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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - das Prinzip «Vieldeutigkeit»; Toleranz - Monopol; Pluralismus - Inkonsequenz d. Denkens; Nietzsche: «Begriffs- und Wertunsauberkeit»; Auferstehung - Naturgesetze (Erscheinungsberichten); K. Rahner ; Gnosis





Kurzinhalt: So fungieren der Pluralismus- und der Toleranzgedanke, wie heute häufig festzustellen, nur als Schutzbehauptungen zum Zwecke eines um so einseitigeren und hartnäckigeren Monopolanspruchs der eigenen Weltanschauung.

Textausschnitt: 3. Das Prinzip «Vieldeutigkeit»

11a An sich ist auch der Autor des Buches, den wörtlichen Bekundungen nach zu schließen, ein Verfechter dieses modernen Pluralismus' im Glaubensdenken. Deshalb bezeichnet er zu Beginn seinen Entwurf recht bescheiden auch nur als einen unter vielen möglichen und fordert für ihn jene Toleranz, auf die sich das pluralistische Denken immer beruft, wenn es um seine eigenen Thesen geht. Pluralismus und Toleranzdenken sind dann auch in dem Buch so stark entwickelt, daß hier selbst der traditionelle Glaubensgrundsatz «extra ecclesiam nulla salus», dessen richtige Deutung gewiß ihre Schwierigkeiten hat, der aber auch heute noch mit einem guten Sinn erfüllt werden kann1, förmlich aufgegeben wird. Daraufhin können im ersten Teil des Buches die nichtchristlichen Weltreligionen als legitime Heilswege ausgegeben werden (die Frage, ob es sich um «außerordentliche» oder «ordentliche» Heilswege handelt, gilt dem Autor als unnützer Gelehrtenstreit: S.83), wenn auch nicht alles in ihnen Wahrheit ist (S.96). Aber auch das Christentum ist weder die Wahrheit noch hat es sie zu eigen. Es ist auch nur auf der Suche nach Wahrheit, die sich in freier Diskussion, im Geben und Nehmen der Religionen einfinden soll. Ja, bei dem Vergleich zwischen den Weltreligionen und dem Christentum kommt dieses im ganzen wegen seines bisherigen Versagens in der zurückliegenden Geschichte schlechter weg. (Fs)

11b In bezug auf die Beurteilung der eigenen Geschichte des Christentums und der wirklichen Kirche (einschließlich ihres heutigen Standes) schlägt dann aber der Toleranzgedanke wie auch das Pluralismusprinzip merkwürdigerweise ins Gegenteil um. Das wirkliche Christentum und die konkrete (vor allem die katholische) Kirche haben nach vielen, mit Ironie und Sarkasmus vorgetragenen Aussagen des Buches keinen Anspruch darauf, in den Pluralismus einbezogen und unter den Schutz der Toleranz gestellt zu werden; denn die Kirche der Neuzeit hat das Evangelium kompromittiert (S.26). Das bisherige Christentum verdient wegen seiner Unmündigkeit die Bezeichnung «Papageienchristentum» (S. 115). Die Kirche hat in der Vergangenheit zwar Liebe gepredigt, aber Haß gesät (S. 162). In ihr spielen Dogmen, Canones und Politik eine wichtigere Rolle als Jesus (S. 503). Sie gehört zu den «Subkulturen» und zu den Organisationen des «ungleichzeitigen Bewußtseins» (S. 509). Die der Modernität nicht zugetanen Theologen sind Vertreter einer «abgestandenen neuscholastischen Denzinger Theologie» (S. 25) oder besseren Falles «mäßig moderne Theologen, denen es manchmal mehr um die Formeln und um ihr eigenes kleines System geht»(S. 509). Die praktizierenden Christen, die auf den Wandel in der Moderne nicht vorbereitet waren, stellen ein «ängstliches, im Glauben unmündiges und kritikloses Kirchenvolk», dar (S. 509). Das Vorgehen Roms in Lehrfragen gilt als «Inquisitionspolitik» (S. 672). So ist das Endurteil nicht überraschend, daß die «Kirche weit hinter ihrem eigenen Auftrag zurückgeblieben» ist (S. 511), ja daß sie weithin «ihren Auftrag verraten» hat (S. 511). (Fs)

