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Autor: Hrsg. Brandmüller, Walter; Scheffczyk, Leo; Lochbrunner, Manfred

Buch: Das eigentlich Katholische

Titel: Das eigentlich Katholische

Stichwort: Strukturen katholischen Glaubens 2 - Christozentrik; Anthropozentrik; Geheimnis des Gottmenschen; erste, zweite Schöpfung


Kurzinhalt: An der Zentralstellung Christi wird deutlich, daß das Christentum ... nicht zuerst aus einer Idee oder einer Wahrheit besteht, daß es sich auch auf Christus nicht allein wie auf einen Gründer zurückbezieht, sondern daß es im Wesen diese einzigartige ...

Textausschnitt: III. Die Christozentrik als Wesensstruktur

20a Während mit dem Schöpfungsbezug ein fundamentales und elementares Strukturgesetz katholischen Glaubensverständnisses genannt ist, stellt sich der Bezug auf Christus als das schlechthin zentrale Strukturprinzip dar. Jesus Christus ist nicht nur im Sinne eines unreflektierten religiösen Glaubens das A und O des Katholischen (vgl. Offb 1,8; 21,6; 22,13), er ist dies auch unter dem Aspekt höchst reflektorischen theologischen Denkens. Der heute in den Vordergrund gerückte programmatische Begriff der Anthropozentrik kann mit dem der Christozentrik nicht konkurrieren. Wenn Anthropozentrik besagen soll, daß Glaube und Offenbarung im Menschen einen Anknüpfungspunkt finden können und daß sie auf die Anliegen des Menschen eingehen wie auch seinem Verständnis angepaßt werden müssen, dann ist der Begriff als legitim anzusehen. Wenn er aber mehr besagen soll, etwa, daß der Mensch mit seinen Fragen das Auswahlprinzip für die Offenbarung bilde oder daß er selber die Offenbarung implizit in sich trage oder er die Norm der Offenbarung sei, dann ist er nach Art der alten griechischen Sophisten zum Maß aller Dinge gemacht und die Theologie in Anthropologie aufgelöst. (Fs)

20b Daß dies im katholischen Glauben nicht geschieht, verbürgt die Zentralstellung Christi, von dem das Christentum nicht nur seinen Namen hat (vgl. Apg 11,26), sondern sein ganzes Wesen. Von ihm gehen alle Wahrheit, alles Licht und alles Leben aus und münden auch wieder in Ihn zurück, der dies alles vom Vater her vermittelt hat und ihm am Ende unterwirft (vgl. 1 Kor 15,28). An der Zentralstellung Christi wird deutlich, daß das Christentum, verglichen mit anderen Religionen, nicht zuerst aus einer Idee oder einer Wahrheit besteht, daß es sich auch auf Christus nicht allein wie auf einen Gründer zurückbezieht, sondern daß es im Wesen diese einzigartige Person selbst ist und aus ihr lebt. (Fs)

21a Die Bedeutung dieses personalen Zentrums für das Verständnis der Catholica ist vom biblisch-christlichen Denken unter den verschiedensten Aspekten erörtert oder gewürdigt worden. Unter dem Aspekt der ursprünglichen Gründung des Christlichen erklärt der hl. Paulus 1 Kor 3,11: "Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, Jesus Christus". Unter dem Blickwinkel der Wahrheit und ihrer Erkenntnis hat Pascal den bezeichnenden Satz gesprochen: "Ohne Jesus Christus wissen wir weder, was unser Leben, noch was unser Tod, noch was Gott ist, noch was wir selber sind"1, eine Aussage, die in einer modernen Relektüre auch dahingehend gedeutet werden darf, daß der Christ nicht durch transzendentale Meditation oder innere Erfahrung zur Wahrheit über Gott, die Welt und über sich selber kommt, sondern nur im Blick auf Christus und auf das Christusereignis, das er in Bezug zu seinem Leben setzt. (Fs)

21b Unter aszetischem Aspekt erweist sich die Christozentrik als Weg der Nachfolge Christi, aber nicht nur in moralischer Bemühung, sondern in seinsmäßiger Verinnerlichung entsprechend dem Pauluswort: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). An Christus wird das Geheimnis Gottes auch in seiner trinitarischen Fülle offenbar, gemäß seinem Wort: "Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen" (Joh 14,9). An seinem Werk, vor allem an Kreuz und Auferstehung, geht dem Menschen der Plan Gottes mit der Welt auf. (Fs)

21c Die Zentralstellung Christi hat Bonaventura (+ 1274) in das Bildwort gekleidet, daß Christus derjenige ist, der "tenens medium in omnibus".2 Er ist die Mitte von allem, aber nicht nur formal und äußerlich, weil der Vater ihm diese Stellung und Position eingeräumt hat. Er ist diese Mitte inhaltlich und wesentlich, weil er "sowohl das ungeschaffene wie das fleischgewordene Wort ist". So ist er ein Spiegel, "in dem und von dem aus die Fülle und Schönheit aller Heiligkeit und Weisheit aufleuchtet"3. Er ist "omnis perfectionis exemplar"4, d.h. auch Ur- und Leitbild allen christlichen Seins und Strebens, sei es des einzelnen, sei es der gläubigen Gemeinschaft. Die Person Jesu Christi und ihr Werk sind der Maßstab, nach dem sich die christliche Wahrheit, die Lehre und das Leben bestimmen. (Fs)

