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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Hinabgestiegen in das Reich des Todes 2; theologische Reflexion; Wirkung der Erlösung auf die Vergangenheit; Paulus: "räumliche" Universalität - Petrus: "zeitliche" U.; heilende Geschichte - Gnade Christi

Kurzinhalt: Wir können sagen, daß es eine Geschichte der Heilsprinzipien, aber keine Geschichte der Heilsbedingungen gibt... anfangs nur eine Weise, um die Wahrhaftigkeit des Todes des Gottessohnes zu unterstreichen, sie wird aber auch zur Ausschmückung und ...

Textausschnitt: Theologische Reflexion

A) Die ursprüngliche Bedeutung

84a Welche Lehre können wir aus all den Schriftstellen ziehen? Zweifellos bekräftigte die ursprüngliche Predigt ganz klar und umfassend, daß Jesus Christis "in den 'Scheol' hinabgestiegen" ist. Und sie bekräftigte es in dem Sinn, den der Satz in der ganzen Bibel hat. Als Jakob meint, Josef sei von einem wilden Tier getötet worden, wünscht er sich den Tod und sagt: "Ich will trauernd zu meinem Sohn in die Unterwelt hinabsteigen" (Gen 37,35). Im Buch Numeri wird das plötzliche und tragische Ende von Korach, Datan und Abiram so beschrieben: "Sie... stürzten lebend in die Unterwelt hinab" (Num 16,33). Ijob, der daraufhinweisen will, daß keiner nach dem Tod zurückkommt sagt: "So steigt nie mehr auf, wer zur Unterwelt fuhr" (Ijob 7,9). Und in Psalm 6 heißt es: "Denn bei den Toten denkt niemand mehr an dich. Wer wird dich in der Unterwelt noch preisen?" (Ps 6,6). (Fs)

"In den Scheol hinabsteigen" bedeutete also für die semitische Welt im gewohnten Sprachgebrauch ganz einfach "sterben". (Fs) (notabene)

84b Die Urkirche benötigte eine deutliche Bekräftigung der Wirklichkeit des Todes Jesu als Unterstützung gegen die Hypothesen eines Scheintodes, gegen die doketistischen Versuchungen und gegen alle mythischen Interpretierungen des Lebens Jesu. Deshalb stellt sie dem gewohnten volkstümlichen Ausdruck ("starb") dessen gleichsam kulturelle und metaphysische Version ("hinabgestiegen in den Scheol") an die Seite, um keine Zweifel daran zu lassen: Jesus von Nazaret ist in den "Scheol" hinabgestiegen, das heißt, er war wirklich tot. Dasselbe war auch in den ersten Jahren des 2. Jahrhunderts lebendig. Ignatios von Antiochien hat dies deutlich gemacht, natürlich in den damals üblichen griechischen Formeln. (Fs)

Jesus Christus, aus dem Stamm Davids,
ist geboren von Maria;
wahrhaft geboren, hat gegessen und getrunken,
er wurde wahrhaft verfolgt
unter Pontius Pilatus
und wahrhaft gekreuzigt; er ist gestorben
im Angesicht des Himmels,
der Erde und der Unterwelt;
er ist wahrhaft auferstanden von den Toten ... (Ad Trall. IX). (Fs)

85a
6. Wir müssen uns diese tiefe theologische Bedeutung voll ins Bewußtsein rücken: Die Menschwerdung des Sohnes Gottes findet in dem "Absteigen in die Unterwelt", das heißt im Tod ihre Vollendung. Erst durch sein Sterben wird er im Vollsinn einer von uns. Die Menschwerdung ist "fortschreitend" als natürlicher Verlauf zu verstehen, aber nicht aus dem Grund, als wäre Christus nicht von seiner Empfängnis an göttliche Person gewesen, sondern weil jedem Menschen das Wachstum, vollständiger Mensch zu werden, angeboren ist. Und weil Christus sich nicht in einer abstrakten und rein theoretischen Menschheit inkarniert hat, sondern in der konkreten der Kinder Adams, hat er nach und nach unser ganzes Leben in jedem Augenblick und jeder existentiellen Situation, einschließlich Leiden und Tod, angenommen und damit göttlich erhöht. Durch seinen Tod am Kreuz hat Jesus, der Herr, das göttliche "Zugeständnis", d. h. die Menschwerdung zur Vollendung geführt. (Fs)