12a An solchen, hier gar nicht vollständig aufgeführten Behauptungen läßt sich ersehen, daß der das Buch durchgehend kennzeichnende Pluralismus- und Toleranzgedanke denkerisch nicht durchgehalten wird. Er muß mindestens eine Ausnahme machen, nämlich bezüglich der konkreten Kirche und des in der Tradition überlieferten Christentums. Weil aber in dem Feuer dieser Kritik alles irgendwie angesengt wird, auch die Religionen und Weltanschauungen, bleibt am Ende nur die eigene Meinung und Lehre in Geltung, das Programm «Christ sein als radikales Menschsein» (S. 545/594), das als authentische Interpretation des biblischen Christentums und als einzige Zukunftschance der Kirche ausgegeben wird. So fungieren der Pluralismus- und der Toleranzgedanke, wie heute häufig festzustellen, nur als Schutzbehauptungen zum Zwecke eines um so einseitigeren und hartnäckigeren Monopolanspruchs der eigenen Weltanschauung. (Fs)

12b Aber das Spiel mit dem Pluralismusgedanken hat eine weitere einschneidende Folge für die Bestimmung des eigenen Standpunktes. Wer nämlich allen und jedem entgegenkommen will (und sei es auch nur faktisch und unter Einbeziehung mancher Inkonsequenz), der ist denkerisch nicht in der Lage, selbst eindeutige Stellung zu beziehen und in den entscheidenden Fragen verbindliche Antworten zu geben. Das unkritische Umgehen mit dem Pluralismusgedanken wechselt heute vielfach, besonders aber in diesem Buche, in die Vieldeutigkeit des Redens über, die hier geradezu zum Prinzip erhoben erscheint. Dadurch werden alle entscheidenden Gedanken des Buches in das Zwielicht der Doppel- und Mehrdeutigkeit gerückt. Daraufhin kommt es zur Entwicklung einer gewissen literarischen Technik, die so geartet ist, daß jedem Satz (sei es an anderer Stelle, sei es im gleichen Zusammenhang) ein Gegensatz, ein Nach- oder Beisatz beinahe gegenteiligen Sinnes zur Seite gegeben ist, so daß nicht mehr genau zu erkennen ist, was der Autor nun wirklich und letztlich meint. (Fs)

13a Das ist jene Zweideutigkeit im Reden und Argumentieren, die Fr. Nietzsche einmal sehr hart als «Begriffs- und Wertunsauberkeit» bezeichnet hat und als «Feigheit vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein»2. Es liegt nicht zuletzt an diesem Umstand, daß die Verständigung über heutige theologische Positionen wie gerade auch über dieses Buch schwierig wird. So kommt es, daß der Verteidiger dieses Buches dem Kritiker auf jede Einrede ein Gegenzitat aufweisen kann, mit dem scheinbar jede Beanstandungsmöglichkeit widerlegt ist. Wer etwa kritisch vermerkt, daß in dem Buch die Tradition der Kirche völlig mißdeutet oder verlassen ist (wofür sich viele Beispiele aus dem Bereich der Trinitätslehre, der Christologie, der Ekklesiologie u. a. beibringen ließen), dem wird die Aussage entgegengehalten, daß «kein Theologe ungestraft die große Tradition vernachlässigen wird» (S. 124). Wer einwendet, daß hier die Substanz des christlichen Glaubens preisgegeben werde, bekommt gesagt, daß es gerade nicht um einen Ausverkauf des Christlichen gehe, sondern um seine Reform und um den feineren Schliff des «Diamanten» (S. 28). Wer etwa das Bedenken anmeldet, daß hier das Christusdogma geschmälert werde, wird mit einer Fülle von Aussagen über die Einzigartigkeit Jesu, über seine Unersetzbarkeit und Unübertreffbarkeit als Stellvertreter Gottes konfrontiert, die vor allem dem nicht geübten Blick des Laien in der Theologie unanfechtbar erscheinen müssen. Und trotzdem sind die Superlative weder eine Einholung noch eine authentische Interpretation des Dogmas der Kirche, welches besagt, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch in einer (göttlichen) Person ist. (Fs)