22a Mit dem Gesagten ist auch der Grund benannt, dessentwegen Christus diese Zentralstellung beansprucht. Es ist die Menschwerdung, die das Geheimnis des Gottmenschen konstituiert. In der Menschwerdung des Sohnes "hat [Gott] beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen" und "in Christus alles zu vereinen, was im Himmel und auf Erden ist" (Eph 1,10). Im Menschgewordenen "wollte Gott mit seiner ganzen Fülle wohnen" (Kol 1,19). Er war "von der ganzen Fülle Gottes erfüllt" (Eph 3,19). Darum haben Theologen, die der Struktur des christlichen Glaubens nachsannen, auf dieses Geheimnis als auf das zentrale hingewiesen, so etwa J. Adam Möhler mit dem Wort: "Die Grundlage der Kirche ist der lebendige Christus, der Mensch gewordene Gott, nicht das Suchen, wer er sein möge."5
22b Auch dieses Wort findet in unserer Gegenwart einen merkwürdigen Widerhall. Vieles spricht dafür, daß man sich aus Gründen der Bibelkritik, des modernen Weltbilddenkens und der vorgeblichen intellektuellen Redlichkeit von dieser Grundlage losgemacht und auf die Suche nach einem neuen Jesusbild gemacht hat, das Jesus als den gottinnigen Propheten, als den Freund der Armen und Entrechteten oder als den gottinnigen Menschen preist, aber den als unmöglich erachteten Anspruch des Gottseins von ihm fernhält. Denn angeblich können zwei Naturen nicht nebeneinander existieren, und "Person" ist nach neuzeitlichem Verständnis kein in sich stehendes Selbstsein, sondern ein Selbstvollzug zum Gewinn von Identität.6 Darum ist auch Jesus nur der Mensch, der sich in besonderer Weise in der Hingabe an Gott und an den anderen verwirklichte. Hier wird darum auch nicht mehr von einem Geheimnis Jesu gesprochen. Wo aber das Geheimnis des Gottmenschen entschwindet, ist die zentrale und finale Struktur des katholischen Christentums preisgegeben. (Fs) (notabene)

23a Wenn man freilich den Gottmenschen so zum Zentrum, zum Maßstab und zur Norm christlichen Glaubens und Lebens nimmt, dann scheint das, was über die Normativität der Schöpfung für das christliche Denken gesagt wurde, irgendwie vergessen oder bedeutungslos geworden zu sein. So könnte die Christozentrik des katholischen Glaubens als ein Widerspruch zu seiner starken Schöpfungsgebundenheit gedeutet werden und auch ein Gegensatz zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung, zwischen Natur und Gnade, zwischen Menschsein und Christsein konstruiert werden. Daß dem nicht so ist, verbürgt eine neue Eigenschaft an Christus, die seine Gestalt erst zur vollen Größe aufwachsen läßt. Er ist nämlich nicht nur der Erlöser, sondern er ist als Wort des Vaters auch der Schöpfer des Alls. Die Schrift spricht von ihm als von dem, "durch [den] alles ist, und wir sind durch ihn" (1 Kor 8,6). Sie rühmt ihn als den, "durch den" und "auf den hin alles geschaffen" ist (Kol 1,16). Danach ist Christus auch der Urgrund der Schöpfung und derjenige, der sie umgreift. Darum wird alles über die Schöpfung Gesagte - die Natur, das sittliche Gesetz, die Vernunft und ihre Bedeutung für den Glauben - nicht desavouiert und entwertet, sondern in seiner Gültigkeit vom schöpferischen Logos anerkannt und überhöht. Allerdings ist vom Zentrum der Menschwerdung her auch zu sagen: Dies alles hat nun keine absolut eigenständige Würde und Bedeutung mehr. Es ist auf die Offenbarung in der Menschwerdung ausgerichtet und empfängt von ihr her neue Motivation, endgültige Bedeutung und das volle Licht. (Fs) (notabene)

24a Wenn man die Fülle des Christusereignisses so erhebt, kann man es nicht mehr nur als ein punktuelles historisches Geschehen oder gar als eine Episode gelten lassen, man muß es mit geschichtlicher Dauer und zeitloser Gegenwart ausstatten. Diese Gegenwärtigkeit gewinnt nach katholischem Glauben Christus in der sakramentalen Kirche. Damit ist aber die sakramentale Kirchlichkeit als einer der dominanten Wesenszüge des Glaubens anerkannt. (Fs)

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