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Autor: Biffi, Giacomo

Buch: Sehnsucht nach dem Heil

Titel: Sehnsucht nach dem Heil

Stichwort: Glaube, Glaubensakt, doppelte Ganzheit: objektiv - subjektiv; Säkularisierung - "profanierte" Wirklichkeit; Integralismus;

Kurzinhalt: Begegnung des ganzen Menschen mit dem "ganzen" Christus ... Es gibt keine "profanen" Wirklichkeiten. Es gibt "profanierte" Wirklichkeiten, das heißt vom Bösen versklavte und verunstaltete Wirklichkeiten ...

Textausschnitt: D) Eine doppelte Ganzheit

32c In seiner ursprünglichen Fülle betrachtet, erfordert der Glaubensakt für uns eine zweifache Ganzheit, die auch im theologischen Denken der vergangenen Jahrhunderte gewöhnlich wenig erfaßt wird: Er ist die Begegnung des ganzen Menschen mit dem "ganzen" Christus, d. h., mit Ihm, der alles ist. (Fs)

32d Es gibt also eine objektive Ganzheit: Das Objekt, die im Glaubensakt erlangte "res", ist die Gesamtheit des Wirklichen, insofern es in Christus zusammengefaßt ist. Und dann gibt es eine subjektive Ganzheit: Das Subjekt des Glaubensaktes ist der Mensch, der seine ganze Menschheit mit allen seinen Fähigkeiten und Eigenschaften in ihn einbringt. (Fs)
33a

1. Die objektive Ganzheit: Im Glaubensakt wird Christus, in dem "alles Bestand hat" (vgl. Kol 1,17), erkannt und anerkannt. Er ist sozusagen die Summe aller Werte, das ideelle Kompendium des ganzen Universums. (Fs)

Deshalb sagt man zu Recht, daß Jesus Christus die Wahrheit, die Schönheit, die Gerechtigkeit ist: In Ihm ist alle Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit des Universum, noch bevor sie in den Dingen ist. Alle positiven Eigenschaften, die in der Welt als ungereinigte Bruchstücke verstreut sind, sind in ihm. Alles, was existiert, hat, bevor es existiert, ein ideelles Leben im weiten, unermeßlichen Meer der Vollkommenheiten Christi, der seinerseits ein ideelles Leben in der ewigen Unendlichkeit Gottes hat. (Fs)

33b Wenn alle Dinge von ihrem Ursprung her gleichsam Widerschein und Echo Christi, freudvolles Licht und erschöpfendes Wort des Vaters sind, dann ist klar, daß es im Grund keine "Säkularisierung" gibt. Wenn Christus, wie der Brief an die Kolosser uns lehrt, nicht nur "Haupt" und "Ursprung" des erlösten Universums, sondern vor aller Schöpfung ist, dann sucht man vergeblich nach der vermeintlich existierenden "säkularisierten" Welt: es gibt sie nur im abstrakten Bereich des Möglichen. (Fs) (notabene)

33c Es gibt auch keine "säkularisierten" Menschen. Es gibt leider Menschen, die sich ihrer ursprünglichen Verbindung mit dem Erlöser nicht bewußt sind oder sich sogar gegen ihn auflehnen und damit im Widerspruch zu ihrer wahren Natur stehen. Es gibt keine "profanen" Wirklichkeiten. Es gibt "profanierte" Wirklichkeiten, das heißt vom Bösen versklavte und verunstaltete Wirklichkeiten, die mit allen Fasern ihres Seins (wenn auch nicht immer mit ihrem Bewußtsein) auf Befreiung und neue Heiligung warten. Diese objektive Ganzheit hat zur Folge, daß sich der Glaubensakt nicht nur auf einen mehr oder weniger breiten menschlichen Lebensbereich und nur auf einen Teilbereich unseres Tuns und Handelns beschränken darf. Deshalb sagt der Apostel Paulus, daß der geisterfüllte Mensch, der "pneumaticós", der Mensch, der im wahrsten Sinn des Wortes glaubt, "über alles urteilt", daß "ihn aber niemand zu beurteilen vermag" (1 Kor 2,15); das heißt keiner, der sich außerhalb des Wirkens des Geistes im Bereich des Unglaubens befindet. Nun könnte so mancher meinen, daß der Glaube, weil er ja schon der ideelle Besitz dessen ist, der alles ist, jedes andere Wissen zunichte macht. "Wenn Christus alles ist, warum müssen wir dann Mathematik lernen?" Aber das ist ein Irrtum. (Fs) (notabene)

34a Wie jedes Geschöpf, obwohl es organisch in die Gesamtheit des Planes Gottes eingefügt ist, eine eigene, unvergleichliche und unauslöschliche Natur besitzt, so wird jede Disziplin und jede Wissenschaft von ihren Prinzipien und Forschungsmethoden getragen, auch wenn sie letztlich objektiv mit jener umfassenden Gesamtsicht des Universums zusammenhängen, die der Kenntnis eigen ist, die Christus von den Dingen hat. (Fs)

Der Gläubige kann nicht auf einem kürzeren Weg zur Wissenschaft gelangen. Aber weil er den tiefsten Sinn und das höchste Ziel jedes Menschen kennt, wird er bei allem Studieren und Forschen immer vom Licht aus der Höhe geleitet, das ihm eine tiefe und wahre "Lektüre" der Dinge ermöglicht. (Fs)

