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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Glaube: Anfang, negatives Moment, positives M., Einstieg in den G.; Wille - Gnade;

Kurzinhalt: Es fällt nicht schwer, jetzt im Glaubensakt das gleichzeitige Zusammenwirken und die wechselseitige Abhängigkeit des Willens, der Vernunft und der Gnade wahrzunehmen.

Textausschnitt: F) Wie der Mensch zum Glauben kommt

38a Das Gesagte hat uns zweifellos gezeigt, wie vielfältig und im Grunde rätselhaft dieser Akt unseres Geistes ist. Denn das psychologische Geheimnis des Menschen, der sich selbst bestimmt, verbindet sich mit dem metaphysischen Geheimnis, das die Beziehung der Freiheit des geistigen Geschöpfes zur Allmacht des Schöpfers ist. Im Laufe unserer Betrachtung sind viele Fragen in uns aufgestiegen, zum Beispiel: Ist der Glaubensakt vernünftig auch in dem Menschen, der zu keinem persönlichen Gedankengang fähig zu sein scheint? Und wie kann der Glaubensakt völlig vernünftig und zugleich völlig frei sein? Und wenn er frei und vernünftig ist, wie kann er als ein Geschenk erachtet werden? Und wenn er ein Geschenk ist, ist er dann noch unverkennbar und hauptsächlich unser eigener Akt, so daß er den Maßstab für unsere "Gerechtigkeit" bildet? Es leuchtet ein, daß hinter diesen Fragen ein anderer Sachverhalt steckt: der Wille und die Gnade in ihrem "zusammengesetzten Wesen". Wille und Gnade zugleich sind im Glaubensakt und in der Bewegung des Geistes gegenwärtig. (Fs) (notabene)

38b Die theologische Literatur, die diese Problematik aufgreift, ist unendlich, und die "Analyse des Glaubensaktes" ist seit Jahrhunderten eine Grundfrage der Glaubenslehre. Wir können hier keine formale Abhandlung oder Zusammenfassung über sie aufstellen. Wir begrenzen uns auf eine kurze Beschreibung des idealen Weges, auf dem der Mensch zum Glaubensakt kommt. Wir sind aber zugleich fest davon überzeugt, daß jeder von uns, wie er ein Gesicht hat, auch eine geistliche Physiognomie und persönliche Weise hat, Christus zu begegnen und sich von ihm verwandeln zu lassen. (Fs)

***

1. Wir unterscheiden vier Zeitpunkte auf dem Glaubensweg in der Logik und Psychologie des Menschen. (Fs)

1. Der Anfang

38b Der Mensch spürt, daß das Grundprinzip, von dem sein geistliches Abenteuer ausgehen muß, darin besteht, daß er nicht sich selbst für die gängige Wahrheit und das höchste Maß der Wirklichkeiten halten darf. Dann spürt er als moralischen Imperativ die Pflicht, das höchste Maß zu suchen und die Pflicht, der absoluten Wahrheit zu gehorchen, wo immer sie ist und wo immer sie ihm begegnet. (Fs)

39a Wir sagten, es sei ein moralischer Imperativ. Er ist unanfechtbar wie alle Imperative, die mit den Grundprinzipien vergleichbar sind, und braucht keine Begründung. Aber wie alle moralischen Normen kann er in der Praxis überwunden werden. Er ist theoretisch unverletzlich, kann aber im Verhalten leicht verletzt werden. (Fs)

Für den, der ihn verletzt, ist das Abenteuer zu Ende. Er gelangt nicht zum Glaubensakt. Aber wer ihn achtet, der schreitet fort. (Fs)

2. Der negative Moment

39b Jeder verstandesmäßig und moralisch mündige Mensch hat - so wie er notwendigerweise eine physische Haltung einnimmt - auch notwendigerweise eine denkerische und spirituelle Haltung gegenüber der Frage nach dem wahren Sinn seines Daseins. Diese Haltung, eine handlungsleitende Mixtur, fällt unterschiedlich aus, ist beispielsweise mehr oder weniger skeptizistisch, agnostisch, materialistisch usw. geprägt, aber eine innere Grundeinstellung gibt es immer. Zu diesem entscheidenden Zeitpunkt nun erkennt der Mensch, der weiter nachdenken will, seine unangemessene Haltung. Mit offenem Herzen und bereit, der Wahrheit zu dienen, sucht er also nach anderen existentiellen Lösungen. Aber es gelingt ihm nicht, eine Wirklichkeitssicht zu gewinnen, die seinem Leben wahren Sinn gibt, solange er nicht zum Glauben kommt. (Fs)