B) Die "neutestamentlichen Überlegungen"

1. Der Sieg über die Herrschaft des Todes

85b
7. Der ursprüngliche Terminus "Hinabgestiegen das Reich des Todes" hat sich aber theologisch noch weiter gewandelt, was man bis in die apostolische Zeit zurückverfolgen kann. Zunächst wird in dem "Hinabsteigen in die Scheol" das Zeichen der Oberherrschaft des Erlösers über das Reich des Todes ("Die Todesherrschaft ist beendet", sagt der Apostel Paulus) und damit auch die höchste Manifestation seines Sieges gesehen. Bis zu jenem Augenblick hatte die Unterwelt das Menschengeschlecht beherrscht, aber danach war sie besiegt. (Fs)

86a In der Apokalypse verkündet der Auferstandene: "Ich habe die Schlüssel (d. h.: ich bin der Herr) zum Tod und zur Unterwelt" (Offb 1,18). Er hat den entmachtet, "der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel", heißt es im Hebräerbrief (2,14). Deshalb kann die Christengemeinde Jesu - die ekklEsia - beruhigt sein, weil nach der Verheißung des Herrn "die Mächte der Unterwelt sie nicht überwältigen werden" (Mt 16,18). (Fs)

Das ist die beste Nachricht, die wir erhalten können. Der Tod ist unser mächtigster Feind, der scheinbar alles zunichte macht. Wir können den Gedanken an ihn verdrängen, aber in Wirklichkeit wird jede Freude, jede Hoffnung, jedes Glück von ihm ein wenig getrübt. Es gibt gegen ihn keine Abhilfe. Wissenschaft, Heilkunst, Philosophie und Ästhetik können uns nur einen begrenzten Aufschub, unsichere Beweisgründe, einen illusorischen Trost liefern. Nichts ist törichter, als dem Tod gegenüber Überheblichkeit zu zeigen. Menschlich gesprochen, haben wir keinen Grund, ruhig und gleichgültig zu sein. (Fs)

86b Aber jetzt - so sagt uns der Glaubensartikel, über den wir nachdenken - ist der Tod kein losgelassenes Raubtier mehr, von dem wir nur erwarten dürfen, verschlungen zu werden. Er hat einen Bezwinger gefunden, und uns wurde der einzig mögliche Grund zur Hoffnung geschenkt. (Fs)

2. Die Herrschaft des Auferstandenen über den Kosmos

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8. Diesen Terminus kann man weiter vertiefen, wenn man versucht, ihn in den Rahmen der kosmischen Herrschaft des Auferstandenen zu stellen. (Fs)

86d Das scheint der Apostel Paulus in seinen Gefangenschaftsbriefen zu tun. Neben dem "Hinaufsteigen bis zum höchsten Himmel (vgl. Eph 4,10) kann uns das entgegengesetzte Hinabsteigen in den "Scheol", das heißt an das entgegengesetzte Ende, die räumliche Ausdehnung der Herrschaft Christi verdeutlichen; es kann uns davon überzeugen, daß seiner Macht kein Teil des Universums entzogen ist. Deshalb beugt jede Wirklichkeit im Himmel, auf der Erde und unter der Erde das Knie vor Jesus von Nazaret, der, nachdem er in die Herrlichkeit Gottes des Vaters eingegangen ist, der Herr ist (Phil 2,10-11). So gelingt es der apostolichen Verkündigung, Christus wenigstens auf der Ebene der Wirksamkeit dieselbe Universalität zuzuschreiben, die das Volk Israel seinem Gott zuerkannt hat:

Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist,
wohin vor deinem Angesicht flüchten?
Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort;
bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen (Ps 139,7-8). (Fs)

3. Die Wirkung der Erlösung auf die Vergangenheit

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9. Die wichtigste theologische Aufbereitung dieses Themas wird uns vielleicht vom 1. Petrusbrief angeboten. (Fs)

