im vollsten Sinne der Kanal derselben ist. Der Gottmensch ist durch seine Gottheit in seiner Menschheit nach dem Ausdrucke des Apostels Spiritus vivificans, lebendigmachender Geist, welcher die Menschen mit göttlicher Geistigkeit, mit göttlichem Leben erfüllt." (Die Mysterien des Christentums, 3. Aufl., S. 395 f.). (Fs)

D) Der "Mittler"

122a
14. In dieser Sicht wird der Begriff des "Mittlers", der vom Wort Gottes dem auferstandenen Christus zugewiesen wird, ganz besonders deutlich. (Fs)

Der Terminus ist in den neutestamentlichen Schriften nicht allgemein verbreitet. Auf Christus bezogen findet er sich nur im Hebräerbrief (8,6; 9,15; 12,24) und im 1. Brief an Timotheus (2,5). Er geht also nicht zurück auf die christliche Urgemeinde, aber er wurde von der Theologie der apostolischen Zeit ausdrücklich als gültiges Instrument gebraucht, um die Wesenheit Jesu, sitzend zur Rechten des Vaters, klarzustellen. (Fs)

122b Mittler wird derjenige genannt, der sich zwischen zwei Personen stellt, um sie miteinander in Einklang zu bringen. In diesem Sinn ist es eine Grunderkenntnis, die sich in allen Gesellschaften und Kulturen findet. Das christliche Denken hat diese Erkenntnis angenommen, ihr theologischen Sinn gegeben und dadurch ihren dynamischen Wert sicher nicht verleugnet: Jesus ist Mittler zwischen Gott und den Menschen, weil er uns erlöst hat, das heißt auf Grund seiner Heilstat und seines immer lebendigen Eintretens für uns. Aber darüber hinaus hat er aufgrund seiner Heilstat die ihm zugewiesene ontologische Hauptrolle übernommen, die darin besteht, die Menschheit unlöslich und für ewig mit Gott zu verbinden. Das Nachdenken über den Heiligen Geist hat uns also zu dem Schluß geführt, daß durch das ständige Pfingstereignis der Herr Jesus eine lebendige Verbindung zwischen Erde und Himmel herstellt. (Fs)

Zusammenfassung

122c
15. Wie man sieht, ist gerade die Ausgießung des Heiligen Geistes die Hauptverbindung, die uns wahrhaft mit Christus vereint, der zur Rechten des Vaters ist. Ja, wir können sagen, daß sie die einzige ontologische Verbindung ist, weil sie alle miteinander verschweißt und zusammenfaßt. Durch den Geist, den er sendet, wird Jesus der engste Freund eines jedem von uns und im wahrsten Sinn des Wortes das "Haupt" des lebendigen Organismus der neuen Menschheit. Jetzt können wir auch besser verstehen, von welcher Art die "Macht" über die Schöpfung ist, die wir dem gekreuzigten und auferstandenen Sohn Gottes zuerkannt haben. Es ist eine "geistliche" Macht, die nur durch das Einwirken des Geistes Christi auf die Geschichte, die Dinge und die Herzen ausgeübt wird. (Fs) (notabene)

____________________________

Home Sitemap Lonergan/Literatur Grundkurs/Philosophie Artikel/Texte Datenbank/Lektüre Links/Aktuell/Galerie Impressum/Kontakt