39c Wir wissen, daß diese wiederholten Enttäuschungen darin gründen, daß außerhalb der Glaubensperspektive keine befriedigende Übereinstimmung zwischen den auf natürlichem Wege erreichbaren Haltungen und der tatsächlich existierenden Wirklichkeit besteht, die von der Liebe des lebendigen Gottes geschaffen und auf Christus den Erlöser ausgerichtet ist. (Fs)

3. Der positive Moment

39d Die moralischen Werte können nur auf Grund der Wesensgleichheit recht erfaßt werden. Der Dieb ist nicht imstande, an die Ehrlichkeit der anderen und noch weniger an ihren Wert zu glauben. Ein Lügner vertraut gewöhnlich nicht auf die Wahrhaftigkeit der anderen. In beiden Fällen fehlt das "Urteil auf Grund der Wesensgleichheit". Wer hingegen edel und hochherzig ist, kann den Edelmut und die Hochherzigkeit seiner Gesprächspartner auf Grund der Wesensgleichheit erfassen. (Fs)

40a Die Liebe Gottes, der retten will, und das Heilswerk Christi gehören zu jenen Werten, die Wesensgleichheit erfordern, um erfaßt zu werden. (Fs)

Der Mensch, der in sich selbst die Liebe zur Wahrheit pflegt, wo immer sie ist, den absoluten Gehorsam übt gegenüber dem, was ihm wahr erscheint; ein Mensch, der den Maßstab der Gerechtigkeit achtet, wie immer dieser sich ihm darstellt, erwirbt eine innere Neigung zu den Werten der Offenbarung und eine innere Fähigkeit, die Zeichen der Heilsgegenwart Gottes in der Welt zu erfassen. So erkennt er Gottes Spuren in Christus, der die Wirklichkeit und der einzige Sinn des Universums ist; die Anzeichen der angeborenen Schönheit der Kirche, die bestürzende, aber wirkliche Erscheinung des Wortes Gottes in der Geschichte. (Fs)

Die Genialität menschlicher Wissenschaft liegt in der Fähigkeit, die deduktive oder induktive Methode anzuwenden, auch mit ganz wenigen Voraussetzungen: Newton genügte zur Entdeckung des Gesetzes der Schwerkraft ein Apfel, der herunterfiel. Auf dieselbe Weise begründet die genannte Wesensgleichheit eine "religiöse Genialität; je stärker diese ist, um so weniger bedarf sie eingehender Überlegungen und Beweise. (Fs)

40b Diese "religiöse Genialität" wird im Menschen (er mag gelehrt oder ungebildet, intelligent oder unbegabt sein, das ist unerheblich) durch die Gnade Gottes geweckt, wenn sie von ihm frei aufgenommen wird und er nicht gegen das Licht sündigen will, sondern sich dem aus der Höhe kommenden Licht ergibt. (Fs)

4. Einstieg in den Glauben

So entsteht im Menschen durch die übernatürliche Kraft der Gnade ein Erkenntnisprinzip, das den übernatürlichen Wirklichkeiten angemessen ist, die erfaßt werden sollen: die Kirche, die als universales Heilssakrament und Ort der Begegnung mit Christus betrachtet wird; Christus, der als die Wahrheit und die Gerechtigkeit und als Mitte der Begegnung mit Gott erfaßt wird; Gott, der höchste und geheimnisvolle Ursprung unserer Erhöhung zum übernatürlichen Leben in Freude und Herrlichkeit. (Fs)

40c Jetzt ereignet sich der formale Glaubensakt, durch den der Mensch die göttliche Initiative in seinem Leben voll annimmt und in die lebendige Gemeinschaft mit der ganzen unsichtbaren Welt tritt, die uns im Herrn Jesus offenbar gemacht und angeboten wird. (Fs)

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41a

2. Es fällt nicht schwer, jetzt im Glaubensakt das gleichzeitige Zusammenwirken und die wechselseitige Abhängigkeit des Willens, der Vernunft und der Gnade wahrzunehmen. (Fs)
a) Der Wille begleitet den ganzen Prozeß, der deshalb in seinem ganzem Verlauf ein "Weg in Freiheit" ist. (Fs)