Abgesehen von allen möglichen Deutungen der Einzelheiten, scheint es um folgende Überzeugung zu gehen: Jesus ist nicht nur derjenige, der "die Lebenden und die Toten richtet" (vgl. 1 Petr 4,5), das heißt alle Menschen aller Zeiten, auch der vergangenen. Er ist auch der Erlöser der Lebenden und der Toten und damit auch derer, die ihm geschichtlich vorausgegangen sind. Mit anderen Worten: Die Erlösung durch Christus hat eine Rückwirkung, weil sie die "Toten" umfaßt, das heißt diejenigen, die ihm zeitlich vorausgegangen sind. (Fs)

Das ist der gleiche Gedanke, den der spätere Nachfolger des Petrus auf dem römischen Stuhl, Clemens, in seinem Brief an der Stelle ausgedrückt hat, wo er vom Blut Christi sagt, es habe allen Altersklassen der Welt die Gnade der Umkehr geschenkt (vgl. Clemens; 1 Kor 7,4-5). (Fs)

Die Menschen aller Zeiten - vor und nach Christus - sind deshalb von ihm losgekauft worden, und alle sind berufen, an demselben Reich Gottes teilzuhaben. (Fs)

87b Wir könnten sagen, daß Paulus das "Hinabsteigen in die Unterwelt" verwendet, um die "räumliche" Universalität der Heilstat Christi deutlich zu machen, Petrus sie dagegen "zeitlich" deutet: Keine Generation darf sich von der Heilstat ausgeschlossen fühlen. Aber nun fragt man sich: Gibt es überhaupt eine von der Theologie vorgezeichnete Geschichte der Menschheit? Oder ist die so sehr gerühmte "Heilsgeschichte" ein Mißverständnis? Nein. Denn es gibt eine Heilsgeschichte, aber im aktiven und nicht im passivem Sinn. Knapp ausgedrückt, es gibt eine "heilende" Geschichte, aber keine "geheilte" Geschichte. Abrahams Berufung, der Bund vom Sinai, die Menschwerdung, das Leiden und Sterben Jesu, die Entstehung der Kirche sind Ereignisse, die tatsächlich zeitlich aufeinandergefolgt sind. Jedes einzelne dieser Ereignisse hat eine ganz besondere Wirkung, aber alle zusammen sind nach einem Plan in der Reihenfolge angeordnet, daß sie eine wirkliche Geschichte bilden. Hingegen bilden die einzelnen, persönlichen Gnaden von Jeremias, Judas Makkaba, Johannes dem Täufer, dem Apostel Petrus, dem hl. Franz von Assisi keine "Geschichte", weil sie sich nicht wesentlich voneinander unterscheiden, sondern alle an der einen Gnade Christi teilhaben. (Fs) (notabene)

88a Wir können sagen, daß es eine Geschichte der Heilsprinzipien, aber keine Geschichte der Heilsbedingungen gibt. Grund dieser Verflechtung, die die Wirklichkeit bildet, ist die Existenz des Herrn Jesus zur Rechten des Vaters, die auf den folgenden Seiten Thema unserer Reflexion ist. (Fs)

Zusammenfassung

88b
10. Was heißt also "hinabgestiegen in die Hölle"? Ursprünglich heißt es einfach "gestorben". Im Verständnis der apostolischen Zeit ist das "Hinabsteigen in den 'Scheol'" anfangs nur eine Weise, um die Wahrhaftigkeit des Todes des Gottessohnes zu unterstreichen, sie wird aber auch zur Ausschmückung und vertieften Verkündigung verwendet und will am Ende einige wichtige Aspekte der Heilsmacht Christi, des "Zentrums des Kosmos und der Geschichte" (vgl. Redemptor hominis 1) herausstellen. (Fs)

Es ist im Grund der gleiche Gedanke, den Paulus im Brief an die Römer ausdrückt, wenn er sagt: "Denn Christus ist gestorben und lebendig geworden, um Herr zu sein über Tote und Lebende" (Röm 14,9). (Fs)

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