13b Um das Gesagte an einem einzigen Satz zu erhellen, sei beispielhaft auf die Aussage über die Auferstehung Jesu hingewiesen, an der der Verfasser besonders eindringlich zeigen möchte, daß die Auferstehung nicht die Bedeutsamkeit des Kreuzes (R. Bultmann) und das Weitergehen der Sache Jesu (W. Marxsen) meine, sondern ein «(für den Glauben) wirkliches Geschehen» (S. 341). Darüber heißt es zusammenfassend: «Daß Gott dort eingreift, wo menschlich gesehen alles zu Ende ist, das ist - bei aller Wahrung der Naturgesetze - das wahre Wunder der Auferweckung: das Wunder des Anfangs eines neuen Lebens aus dem Tod» (S. 339). Aber durch die in Parenthese gesetzten Worte «bei aller Wahrung der Naturgesetze» ist diese Auferstehung auf keinen Fall mehr die von der Kirche gelehrte «resurrectio carnis», weshalb der Autor auch (gegen alle Regeln der historischen Methode) das leere Grab als «legendäre Entfaltung der vorgängigen Auferweckungskunde» (S.354) abtut. Aber «bei aller Wahrung der Naturgesetze» geraten auch die Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern, an denen der Autor verbal festhält, ebenso in ein undurchdringliches Zwielicht. Deshalb wird auch nur von «Erscheinungsberichten» (S. 340) und «Erscheinungsaussagen» (S.353) gesprochen, für welche ebenfalls die Forderung gilt, daß sich dabei nichts Außergewöhnliches im menschlichen Raum und in der menschlichen Zeit ereignet haben kann. (Fs)

14a So bleibt völlig unklar, auf welchen Grund hin die Apostel als «Zeugen» der Auferstehung bezeichnet werden können. Darum wird zuletzt auch nicht geklärt, wer oder was auferstanden ist. Zwar wird (unter Ablehnung der Identität des Leibes) an einer Identität der Person Jesu festgehalten. Aber dann ist wiederum der Personbegriff völlig vage, wenn gesagt wird, daß es dabei nur um die «bleibende Bedeutung des ganzen Lebens und Geschicks» Jesu geht (S. 340). So ist schließlich die Auferweckung Jesu nur «Sterben in Gott hinein» (S. 348). Zwischen Tod und Auferstehung besteht kein zeitlicher Unterschied (S.349). Auferstehung ist zuletzt die endgültige Rettung des Menschen durch Gott (S. 349). Der Sinn der Botschaft von der Auferstehung liegt dann nur darin, daß der Mensch «seinem Tod getrost entgegengehen kann» (S.35O). Aber gerade an dieser Aussage wird deutlich, daß dieses Verständnis von Auferstehung nichts spezifisch Christliches mehr an sich hat; denn Trostempfindungen angesichts des Todes müssen auch den NichtChristen zugebilligt werden, die keinen Auferstehungsglauben kennen. Wenn in diesem Zusammenhang dann noch der Begriff des «Wunders» benützt wird, so ist auch dies eine völlig unbestimmte Formel, die für jedes göttliche Tun stehen kann, das sich verborgen am Menschen vollzieht. Auch der Trost des Heiden angesichts des Todes wäre solch ein Wunder. (Fs)

14b Die mangelnde Eindeutigkeit dieses Buches zeigt sich aber nicht nur im Sprachlichen und Denkerischen, sondern auch im Bereich des Ethischen und des Willentlichen. Damit ist aber nicht die in einem solchen Buch wie selbstverständlich zu erwartende Ablehnung objektiver Normen und der philosophisch unbedarfte Rekurs auf den moralischen Pragmatismus («Richtig ist, was dem Menschen hilft»: S.553) gemeint, sondern die Unentschiedenheit in der Einstellung zur Glaubensgemeinschaft der Kirche. Das sei beispielhaft an dem Problem aufgewiesen, das sich der Autor selbst am Schluß seiner vielen negativen Äußerungen über die Kirche stellt. Es ist die Frage: Warum noch in der Kirche bleiben? Die Frage drängt sich ja auch förmlich auf, weil man doch gegenüber einer Institution, die nach dem Buch nur der «Ort der Erinnerung an Jesus ist» (S. 513), die keine Heilsnotwendigkeit besitzt, die zudem ihren Auftrag in der Geschichte beständig verraten hat, schwerlich eine innere Verpflichtung eingehen kann, aber von ihr eigentlich auch für die Zukunft keine wesentliche Verbesserung erwarten darf. (Fs)