Wie wir gesehen haben, ist der Mensch frei, den moralischen Grundimperativ anzunehmen oder zu verletzen. Er kann sich entscheiden, ob er der Müdigkeit oder Trägheit nachgibt und seinen mühsamen Weg, auf dem er wieder und wieder enttäuscht worden ist, aufgibt, oder ob er ihn beharrlich bis zum positiven Abschluß weitergeht. Der Mensch ist überhaupt frei, in seinem Inneren moralische Werte an sich abzulehnen. In diesem Fall hindert er die Gnade daran, die notwendige Wesensgleichheit zu schaffen, die allein es der menschlichen Sicht ermöglicht, jene Beweggründe zu erfassen, die zum Glaubensakt führen. (Fs)

41b Und schließlich muß der Wille den Menschen beim letzten Schritt stützen, d. h. beim eigenlichen Glaubensakt, der bis zuletzt ein freier Akt bleibt. Er gehört zur menschlichen Freiheit, die eine progressiv sich aufbauende Selbstbestimmung ist. (Fs)

b) Die Vernunft ist aufgerufen, sich primär von der theoretischen Bedeutung des moralischen Imperativs zu überzeugen und in zweiter Linie von der Unhaltbarkeit der verschiedenen Haltungen der Ungläubigkeit, die objektiv nicht vernünftig sind und alle zum Absurden führen. (Fs)

41c Von der Gnade erleuchtet, die der auf das Gute ausgerichtete Mensch frei angenommen hat, erwägt die Vernunft klar die Gründe der Glaubwürdigkeit, die objektiv hinreichend und damit zweifellos vernünftig sind. (Fs)

c) Vom ersten Augenblick an begleitet die Gnade den ganzen Erkenntnisprozeß, indem sie mit dem freien Entschluß des Menschen, den sie immer achtet, zusammenwirkt. Gegenwärtig ist die Gnade vor allem im formalen Glaubensakt, für den sie im Menschen eine neue Fähigkeit entwickelt (die "Tugend" des Glaubens). Diese entspricht der Übernatürlichkeit des Gegenstandes, auf den der Glaubensakt abzielt. (Fs)

***
42a

3. Wir stellen fest, daß die Verformungen des Willens im konkreten Menschen zugleich eine Verformung des Denkvermögens bewirken. Deshalb wird der Mensch, der sich entschließt, Gott zuwiderzuhandeln, sich zuerst davon zu überzeugen suchen, daß er selbst das Maß des Universums ist. Im negativen Fall wird er sich dann von der objektiven Gültigkeit seiner falschen Haltung überzeugt wähnen. Daraus folgt, daß die verweigerte Bereitwilligkeit, sich dem Plan Gottes zu unterwerfen, die Empfänglichkeit für die Gegenwart eines Gottes, der sich offenbart und heilen will, auslöscht. Aber es ist immer möglich, daß der Mensch in gutem Glauben irrt, ohne Schuld weitersucht oder sogar seine Suche an einem falschen Ziel für beendet hält in der Überzeugung, die Wahrheit gefunden zu haben. (Fs) (notabene)

Ich glaube, daß dieser Mensch als ein "scheinbar Ungläubiger" betrachtet werden kann: Er meint, nicht zu glauben, ist aber in Wirklichkeit schon Gott nahe, der als einziger über sein Geschick urteilen kann. In jedem Fall gilt immer: "Wer die Wahrheit tut, kommt zum Licht" (Joh 3,21). (Fs)

Zusammenfassung

42b Jeder von uns kann sich nun die Frage stellen: Glaube ich, oder glaube ich nicht?
Ich meine, daß auf psychologischer Ebene Glaube und Unglaube im Herzen jedes Menschen einander gegenüberstehen. Wir haben oft den Eindruck, daß einmal der eine oder der andere abwechselnd schwankt bzw. überwiegt. (Fs)

Deshalb schlage ich zum Abschluß vor, jeder möge sich die Bitte des Vaters des besessenen Jungen zu eigen machen, die im Evangelium von Markus aufgezeichnet ist: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben" (Mk9,24). (Fs)

Auf den ersten Blick scheint es ein Widerspruch zu sein: Glaubt dieser besorgte Mensch, oder glaubt er nicht?

43a Aber bei näherer Betrachtung scheinen mir diese Worte ganz konkret das unergründliche Geheimnis des Menschenherzen mit seiner Unruhe und unstillbaren Sehnsucht nach dem Absoluten erfaßt zu haben. (Fs)

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