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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - subjektivistische Schriftauslegung; Ignoranz: Exegese; Hebräerbrief, Mt 11,27 ff; "Sohn Gottes"; Maßstab für Jesusgestalt? (Zeitgeist: Solidarität mit den Menschen, Freiheit vom Konsumdruck, Lebensqualität)



Kurzinhalt: Damit ist aber nichts Geringeres gesagt, als daß das Jesusbild nach dem heutigen gesellschaftlichen Interesse und Empfinden konstruiert ist. Dieser Umstand beweist nicht nur die methodische Unzulänglichkeit und Schwäche dieser subjektivistischen ...

Textausschnitt: 4. Die subjektivistische Schriftauslegung

16a Das Buch tritt mit dem Anspruch auf, seine grundstürzenden Aussagen über Jesus und das «Christsein» streng auf der exegetischen Wissenschaft und der historisch-kritischen Methode zu begründen. Es kritisiert in diesem Zusammenhang heutige Christen, die «mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit voraussetzten, daß sie auch bereits wissen, wer und was dieser Jesus Christus ist», ([S. 16] als ob es keine Liturgie, keine lebendige Verkündigung der Kirche und keine Tradition gäbe, die dem Glaubenswilligen sagten, wer Christus war und wer er heute und für alle Ewigkeit ist [vgl. Hebr 13,8]). Man darf hierzu ohne jede Schärfe anmerken: Wenn die Christenheit nach dem Erscheinen Jesu Christi und nach einer fast zweitausendjährigen Wirkungsgeschichte seiner Person und seines Werkes immer noch nicht wissen sollte, «wer oder was dieser Christus ist», dann ist ihr nicht mehr zu helfen, auch nicht durch den neuen Erklärungsversuch eines Professors. (Fs)

17a Allerdings nimmt der Autor in Anspruch, diese gültige und (seinem Anspruch gemäß) endgültige Erklärung zu geben. Diese Erklärung ist der wirklichen, offenkundigen Geschichte des Jesus von Nazareth zu entnehmen, wie sie in den Evangelien niedergelegt ist; denn «mit der historisch-kritischen Methode in diesem umfassendsten Sinne ist der Theologie ein Instrument in die Hände gegeben, mit dem in einer Weise nach dem wahren, wirklichen, geschichtlichen Christus gefragt werden kann, wie dies in früheren Jahrhunderten einfach nicht möglich war» (S. 148). Zwar ist im Vorbeigehen auch gesagt, daß die Evangelien keine einfach historischen Berichte und keine Biographien Jesu seien, sondern Glaubenszeugnisse über Jesus, die auch wieder zum Glauben an ihn aufrufen wollen. Aber was diese Zeugnisse dann eigentlich hergeben und was der Autor durch sie hindurch erreichen will, ist doch nur die rein menschliche Geschichte «vom lebendigen Jesus von Nazareth, seinen Worten, Taten und Leiden» (S. 152). Er spricht zwar davon, daß der Jesus der Geschichte von dem Christus des Glaubens nicht getrennt werden dürfe. Aber er hält sich nicht an diesen Grundsatz. Das heißt, daß hier in Wirklichkeit das Glaubensmoment von der Jesusgeschichte abgestreift wird und dann die Gestalt eines rein menschlich-geschichtlichen Jesus hervortritt. Der Autor folgt hier (ohne es förmlich auszudrücken) dem Grundsatz des liberalen Theologen W.Herrmann (+ l922), der einmal bekannte: «Wir, die wir die Erlösung bei Jesus suchen, dürfen uns... nicht etwa unterfangen, dieselben hohen Dinge von Jesus zu glauben, wie sie (die Jünger) als Erlöste von ihm geglaubt haben»1. Es ist nicht nur an dem, daß in dem Buche der dogmatische Christus des späteren kirchlichen Glaubens, der Konzilien und der Frömmigkeit abgelehnt wird. Es wird vielmehr auch schon der von den Evangelien «geglaubte Christus» abgelehnt und an dessen Stelle ein Jesus von Nazareth gesetzt, der ein bloßer Mensch war, der freilich (und das ist die einzige Konzession) eine gewisse intensivere Beziehung zu Gott, dem Vater, gehabt haben soll. Aber das alles sind doch Tatsachen und Daten eines rein natürlichen Menschenlebens, an die man gar nicht zu glauben braucht. An völlig eindeutige geschichtliche Fakten und Gestalten braucht man nicht zu glauben und kann es gar nicht. (Fs)

