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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesus, der «wahre Mensch»?; J. als Botschafter, Treuhänder, Vertrauter, Freund Gottes -> Unmöglichkeit d. theologischen Begründung d. Einzigartigkeit J. (Starkult, Mohammedanismus)


Kurzinhalt: ... wie eigentlich eine «Christologie» gelingen kann, unter deren Voraussetzungen die Leugnung des Trinitätsgeheimnisses steht...

Textausschnitt: 6. Jesus, der «wahre Mensch»?

25a Die Einwände gegen die Gottes- und Schöpfungsauffassung des Buches werden manchem freilich nicht wesentlich und zentral erscheinen, weil nach der Grundthese der Arbeit in diesen Bereichen ja nicht das spezifisch Christliche gelegen ist. «Spezifisch ist das Christologische» (S. 465). Nach diesem Grundsatz entwickelt der Verfasser die Christuslehre, die das Zentrum des Buches bildet. Der kritische Leser wird sich von vornherein die Frage stellen, wie eigentlich eine «Christologie» gelingen kann, unter deren Voraussetzungen die Leugnung des Trinitätsgeheimnisses steht. Die Vermutung kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine solche Christuslehre auch ein eigentliches Christusgeheimnis nicht in den Blick bekommen kann. Diese Vermutung bestätigt sich recht bald an der Leugnung der Präexistenz Christi. Weil dieser Gedanke «heute schwierig zu vollziehen ist» (S.435), weil «die mythischen Vorstellungen der damaligen Zeit von einer vorzeitig-jenseitigen himmlischen Existenz eines von Gott abgeleiteten Wesens, von einer 'Göttergeschichte' zwischen zwei oder gar drei Gottwesen, nicht mehr die unseren sein können» (S. 436), kann der Präexistenzgedanke nur sagen wollen, daß die Beziehung zwischen Gott und Jesus «nicht zufällig entstanden ist, sondern von vornherein gegeben und in Gott selbst grundgelegt ist» (S. 437). Aber von welchem Menschen und seiner Gottbeziehung wäre das völlig Gleiche nicht zu sagen?
25b Von diesem Ansatz aus kann verständlicherweise auch das Geheimnis des Gottmenschen nicht mehr ernst genommen werden. Zwar werden die altchristlichen Konzilien auch noch zitiert (S. 121 ff), aber es wird mit bedeutungsvoller Miene auf die viel tiefere Problematik hingewiesen und gesagt, daß «Chalkedon... die Frage keineswegs auf die Dauer gelöst» habe (S. 123), als ob Glaubensgeheimnisse je «gelöst» werden könnten. Die «Lösung», die das Buch anbietet, ist dagegen einfach. Sie heißt: Jesus ist («in einem zutiefst innerlich-existentiellen Sinn») «ein persönlicher Botschafter, Treuhänder, Vertrauter, Freund Gottes» (S. 307). Weil diese Charakterisierung, die im Grunde auf unzählige religiöse Menschen zutrifft, dem Autor offenbar selbst als nicht hinreichend erscheint, bemüht er sich an vielen Stellen, diesen «Sachwalter» durch eine Reihe von Superlativen aufzuwerten. Danach ist er «entscheidend, ausschlaggebend, maßgebend» (S. 115). für die Menschen, oder er ist der Stellvertreter Gottes in «Einzigartigkeit, Unableitbarkeit und Unüberbietbarkeit» (S. 440). (Fs)

26a Aber der denkende Christ wird hier tiefer bohren und fragen, worin denn diese Einzigartigkeit und Unableitbarkeit der Erscheinung Jesu Christi begründet sei. In der wahren Gottheit Jesu kann sie nicht begründet sein; denn das wäre nach dieser Theologie die Rückkehr zum Mythos der «zwei-Götter-Lehre». Also muß sie in etwas Menschlichem an Jesus begründet sein, nämlich darin, «daß Jesus ohne Abstriche mit allen Konsequenzen... voll und ganz Mensch war» (S.440; wobei sein Ausgenommensein von der Sünde aber auch nicht erwähnt wird). Seine Einzigartigkeit besteht näherhin darin, daß er «nicht ein bloßer Mensch, sondern der wahre Mensch war» (S. 440). Man merkt an dieser Diktion, daß der Verfasser gleichsam durch die Wahl gewisser Kraftausdrücke dem Menschen Jesus eine höhere Bedeutung zuschreiben möchte. Aber diese Steigerung gelingt nicht einmal in Worten; denn was ist der Unterschied zwischen einem «bloßen» und einem «wahren» Menschen? Ist ein «bloßer» Mensch kein «wahrer» Mensch», und ist ein «wahrer» Mensch nicht auch ein «bloßer» Mensch mit aller Niedrigkeit des Menschlichen, die der Verfasser ja nicht ausschließen will und die ihn einmal zu der Äusserung veranlaßt, daß Jesu Originalität nicht übertrieben werden dürfe (S. 299). D. h.: es gelingt dem Verfasser nicht, Jesu Einmaligkeit theologisch aufzuweisen und zu begründen. Das läßt sich auch nicht erreichen, wenn man den Glauben des Konzils von Chalkedon nicht mehr als verbindlich erkennt. (Fs)

26b Dies besagt in weiterer Konsequenz, daß die Option dieser Theologie für die Besonderheit eines Menschen Jesus von Nazareth letztlich genauso unbegründet und irrational ausfällt, wie die Entscheidung für den Gottesglauben. Diese Theologie kann nicht verständlich machen, daß man sein Vertrauen zu Gott ausgerechnet über den Menschen Jesus von Nazareth gehen lassen muß. Die Auskunft, daß der in diesem Menschen lautgewordene Anruf göttlichen Ursprungs ist, erklärt hier auch nichts; denn einem Anruf göttlichen Ursprungs haben sich viele religiöse Geister und Propheten der Menschheit überliefert, ohne daß man sich in dieser absoluten Weise an sie binden müßte oder auch nur dürfte. Hier kann man sogar noch strenger urteilen und sagen: die absolute Bindung an einen Menschen (und sei es auch der «wahrste» Mensch) ist eine subtile Form von altem Ahnenkult oder von modernem Starkult, aber niemals religiös zu rechtfertigen. Im Grunde kommt die «Christologie» dieser «theologischen Summe» nicht über das vom Verfasser am Mohammedanismus gerühmte Schema hinaus: «der eine Gott und sein Gesandter» (S. 105). (Fs) (notabene)

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