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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Erlöser, Erlösung - ursprüngliche Verbundenheit mit Christus (warum heilbringend?); "Wiedergutmachtung für die Schuld" - Solidarität; Ch. als Anfang, Urbild u. Ende d. Menschen;
Zusammenfassung

Kurzinhalt: Es muß sich also nicht so sehr um "stellvertretende Wiedergutmachung", sondern um eine uranfängliche Solidarität zwischen Christus und uns handeln, weshalb das, was von ihm vollbracht wird, auch uns angerechnet wird und nützt. Die wahre Antwort kann ...

Textausschnitt: 3. Unsere ursprüngliche Verbundenheit mit Christus

64b Die dritte Frage führt uns in die Mitte des ganzen Geheimnisses. Weshalb war für uns das, was Christus vollbracht hat, heilbringend? Das klingt so, als bekäme der ältere Bruder die Injektionen, und der jüngere Bruder würde dafür von der Lungenentzündung geheilt. Die Schwere dieses Problems stellte sich im Nachdenken der lateinischen Tradition besonders dringlich, da diese gewohnt war, die Erlösung als "Wiedergutmachtung für die Schuld" darzustellen: Christus, so heißt es, hat an unserer Statt bezahlt; und wie man weiß, wird der Schuldner - wer immer auch zahlen mag - von seiner Schuld befreit. (Fs)

Aber der Vergleich erweist sich, wenn man ihn näher betrachtet, sofort als unangemessen. Wem wurde die Schuld bezahlt? Dem Teufel, wie es mancher antike Schriftsteller wollte? Kann man überhaupt von "Rechten des Teufels" sprechen? Wurde die Schuld an Gott gezahlt? Aber was für ein Vater ist er, wenn er diese Art von blutiger Wiedergutmachung und dann auch noch von dem schuldlosen Sohn verlangt? Und wie ist das überhaupt möglich, daß einer anstelle eines anderen etwas wiedergutmacht, wenn es sich um moralische Schuld handelt?
64c Es muß sich also nicht so sehr um "stellvertretende Wiedergutmachung", sondern um eine uranfängliche Solidarität zwischen Christus und uns handeln, weshalb das, was von ihm vollbracht wird, auch uns angerechnet wird und nützt. Die wahre Antwort kann also nur so lauten, daß zwischen Christus und der Menschheit ein enges Band besteht, gleichsam ein Miteinander-Verbundensein, das aus Jesus und allen Menschen einen einzigen, lebendigen Organismus macht. Und es kann sich nicht um eine Bindung als Folge und Frucht des Heilstodes handeln, wie wir uns zurecht die Verbindung vorgestellt haben, die aus der Kirche den mystischen Leib Christi macht. Es muß vielmehr eine Bindung sein, die Voraussetzung, ursprüngliche Bedingung und entscheidender Grund ist, daß das Kreuzesopfer Jesu für uns wirklich heilbringend sein kann; eine Bindung also, die die Menschheit nicht zu einem gegebenen Augenblick ihrer Geschichte ereilt, sondern die schon von Anfang an, von den Uranfängen, vom Ursprung des Universums an besteht. (Fs) (notabene)

65a Wie man sieht, umfaßt und bekräftigt das Geheimnis der für uns vom gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazaret gewirkten Erlösung notwendigerweise das Vorhandensein einer angeborenen und unerschütterlichen Solidarität. Diese hat ihren Ursprung im Akt der Vorherbestimmung, durch den Gott von Ewigkeit her Christus als Anfang, als Urbild und als Ende aller tatsächlich existierenden Menschen erdacht und gewollt hat. (Fs)

Von Anfang an war Jesus als Gipfel, als Haupt, als Gesamtheit aller Dinge vorherbestimmt. Alles Geschaffene, das lebt, ist vom Schöpfer auf Christus hin gebildet, ausgerichtet und zuinnerst mit ihm verbunden. (Fs)

Als die Sünde dazwischenkommt, gelingt es ihr nicht, den göttlichen Plan im Kern zu zerstören. Im Gegenteil, sie bekräftigt und bewahrheitet ihn in gewisser Weise, denn der Sohn Gottes distanziert sich nicht von seinen schuldig gewordenen Brüdern und Schwestern, sondern bleibt das gesunde Haupt eines kranken Organismus und macht sich für die Menschheit zur Quelle der Wiederherstellung und des neuen Lebens. (Fs) (notabene)