17b Wie radikal in dem Buch vom Glauben der Apostel und der Verfasser der Schriften des Neuen Testamentes abgesehen wird, zeigt das Übergehen aller jener Aussagen und Christuszeugnisse, die einen irgendwie höher gearteten, auf etwas «Übermenschliches» oder «Göttliches» gehenden Anspruch Jesu Christi ausdrücken. Die Christusaussagen des Hebräerbriefes über das «Ewige Hohepriestertum Christi» werden genauso als bedeutungslos erachtet (S. 170) wie die schon im Matthäusevangelium (Mt 11, 27 ff) stehende Christusaussage über sein Einssein mit dem Vater im gegenseitigen Erkennen und damit auch im Sein. Für diesen Ausdruck eines übermenschlichen Selbstbewußtseins Jesu hat das Buch nur die Erklärung, daß es sich hier um ein Rätsel wort handelt, von dem aus man nicht auf ein einmaliges Offenbarungsereignis schließen dürfe (S. 306). Es wird zwar zugegeben, daß die junge Christengemeinde dem Menschen Jesus eine Reihe von Hoheitstiteln («Christus», «Messias», «Davidssohn», «Gottessohn») angetragen hat, aber nur unter Festhalten «an der vollen Menschlichkeit Jesu» (S. 276) und nur in der Absicht, dadurch die Bedeutsamkeit und Gültigkeit Jesu und seiner Sache zu bekräftigen. Er sollte dadurch als «der Maßgebende» anerkannt bleiben (S. 374). Aber man fragt sich auch hier, worin dieses Maßgebende begründet war, wenn es sich doch nur um einen Menschen handelte. Das kann in diesem Zusammenhang wohl kaum etwas anderes meinen, als daß auch für diese Christengemeinde Jesus nicht mehr war als ein bloßer Mensch. (Wiederum stellt sich hier die Frage, ob man an einen bloßen Menschen glauben kann und darf). Der Verfasser übergeht bei seinem angeblichen wissenschaftlich-exegetischen Verfahren nicht nur die hochtheologischen Glaubensaussagen des Paulus und Johannes über die Person Jesu und ihr gottheitliches Sein, sondern nimmt auch die Forschungen der seriösen modernen Exegese nicht zur Kenntnis. Diese vermag nämlich mit guten Gründen nachzuweisen, daß der Titel «Sohn Gottes» im Neuen Testament (und das gilt schon für Markus und die Synoptiker: vgl. etwa Mk 1,11; 9,7; 12,6;Mt 16, 17) «die Gestalt Jesu mit Gott zusammenschließt» und daß «diese scheinbar dogmatische Auskunft» mit «guten historischen Gründen»2 zu belegen ist. Diese und andere Bezeichnungen sind keine Erfindungen des Hellenismus und keine «mythischen Symbole» (wie S. 377 behauptet wird), sondern sie sind «eher konsequent als mythologisch» und Ausdruck eines «bis ins letzte folgerichtigen christologischen Denkens». Wer hier zum Mythos Zuflucht nimmt, muß sich von dem evangelischen Exegeten M. Hengel sagen lassen: «Die scheinbar wissenschaftliche, in Wirklichkeit oft nur primitive «entmythologisierende» Abqualifikation derartiger Aussagen könnte zuweilen auch ein Zeichen von geistiger Simplizität und Bequemlichkeit sein».3. (Fs)

18a Die letzte, an eine solche Exegese zu stellende Frage geht aber dahin, wie ein Theologe, der weder die Inspiration der Heiligen Schrift anerkennt (S. 455 0 noch mit dem Glauben der heutigen Kirche an diese Texte herangeht, auf ihre Wahrheit stoßen und ihren Sinn treffen kann. Es ist ja dabei auch zu erwägen, daß das Buch die unauflösliche Einheit von Schrift, Tradition und Kirche, die für die katholische Theologie wesentlich ist, nicht kennt. Wer vermittelt dann das notwendige geistig-religiöse Verständnis dieser Texte, die ja doch eine besondere Geschichte darbieten sollen, welche nicht aus bloß innerweltlichen Fakten besteht? Diese für sein wissenschaftliches Umgehen mit der Heiligen Schrift (welches Prädikat schon als unangemessen empfunden wird: S. 456 f) wesentliche Frage des Verfahrens und der Methode klärt das Buch nicht. Es beansprucht für sich zwar, «ernsthafte Bibelkritik» (S. 456) zu treiben. Es will «eine ernste methodische Rückfrage von den Glaubenszeugnissen der Schrift auf den Jesus der Geschichte» (S. 151) stellen. Das Ergebnis soll die Herausarbeitung eines authentischen Bildes des geschichtlichen Jesus sein, das aber nicht der Art der liberalen Jesusdarstellungen des 19. Jahrhunderts gleichen möchte (S. 150). Man dürfe dabei auch nicht von einem bestimmten heutigen Jesusbild ausgehen. Im Grunde soll die Geschichtswissenschaft hier die Exegese bestimmen. Aber dann wird doch wieder zugegeben, daß diese Wissenschaft in der Bibel nur Wahrscheinlichkeiten zutage fördern könne (S. 151). (Fs)