15a Der Verfasser kann trotz der unternommenen Anläufe diese Frage tatsächlich nicht beantworten, zumal er im gleichen Atemzuge die Auffassung vertritt, daß es Christen, ja bessere Christen, und sogar Christengruppen ohne Bindung an die Kirche gibt, daß also ein Christentum ohne Kirche möglich ist und existiert (S. 513). Deshalb sind die versuchten Antworten in keiner Weise theologisch begründet und motiviert. Geradezu entwaffnend wirkt das Eingeständnis: «Diese Freude (des Verlassens der Kirche) sollte man den Gegnern der Erneuerung nicht machen» (S.513). Aufschlußreich ist auch der Hinweis auf die größere Effizienz, die einem Kritiker der Kirche innerhalb der Kirche ermöglicht ist (S. 513). Tatsächlich würde ein katholischer Erfolgsautor außerhalb der Kirche bald uninteressant. Was sonst noch an Gründen angeführt wird, läuft auf einen reinen Traditionalismus hinaus: «Zu viel hat man doch in dieser Glaubensgemeinschaft empfangen, als daß man hier so einfach aussteigen könnte» (S.513). Aber wenn das Empfangene doch, wie unaufhörlich gesagt wird, immer nur entstellt, korrumpiert und degeneriert übermittelt wurde, ist das Verbleiben intellektuell und moralisch nicht gerechtfertigt. So weiß der Autor letztlich keinen theologischen Grund für sein Verbleiben anzugeben. Ein unbegründetes Bleiben in einer Glaubensgemeinschaft ist aber nur eine Form einer neuen «fides carbonaria» und ein Zeichen einer tiefen Unentschlossenheit, die der intellektuellen Vieldeutigkeit genau entspricht. (Fs)

15b Diese geistige Vieldeutigkeit und Unentschiedenheit bedeutet natürlich ein Erschwernis für eine präzise Beurteilung und Bewertung des Buches. Sollte man deshalb bei K. Rahners Vorschlag bleiben, sich überhaupt des letzten Urteils zu enthalten und den Leser zur kritischen Lektüre auffordern? Aber wie kann man solches von einem Nichttheologen erwarten, wenn der Theologe selbst im Grunde keine Krisis, d. h. keine Entscheidung fällt? Eine solche Auskunft ist eine Verlegenheitserklärung, die zwar wiederum in die Situation eines entscheidungslosen Christentums hineinpaßt, aber vor dem Anspruch der Wahrheit und des Denkens nicht bestehen kann. (Fs)

15c In Wirklichkeit ist diese Beurteilung andererseits wiederum nicht so schwierig, wenn man einmal erkannt hat, daß es sich hier um ein vieldeutiges, zwiespältiges, unausgewogenes Denken handelt, das seinen Zusammenhalt und seine Effekte nur aus einer gewissen literarischen Überrumpelungstechnik holt. Wo einmal die «Vieldeutigkeit» als Prinzip eines theologischen Werkes erfaßt ist, wo die Ambivalenz zu einer formalen Artistik gesteigert ist, wo bei allen Erklärungen ein Rest von subjektiver Überzeugungslosigkeit des Autors und objektiver Beweisschwäche bleibt, entsteht eine gewisse Faszination und eine spielerische Überlegenheit gegenüber allen festen Positionen und nüchternen Glaubenssätzen, die sich demgegenüber irgendwie hausbacken, primitiv oder gar borniert ausnehmen müssen. Aber diesem Vorwurf sah sich schon Plato gegenüber den Sophisten ausgesetzt. Tatsächlich eignet diesem Doppelspiel der Vieldeutigkeit etwas Sophistisches, was sich andererseits als Ausdruck einer neuen Gnosis verstehen läßt; denn die Preisgabe der Tradition und der Autorität der Kirche zugunsten eines über allen Standpunkten schwebenden Vernunftwissens, die pathetische Selbstsicherheit des alles Überschauenden und des endgültiges Heilswissen bringenden Charismatikers, die Pseudorationalität des Ideologen mit seiner Anstachelung von Wünschen und der Verheißung restloser Erfüllung: das alles ist Schwemmsand des durch die Geschichte gehenden gnostischen Erbes, das heute auch im Christentum (selbst im katholischen) neue Macht gewinnt. Die am deutlichsten in Erscheinung tretende Folge ist die Auflösung aller objektiven Gehalte des Glaubens, eine angebliche Überhöhung alles Gegenständlichen zum «Bedeutsamen», das aber zuletzt wieder zur Platitüde und zur Bedeutungslosigkeit umschlagen kann. Darum geht es hier weniger um die christliche Wahrheit, um den katholischen Glauben als Erkenntnis und Wert, sondern um eine gewisse Haltung, um einen Elan zu etwas höherem Menschlichen, das hier als «Christ sein» bezeichnet wird. (Fs)

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