65b Diese Wahrheit hat entscheidende und unberechenbare Folgen für die Sicht, die wir von der Welt, vom Menschen und vom Einsatz auf Erden erhalten sollen. Darüber werden wir im Rahmen der nächsten Meditation nachdenken. Wir wollen das eben Gesagte noch abrunden. (Fs)

Zusammenfassung

1. Es besteht eine unüberbrückbare Kluft zwischen den "weltlichen" Meinungen hinsichtlich der Erlösung des Menschen und der Wahrheit, die von der christlichen Botschaft angeboten wird: Sie sind absolut nicht miteinander zu vergleichen, und es ist verwunderlich, daß unsere Verwirrung manchmal so weit geht, daß sie in unserem Herzen, wenigstens teilweise, gleichzeitig so heterogene und disparate Auffassungen nebeneinander bestehen läßt. Unsere erste Christenpflicht ist in dieser Hinsicht, jede Widersprüchlichkeit zu überwinden und das eigene innere Heiligtum von allen kleinen Götzen, die dort noch vorhanden sind, zu reinigen. "Was haben Licht und Finsternis gemeinsam? Was für ein Einklang herrscht zwischen Christus und Beliar? Was hat ein Gläubiger mit einem Ungläubigen gemeinsam? Wie verträgt sich der Tempel Gottes mit Götzenbildern?" (2 Kor 6,14-16). (Fs)

66a
2. Die Heilsinhalte des Evangeliums beziehen sich nicht auf einen Teil des Menschen oder seines Daseins, sondern auf den ganzen Menschen und auf seinen endgültigen Zustand: Es ist ein Heilsein, das uns durch das Licht der Wahrheit gegeben wird, durch das Eingießen der Nächstenliebe, das heißt der wahren Liebesfähigkeit, durch die Vergebung der Sünden, durch die Wiederherstellung der Freiheit angesichts der Mächte des Bösen, durch die Teilhabe an der göttlichen Natur, durch den Sieg über den Tod in der leiblichen Auferstehung und durch das ewige Leben. (Fs) (notabene)

Soziale, politische und kulturelle Veränderungen mit einem direkten und vorrangigen Heilsinhalt zu besetzen, widerspricht nicht nur allen ausdrücklichen Aussagen der apostolischen Kirche und den Herrenworten selbst, sondern steht auch im Gegensatz zur tiefen Logik des Christus-Ereignisses. (Fs)

Es ist nicht glaubhaft, daß der Sohn Gottes Mensch geworden ist, nur um das Internationale Rote Kreuz oder die Krankenversicherung oder die Gewerkschaft oder revolutionäre Aktionsgruppen zu gründen. Die Sendung des Wortes muß den Wesenskern aller Dinge berühren. Die Menschwerdung, das Leiden und Sterben, die Auferstehung und das Pfingstereignis haben schon "die Welt besiegt", haben die Wirklichkeit schon verändert, haben schon das Geschick des Menschen erneuert. Wir sind schon die neue Welt. (Fs)

66b
3. Jetzt ist es an uns, im Leben, in unserem ganzen Dasein als Einzelne und Gemeinschaft die Neuheit einzuführen, an der wir bereits Anteil haben. Es ist unsere Aufgabe, uns vom Gerümpel der weltlichen Anschauungen und Verhaltensweisen zu befreien und im neuen Leben zu wandeln. (Fs)

67a Gewiß sollen auch wir für die soziale Gerechtigkeit, für die Bürgerrechte und Freiheit, für die Errichtung einer brüderlicheren und menschlicheren Gesellschaft kämpfen. Aber nicht aus dem Grund, weil sie direkte, erschöpfende oder vorrangige Ziele der Erlösung Christi sind, sondern weil die Ungerechtigkeit, die Unterdrückung, die Grausamkeit und Entfremdung in krassem Gegensatz zur christlichen Neuheit stehen, sie verdunkeln und ihr widersprechen. "Wenn einer in Christus ist, ist er eine neue Schöpfung" (2 Kor 2,17). (Fs)

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