34b Für den Menschen, der noch auf dem "Pilgerweg" ist und aus dem Glauben lebt, ist deshalb der Integralismus keine angemessene geistliche Haltung. Der Integralismus wird aber in der weiten Sicht des Himmels Wirklichkeit, wenn wir in der unmittelbaren Anschauung Gottes und Christi alle Dinge erkennen werden. Wird der Glaube jedoch "extrinsezistisch", d. h. äußerlich aufgefaßt, indem er ohne Bezug und Zusammenhang "neben" den "weltlichen" Bereich gestellt wird, dann ist er kein wahrer Glaube. Das gilt für die gegenwärtige und ebenso für die zukünftige Welt. (Fs)

2. Die subjektive Ganzheit: Im Glaubensakt wird der ganze Mensch mit seinem ganzen Sein und allen seinen Möglichkeiten gefordert. Der ganze Mensch ist in diese personale Begegnung mit Ihm, der alles ist, einbezogen: Keine Ausgrenzung ist zulässig, nichts darf ausgeschlossen werden. (Fs)

34c Diese Wahrheit gehörte schon zum Fundament der jüdischen Religion. Jesus hat sie herausgestellt in dem Gebot: "Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft" (Mk 12,30). Auch der Apostel Paulus meint, wenn er vom Glauben spricht, immer eine Zustimmung der ganzen Person und des ganzen Lebens zu Christus: "den Glauben ..., der in der Liebe wirksam ist" (Gal 5,6); in jener Liebe, die für ihn Gesamtheit und Vollkommenheit des Lebens als neue Menschen ist (vgl. z. B. J Kar 13,1-13). (Fs)

35a Um diese subjektive Ganzheit verständlicher zu machen, suchen wir die menschlichen Fähigkeiten aufzuzählen, die mitwirken, auch wenn wir wissen, daß jede Zergliederung der gesamten Tätigkeit des Geistes etwas Künstliches an sich hat und sofort eine Reihe von schwierigen Fragen aufwirft. (Fs)

a) Weil der Mensch ein denkendes Lebewesen ist, ist der Glaubensakt zunächst eine Erkenntnis und Frucht des Verstandes. (Fs)

Es handelt sich um den Verstand, wie er im Menschen konkret arbeitet, also Erkennen und Vernunft, Induktion und Deduktion, Gedächtnis und Kritikfähigkeit, natürliche Geistesverwandtschaft mit der Wahrheit und natürliche Abneigung gegen das Absurde vereint. (Fs)

b) Schon bei der natürlichen Erkenntnis ist der Einfluß des Willens viel größer, als man zunächst annimmt: Sehr oft arbeitet unser Verstand sozusagen im Auftrag und beweist das, was er beweisen soll. In besonders schwierigen Forschungen gelangt man ja auch nur mit großer Entschlossenheit zu einem annehmbaren Ergebnis. (Fs)

35b Der Beitrag des Willens zum Glaubensakt ist entscheidend. Wenn es wider allem Anschein wahr ist, daß nur derjenige versteht, der verstehen will, ist es um so wahrer, daß nur derjenige glaubt, der sich entschließt zu glauben. Es ist kein Zufall, daß im Neuen Testament in dieser Hinsicht ständig das Wort "Gehorsam" auftaucht. Der typische Akt des Glaubenden besteht hauptsächlich im "Gehorsam" zum Glauben, zu Christus, zum Evangelium, zur Wahrheit (Rom 1,5; 6,16-17; 10,16; 15,18; 16,19.26; 2 Kor 10,5-6; 2 Tess 1,8; Hebr 5,9; I Petr 1,22). (Fs)
c) Es handelt sich nicht nur um den Gehorsam als Fähigkeit der Selbstbestimmung, sondern auch als Liebe, Zuneigung des Herzens, natürliches Streben nach dem, was gut und edel ist. Es handelt sich um den ästhetischen Sinn und die Affektivität. All das festigt den Glaubensakt. (Fs)

35c Die theologische Tradition spricht von einem "pius credulitatis affectus" als unerläßliche Voraussetzung für den Glauben. (Fs)

d) Schließlich weist uns das Wort Gottes wiederholt daraufhin, daß für den Glaubensakt der Einfluß der göttlichen Gnade notwendig ist, die den Verstand erleuchtet, den Willen stärkt und im Innersten begeistert und überzeugt: "Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zu mir führt" (Joh 6,44). Der Protagonist bei diesem Abenteuer des Glaubensaktes im Herzen des Menschen ist der Heilige Geist. (Fs)

36a Der Apostel Paulus nennt uns die Gründe für dieses notwendige Eingreifen des Heiligen Geistes in einem Abschnitt, den wir immer wieder lesen sollten: "Wer von den Menschen kennt den Menschen, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? So erkennt auch keiner Gott - nur der Geist Gottes. Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott stammt, damit wir das erkennen, was uns von Gott geschenkt worden ist. Darum reden wir auch, nicht mit Worten, wie menschliche Weisheit sie lehrt, sondern wie der Geist sie lehrt, indem wir den Geisterfüllten das Wirken des Geistes deuten. Der irdisch gesinnte Mensch aber läßt sich nicht auf das ein, was vom Geist Gottes kommt. Torheit ist es für ihn, und er kann es nicht verstehen, weil es nur mit Hilfe des Geistes beurteilt werden kann. Der geisterfüllte Mensch urteilt über alles, ihn aber vermag niemand zu beurteilen. Denn wer begreift den Geist des Herrn? Wer kann ihn belehren? Wir aber haben den Geist Christi" (1 Kor 2,11-16). (Fs)

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