19a Aber das Mißtrauen in die Möglichkeit der historischen Nachkonstruktion des geschichtlichen Jesus tritt recht deutlich in der Aussage zutage: Ein «unechtes Jesus-Wort kann ebenso den echten Jesus wiedergeben wie ein von Jesus selbst gesprochenes» (S. 151); denn es kommt auf das sogenannte «offene Gesamtbild» (S. 152) von Jesus an. Aber wie läßt sich ein solches «offenes Gesamtbild» gewinnen, wenn schon die Einzelheiten nicht gesichert werden können? Daran zeigt sich, daß das Buch es mit der historischen Methode gar nicht richtig ernst meinen kann. Zu guter Letzt wird dann auch zugegeben, daß es im Christentum gar nicht um den Jesus gehe, «wie er wirklich war» (S. 152), also nicht um den «historischen Jesus», was zuvor ausdrücklich als Ziel der exegetischen Bemühung genannt wurde. Es geht vielmehr um den Jesus, «wie er uns hier und heute begegnet» (S. 152). Woher aber, so muß man weiter fragen, kommt der Maßstab dafür, daß der «hier und heute begegnende Jesus» der wahre ist? Von der die Heilige Schrift interpretierenden und die Wahrheit von Christus lehrenden Kirche kann diese Norm nicht kommen, weil die Kirche hier als Schriftinstanz abgetan ist. Vom Glauben der Urgemeinde und der biblischen Autoren kann sie auch nicht kommen, weil diese das Jesusbild durch ihre mythischen Vorstellungen übermalt haben. So ergibt sich am Schluß des Nachdenkens über das methodische Vorgehen des Buches: weder die Geschichtswissenschaft noch der Glaube der Urgemeinde noch die Lehre der Kirche können die Norm für das richtige Erfassen der wahren Jesusgestalt abgeben. Wie bewahrheitet dann das Buch aber seinen Anspruch, den authentischen Jesus zu treffen? Dazu darf man nüchtern sagen: im Grunde gar nicht!

19b Was aber stellenweise als versuchte Begründung zum Vorschein kommt, weist in die Richtung einer rein subjektivistischen und von den gängigen Zeitströmungen abhängigen Jesusdeutung. Für die sub-jektivistische Grundhaltung steht die Aussage: «Er [der Autor wie der Bibelleser] läßt sich inspirieren vom Geist dieser Schrift» (S. 458), d. h. er interpretiert sie kraft eigenen Erlebens und eigener Vollmacht. Da man aber, so gänzlich subjektivistisch vorgehend, wohl kaum das Ohr seiner Zeitgenossen finden dürfte, muß zuletzt der «gegenwärtige Horizont von Mensch und Gesellschaft» (S. 152) herangezogen werden. Damit ist aber nichts Geringeres gesagt, als daß das Jesusbild nach dem heutigen gesellschaftlichen Interesse und Empfinden konstruiert ist. Dieser Umstand beweist nicht nur die methodische Unzulänglichkeit und Schwäche dieser subjektivistischen Exegese und der ganzen theologischen Arbeit. Man kann vielmehr aus diesem Umstand schon schließen (was die Durchführung dieses Ansatzes in dem Buch dann zur Gewißheit erhebt): Von diesem «Jesus der heutigen Gesellschaft» ist nichts an Werten zu entnehmen, was die heutige Gesellschaft nicht schon kennt: Solidarität mit den Menschen, Freiheit vom Konsumdruck, Lebensqualität u. a. Das Jesusbild steht hier schon fest, bevor noch ein einziger Strich gezogen ist. Es kommt am Ende dabei nichts anderes heraus, als was man an gesellschaftlichen Werten von vornherein kennt. (Fs) (notabene)

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